Berlin/Kiel . Dänemark und Schweden kontrollieren ihre Grenzen und dennoch fließt der Verkehr normal. Doch was ist mit der Reisefreiheit in der EU?

Keine Staus an der Grenze – und Gelassenheit in den Ministerien im Norden Deutschlands. Die dänische Polizei hat an der deutschen Grenze binnen der ersten 24 Stunden 1100 Menschen überprüft. Längere Wartezeiten habe es an keinem der 15 Grenzübergängen gegeben. 18 Menschen sei bislang die Einreise verwehrt worden, drei mutmaßliche Schleuser wurden laut Polizei festgenommen. Als Reaktion auf die Kontrollen durch Schweden prüft auch Dänemark erneut Einreisende – zunächst für zehn Tage.

Auf Nachfrage heißt es sowohl in der Landesregierung von Schleswig-Holstein als auch in Mecklenburg-Vorpommern: „Bisher kein Ausnahmezustand. Der Verkehr fließt ganz normal.“ Zudem seien ausreichend Erstunterkünfte für Asylbewerber vorhanden, sollten die Kontrollen in Skandinavien zu einem größeren Flüchtlingsandrang in Norddeutschland führen. Bisher blieb es jedoch ruhig. Noch am Montag sind laut Polizei sogar 50 Flüchtlinge von Flensburg weiter Richtung Dänemark gereist.

Grenzkontrollen als Alarmsignal

Und doch: Die Besorgnis über die Kontrollen wächst. Denn geschlossene Grenzen sind das Symptom einer Europäischen Union, die sich nicht auf eine Unterbringung der vielen Flüchtlinge einigen kann. „Es wird auf Dauer nicht gehen, dass Deutschland als nahezu einziges Land in Europa eine große Zahl von Flüchtlingen aufnimmt. Wir brauchen Lösungen auf europäischer Ebene“, sagte Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) dieser Zeitung. Er sehe in den Grenzkontrollen ein „Alarmsignal“.

Auch Bundespolizisten prüfen vor allem entlang der deutsch-österreichischen Grenze seit September stichprobenartig die Pässe. Mehrfach hatte sich 2015 gezeigt, dass EU-Staaten wie beim Dominoeffekt auf Grenzkontrollen eines Nachbarn reagierten. Auch EU-Staaten wie Norwegen, Finnland, Frankreich und die Niederlande, aber auch Tschechien und die Slowakei hatten und haben vorübergehend Kontrollen eingeführt. Grenzkontrollen, die innerhalb der EU eigentlich mit dem Schengener Abkommen der Vergangenheit angehörten. Doch im Zuge der Flüchtlingskrise wankt die Reisefreiheit.

EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos hat nun Regierungsvertreter zu einem Treffen nach Brüssel gebeten. Avramopoulos will eine bessere Koordinierung der EU-Staaten bei der Bewältigung des Flüchtlingsandrangs erreichen. Neben der dänischen Migrationsministerin und ihrem schwedischen Kollegen soll auch der Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Ole Schröder, teilnehmen. Auch er forderte im Vorfeld des Treffens eine „europäische Lösung der Flüchtlingskrise“. Gleichzeitig sei notwendig, die EU-Außengrenze schärfer zu kontrollieren.

EU-Politiker Lambsdorff attackiert Merkel-Regierung

Nach dem Terror in Paris im November hatten die EU-Innenminister schärfere Kontrollen der Außengrenze beschlossen, der Austausch von Fluggastdaten durch die EU-Kommission soll forciert werden. Durch den Schutz der Außengrenze sei auch die Reisefreiheit weiter gesichert, sagte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). Er sei überzeugt, dass die EU Freizügigkeit und Reisefreiheit, mitsamt dem Schengenraum, erhalten könne, sagte Steinmeier der „Bild“. Dafür müsse Europa aber „an einem Strang ziehen“.

Der Vizepräsident des Europäischen Parlaments, Alexander Graf Lambsdorff (FDP), warf der Bundesregierung eine „chaotische, nicht mit den EU-Partnern abgestimmte Politik“ vor, die das Schengensystem „in Gefahr gebracht“ habe. „Erst wurden ohne Absprache die Außengrenzen aufgerissen, dann gab es großes Erstaunen, wie viele Menschen zu uns kommen“, sagte er dieser Zeitung. „Und jetzt setzt die Bundeskanzlerin hilflose Appelle an die europäische Solidarität ab, die ihre Regierung selber nicht aufgebracht hat, als Italien und Griechenland darum baten.“ Lambsdorff rief zu einem Ende der Kontrollen auf. „Schlagbäume und Passkontrollen in Europa sollten der Vergangenheit angehören.“ Europa müsse „alles dafür tun, um die Reisefreiheit wieder zu ermöglichen“.