Berlin/Köln. Der Einsatzbericht eines Kölner Polizisten von Silvester wirft ein neues Licht auf die Ereignisse – und auf das Verhalten der Polizei.

Erstmals seit den Übergriffen auf Dutzende Frauen in Köln während der Silvesternacht gewährt ein internes Dokument Einsicht in die dramatische Lage am späten Abend und in der Nacht vor dem Hauptbahnhof der Stadt. Das Einsatzprotokoll eines leitenden Polizeibeamten, aus dem die „Bild“-Zeitung zitiert, wirft zudem verstärkt die Frage auf, ob die Kölner Polizei mit ihrer ersten Pressemeldung am Neujahrsmorgen die Öffentlichkeit bewusst täuschen wollte.

„Schon bei der Anfahrt zur Dienststelle an den HBF Köln wurden wir von aufgeregten Bürgern mit weinenden und geschockten Kindern über die Zustände im und um den Bahnhof informiert“, heißt es demnach in dem internen Papier. Auf dem Vorplatz und der Domtreppe hätten sich „einige Tausend meist männliche Personen mit Migrationshintergrund“ befunden, die „Feuerwerkskörper jeglicher Art und Flaschen wahllos in die Menschenmenge feuerten bzw. warfen“.

„Spießrutenlauf für Frauen“

Und dann heißt es in dem Protokoll laut „Bild“ wörtlich: „Gegen 22.45 Uhr füllte sich der gut gefüllte Bahnhofsvorplatz und Bahnhof weiter mit Menschen mit Migrationshintergrund. Frauen mit Begleitung oder ohne durch liefen einen im wahrsten Sinne ,Spießrutenlauf’ durch die stark alkoholisierten Männermassen, wie man es nicht beschreiben kann.“

Das würde bedeuten: Bereits mehr als eine Stunde vor Mitternacht hatte die Kölner Polizei Kenntnis von massiven Übergriffen auf Frauen. Und offenbar wurde auch reagiert, denn in dem Protokoll des leitenden Beamten heißt es weiter: „Wir kamen zu dem Entschluss, dass die uns gebotene Situation (Chaos) noch zu erheblichen Verletzungen, wenn nicht sogar zu Toten führen würde.“ Deshalb habe man sich „nach Rücksprache mit der Gesamteinsatzleitung der Landespolizei“ entschlossen, den Bereich der Domtreppe über den Bahnhofsvorplatz zu räumen. Die Räumung habe gegen 23.30 Uhr begonnen.

„Weinende Frauen schilderten sexuelle Übergriffe“

Entspricht dieses Protokoll der Realität, dann erscheint die Pressemeldung, die die Kölner Polizei um 8.57 Uhr am Neujahrsmorgen herausgab, noch unverständlicher als bisher schon. Darin lautete die Bilanz der Silvesternacht nämlich: „Ausgelassene Stimmung - Feiern weitgehend friedlich“. Die Nacht sei „entspannt“ gewesen – und zwar „auch weil die Polizei sich an neuralgischen Orten gut aufgestellt und präsent zeigte“. Von dem „Spießrutenlauf“ für Frauen und dem „Chaos“, wie es in dem Einsatzprotokoll beschrieben wird, findet sich dagegen in der Meldung nichts.

Dabei hatte man bei der Polizei offenbar Kenntnis von den Vorgängen. Denn im Einsatzprotokoll steht weiter zu lesen: „Im Einsatzverlauf erschienen zahlreiche weinende und schockierte Frauen/Mädchen bei den eingesetzten Beamten und schilderten sex. Übergriffe durch mehrere männliche Migranten/ -gruppen. (...) Die Einsatzkräfte konnten nicht allen Ereignissen, Übergriffen, Straftaten usw. Herr werden, dafür waren es einfach zu viele zur gleichen Zeit.“

„Vollendete Vergewaltigungen konnten verhindert werden“

In der Folge beschreibt der Bericht chaotische Zustände im Hauptbahnhof und rund um das Bahnhofsgebäude. Etwa: „Im ganzen Bahnhof überall ,Erbrochenes’ und Stellen, die als Toilette genutzt wurden.“ Oder: „Zustieg in die Züge nur über körperliche Auseinandersetzungen – Recht des Stärkeren.“ Oder: „Geschädigte/Zeugen wurden vor Ort, bei Nennung des Täters bedroht oder im Nachgang verfolgt. Aufgrund der ständigen Präsenz der Einsatzkräfte und aufmerksamer Passanten im Bahnhof, konnten vollendete Vergewaltigungen verhindert werden.“

Auffällig war bei dem Silvester-Einsatz laut dem Bericht des Polizisten zudem „die sehr hohe Anzahl an Migranten innerhalb der polizeilichen Maßnahmen der Landespolizei und im eigenen Zuständigkeitsbereich. Maßnahmen der Kräfte begegnete einer Respektlosigkeit, wie ich sie in 29 Dienstjahren noch nicht erlebt habe“.

Nach Bekanntwerden der zahlreichen Übergriffe auf Frauen zum Jahreswechsel in Köln war die Polizei zuletzt massiv in die Kritik geraten. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte den Einsatz als unkoordiniert dargestellt: „So kann die Polizei nicht arbeiten.“ CDU und FDP hatten personelle Konsequenzen gefordert. Der Kölner Polizeipräsident Wolfgang Albers hatte am Mittwoch einen Rücktritt abgelehnt.