Ein Anschlag aufs Oktoberfest, und ein Polizist soll davon gewusst haben. Bei „Unter Verdacht“ ermittelt Eva Prohacek – in Überlänge.

Ein Pferd wankt blind durch den Schuttstaub einer Bombe, eine Mutter im Dirndl flieht mit ihrem Kind durchs nebelgraue Dickicht der Zerstörung. Was ausschaut wie München in den kriegerischen ­40ern, ist Wiesnzeit heute. Ein Albtraum wird Wirklichkeit: Das größte Volksfest der Welt ist Zielscheibe islamistischen Terrors geworden.

Ein Jahr danach und unseligerweise nur wenige Wochen vor den Landtagswahlen in Bayern wankt die Annahme vom Einzeltäter mit der Autobombe. Ein Video zeigt einen jungen Polizisten, der das todbringende Auto passieren ließ: Er sucht das Weite vor der Explosion. Er heißt Cem, hat türkische Wurzeln und seltsame Kontobewegungen. Die Frau, die einst Vormund des kleinen Cem war, kennen Krimifreunde zur Genüge: Die langen Schatten fallen auf Dr. Eva Prohacek (Senta Berger).

Thriller und Drama kunstvoll vereint

Ein großer Fall, ein langer Film. Für „Verlorene Sicherheit“ leistet das ZDF sich fast 180 Erzählminuten. Ein Fernsehabend für Menschen mit langem Atem – besser aber für Genießer, die einen DVD-Rekorder programmieren können oder den Weg zur Mediathek kennen.

Bekanntlich ist ein Ende in Sicht für eine starke deutsche TV-Ermittlerin. Senta Berger ist 75 Jahre alt, sie wird als unbeirrbare und zuverlässig unbequeme Prohacek bald in Rente gehen. Am heutigen Samstag zeigt sich „Unter Verdacht“ im Kinoformat. Ehrgeizig fotografiert (Kamera Wolfgang Eichholzer) und im Großteil der Rollen sensibel gespielt. Vor allem aber glückt An­dreas Herzogs Regie das Kunststück, die Flut an Themen mit einer Balance zu behandeln, die szenische Intimität, großes Thriller­format und Schicksalsdrama vereint.

Senta Berger anrührend: Wir vermissen sie jetzt schon

Die Bombe und Eva Prohaceks Verbindung zum neuen Verdächtigen sind ja längst nicht alles, womit Stefan Holtz’ und Florian Iwersens Buch aufwartet: Cems Schwägerin radikalisiert sich bedenklich, Evas Chef (Gerd Anthoff) beschert ein Scheidungskrieg die Offenbarung seiner Schwarzgeldkonten und damit die Erpressbarkeit durch die Landesregierung. Deren Spitzen wiederum möchten auf keinen Fall ihren Milliardendeal mit einem arabischen König gefährden, in dessen Münchner Suite durchaus Terror-Spuren führen.

Es ist viel Stoff, der verhandelt wird, und dann wird auch noch der V-Mann-Trumpf gespielt. Und doch ist dieser Fernsehabend, dem dramaturgische Unwahrscheinlichkeiten nicht fremd sind, Qualitätsfernsehen. Er nimmt sich aufrichtig Zeit für Menschen in Ex­tremsituationen: einfache Leute, die der Verlust eines geliebten Menschen zu Monstern macht, vom Machterhalt deformierte Berufspolitiker und seine tapfere Heldin, die nicht frei von Unbelehrbarkeit ist. Eva Prohacek erleidet in einem ihrer letzten Fälle einen Schlaganfall – und will sich natürlich im Spital die Schnüre vom Arm klemmen und weiterermitteln. Senta Berger spielt das anrührend gut. Wir vermissen sie schon jetzt.

Fazit: Starke Stunden mit einer Ermittlerin am Ende ihrer Laufbahn. Fünf von Fünf Sternen

• Samstag, 17. Juni, 20.15 Uhr und 21.45 Uhr , ZDF.