Berlin. Nach Jahren der Entfremdung suchen die Spitzenleute der Grünen wieder Rat beim einstigen Außenminister und Vizekanzler Joschka Fischer.

Als Rot-Grün abgewählt wurde, sagte er einen Satz, der viele Grüne geärgert hat. „Ich war einer der letzten Live-Rock-’n’-Roller der deutschen Politik. Jetzt kommt in allen Parteien die Playback-Generation.“ Sollte heißen: Ich kann es besser als ihr. Selbst im Abgang machte es Joschka Fischer seinen Grünen schwer.

Das war 2005. Sieben Jahre Rot-Grün lagen hinter Fischer. Er hatte die Ökopartei 1998 in die rot-grüne Koalition geführt, wurde Außenminister und Vizekanzler. Es waren harte Jahre. Wegen Kosovo, Afghanistan, Irak. Und wegen seiner komplizierten, streitlustigen Partei. Er litt an den Grünen. Und die Grünen an ihm. Das körperlich Härteste: 1999 traf ihn auf einem Parteitag ein Farbbeutel am Ohr, er erlitt einen Trommelfellriss. Hinzu kamen zwischenmenschliche Verletzungen.

Fischer lobt Merkels Flüchtlingspolitik

Inzwischen hat sich die Beziehung deutlich entspannt. Fischer äußert sich wieder zur Tagespolitik, und es klingt so selbstverständlich, als sei der 67-Jährige noch immer Leitwolf der Grünen. An diesem Wochenende lobte er die Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin. Alles in allem könne er Angela Merkel „keine schlechten Noten geben“, sagte er im Sender Phoenix.

Grünen-Chef Cem Özdemir sucht die Nähe zum ehemaligen Alphatier – und macht kein Geheimnis daraus. Fischer sei „ein wichtiger Berater, nicht nur in außenpolitischen Fragen“, sagt Özdemir unserer Redaktion. „Es gibt in unserer Partei wenige mit seinem Erfahrungshorizont und politischen Format. Ich weiß Gespräche mit ihm immer sehr zu schätzen.“ Ganz ähnlich klingt es bei Katrin Göring-Eckardt, der Fraktionsvorsitzenden, die wie Özdemir zum pragmatischen Flügel der Partei gehört: „Was Joschka Fischer angeht, bin ich ganz froh, dass er wieder so nah an die Politik herangerückt ist. Wir haben ihn als Sparringspartner, Berater und Diskutant mit starken Argumenten. Ich rede alle paar Wochen mit ihm, und das hilft auch.“

„Fast eine ausgelassene Fraktionssitzung“

Fischer besuchte im Sommer sogar die grüne Bundestagsfraktion. Es ging um Griechenland und Europa. Er plädierte vehement für einen Verbleib Athens in der Eurozone. „Er hielt sich nicht mit Details auf“, sagt ein Abgeordneter, der dabei war. „Er war ganz der Elder Statesman. Am Ende bedankte er sich für die gute und konstruktive Diskussion.“ Kein hämisches Wort, kein abschätziger Blick. Fischer sei ganz entspannt gewesen. Ein anderer sagt: „Das hat ihm Spaß gemacht. Es war fast eine ausgelassene Fraktionssitzung.“ Eine Abgeordnete sagt: „Man hat den Eindruck, Fischer hat seinen Frieden mit den Grünen gemacht.“

Es ist gar nicht so lange her, da war das ganz anders. Im März 2013 feierten die Grünen ihr 30-jähriges Bestehen, 2000 Gäste, große Party. Fischer kam nicht. Den Wahlkampf 2013, Jürgen Trittin und Katrin Göring-Eckardt waren die Spitzenkandidaten, soll Fischer kritisch gesehen haben. Öffentlich gesagt hat er es nicht. Und solange Trittin und Renate Künast noch etwas zu sagen hatten, war seine Beziehung zu den Grünen mehr als unterkühlt.

Das Verhältnis hat sich entspannt

„Er und Trittin haben sich jahrelang auf Parteitagen gefetzt“, sagt ein führendes Parteimitglied. „Die haben sich die Köppe eingeschlagen“, sagt ein anderer. Doch Trittin und Künast, die Fraktionschefs, mussten nach dem schwachen Bundestagswahlkampf 2013 in die zweite Reihe rücken. Es gab einen Generationenwechsel. Damit begann die Entspannungspolitik zum ehemaligen Übervater. Die Fraktion, jetzt geführt von Göring-Eckardt und Anton Hofreiter, lud Fischer zur Griechenland-Diskussion. Und er kam.

Fischer lebt in Berlin, war Gastdozent in Princeton, hält Vorträge in aller Welt, hat seine eigene Beratungsfirma am noblen Gendarmenmarkt in Berlin. Zu den Kunden gehört unter anderem BMW, früher auch Rewe. Das hatte die Distanz zur seiner Partei, die Großkonzernen skeptisch gegenübersteht, zunächst vergrößert. Doch selbst das scheint mittlerweile vergessen. Einer, der Fischer gut kennt, sagt, dass sich zuletzt sogar die Beziehungen zu ehemaligen Spitzengrünen, die schwer belastet waren, wieder entspannt haben.

Joschka Fischer und seine antiautoritäre Partei, das war eine besondere Beziehung. In den rot-grünen Jahren von 1998 bis 2005 galt Fischer, der kein Parteiamt bekleidete, als heimlicher Vorsitzender. Realo-Häuptling oder Zuchtmeister der Parteilinken schrieben andere Beobachter. Andererseits war Fischer lange der beliebteste Politiker. „Es war eine Hassliebe“, sagt ein Grünen-Politiker.

„Wie eine, die Beziehung die kaputtgeht“

Doch Fischer redet nicht nur mit grünen Realos. Er traf sich auch mit dem linken Bundesgeschäftsführer Michael Kellner, früher Büroleiter der Parteilinken Claudia Roth. Sie sprachen über den Europawahlkampf 2014. Kellner will der ganzen alten Generation der Grünen mehr Wertschätzung zukommen lassen, lädt ehemalige Vorsitzende zu Parteitagen ein. Die Grünen sind gerade einmal 35 Jahre alt. Sie haben keinen Konrad Adenauer und keinen Willy Brandt. Sie müssen sich ihre Mythen erst noch aufbauen.

Ein linker Grüner beschreibt das Verhältnis zu Fischer so: „Es ist wie mit einer Beziehung, die kaputtgeht. Nach ein paar Jahren, in denen man sich kaum gesehen hat, kann man auf einmal wieder miteinander reden.“