Berlin. Wohin mit all dem Geld? Bei Anne Will wurde am Sonntagabend um die Verwendung des immensen deutschen Steuerüberschusses gestritten.

Geld macht immer Probleme, egal ob es vorhanden ist oder fehlt. Nachdem in Deutschland wegen hoher Arbeitslosigkeit und großer Defizite jahrelang politischer Zwist herrschte, wird dieser Tage um die Verwendung der immensen Überschüsse gestritten.

Bestärkt wurde der Trend zuletzt durch die jüngste Steuerschätzung: Rund 54 Milliarden Euro zusätzlich werden Bund und Länder demnach bis 2021 einnehmen. Das weckt Begehrlichkeiten, die am Sonntagabend auch bei Anne Will Thema waren.

Die plötzlich soziale FDP

Die größte Überraschung lieferte dabei Christian Lindner. Beschwingt vom Comeback in NRW formulierte der FDP-Chef zwar zunächst die üblichen Forderungen seiner Partei – im Kern also den Ruf nach Steuerentlastungen, auch und gerade für Unternehmen. „Der Staat ist immer maßloser geworden“, echauffierte er sich über das Steuerplus.

Christian Lindner.
Christian Lindner. © dpa | Wolfgang Borrs

Danach aber setzte der FDP-Chef an, um eine ganz neue Seite herauszukehren: Das soziale Herz der Liberalen. „Niemand will einen schwachen Staat, aber derzeit wird den Menschen in der Mittelschicht nicht genug gelassen“, begann Lindner, um dann konkrete Forderungen nachzuschieben.

So sollte etwa die Stromsteuer abgeschafft und die Grunderwerbssteuer in den Bundesländern gesenkt werden. „Das hilft Familien und Facharbeitern“, warb Lindner für seinen Vorschlag. Auch müssten „die Apples, Googles und Facebooks“ dieser Welt endlich ordentlich besteuert werden. Schließlich müssten auch die Zuverdienstgrenzen für Hartz-IV-Empfänger angehoben, um die Motivation zu erhöhen.

Eine Talkstrategie, die auch Wahlkampfstrategie sein kann

So viel Nächstenliebe erzeugte in der Runde einige Irritationen. „Ist soziale Gerechtigkeit jetzt doch sexy?“, fragte eine belustigte Gastgeberin. „Das Thema soziale Gerechtigkeit wird niemals bei der FDP verortet sein“, antwortete trotzig Thorsten Schäfer-Gümbel von der SPD.

Spätestens zu diesem Punkt der Diskussion war aber klar, dass Lindner überaus clever agiert hatte. Indem er den Schwerpunkt seiner Rhetorik aufs Soziale legte, nahm er seinen Kritikern den Wind aus den Segeln – ein Ansatz, der auch grundsätzlich im Bundestagswahlkampf gut funktionieren könnte.

Die planlosen Konkurrenten

Dass Lindner, der kürzlich noch von einer „Kleptokratie des Staates“ gesprochen hatte und Maßnahmen wie einer Vermögenssteuer oder einer erhöhten Kapitalertragssteuer ablehnend gegenübersteht, damit in der Diskussion glänzen konnte, lag auch an der Planlosigkeit seiner Konkurrenten.

Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU, r.), Ministerpräsidentin im Saarland, mit Anne Will.
Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU, r.), Ministerpräsidentin im Saarland, mit Anne Will. © dpa | Wolfgang Borrs

Da war Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), die nicht so richtig schlüssig erklären konnte, warum ihre Partei keine konkreten Schritte unternimmt, um die Vermögensungleichheit im Land zu mildern. Gedrängt von der Gastgeberin räumte die saarländische Ministerpräsidentin dann doch noch ein, dass eventuell an der Kapitalertragssteuer gedreht werden könnte – ein erstaunlicher Satz, schließlich hat die Kanzlerin bisher immer gesagt, dass es keine Steuererhöhungen geben wird.

Noch erstaunlicher war aber SPD-Mann Schäfer-Gümbel. Auch nach drei Niederlagen bei Landtagswahlen und dem vielfach formulierten Vorwurf, dass die Sozialdemokraten unter Kanzlerkandidat Martin Schulz inhaltlich noch zu vage sind, konnte Schäfer-Gümbel im Unterschied zu Lindner nicht so richtig konkret formulieren, was die SPD beim Thema Steuer eigentlich will. „Wir werden kein Steuerkonzept mit ein paar Zahlen vorlegen, sondern ein in sich verzahntes, das auch schwierige Themen wie die Rente beinhaltet“, verteidigte sich Schäfer-Gümbel.

Das Fazit

Investieren und dann die Reste verteilen oder erst verteilen und dann die Reste investieren? Um diese Frage wird es in der Steuerdebatte im Bundestagswahlkampf gehen. Diese Ausgabe von Anne Will machte vor allem klar, dass die SPD dringend konkret werden muss. In dieser Hinsicht kann sie von Christian Lindner lernen, der seine Partei zumindest vordergründig mit wenigen konkreten Forderungen kurzerhand von einer Klientelpartei zu einer Partei für alle umwandelte.

Am Ende könnte die ganze Debatte sich aber ohnehin als großes Luftschloss erweisen. „Es hängt alles an der guten Wirtschaftsleistung“, sagte die taz-Journalistin Ulrike Herrmann mit Blick auf die Steuerschätzung. „Bei einer Konjunkturkrise wird es gefährlich.“

Zur Ausgabe von „Anne Will“ in der ARD-Mediathek.