Hamburg. Er ist „Mr. Grand Prix“: Seit 1997 kommentiert Peter Urban den Eurovision Song Contest. Seine Markenzeichen sind Ironie und Wortwitz.

Als Peter Urban zum ersten Mal beim Eurovision Song Contest (ESC) für das deutsche Fernsehen hinter dem Mikrofon sitzt, ist mal wieder Ralph Siegel am Start. Dessen Schützling Bianca Shomburg landet am Ende auf Platz 18.

Es ist die Zeit, als noch vom Grand Prix Eurovision de la Chanson die Rede ist. Das Jahr nach dem ersten Finale ohne Deutschland, weil Leons „Blauer Planet“ 1996 eine Vorauswahl nicht überstand. Innerhalb der ARD ist seit mehr als einem Jahr der Norddeutsche Rundfunk (NDR) verantwortlich für die Show und dessen Musikexperte Urban gibt in Irland seinen Einstand. 20 Jahre ist das her – und zum 20. Mal wird er nun ein Finale kommentieren.

„Als ich 1997 nach Dublin flog, war für den Sender nur noch der verantwortliche Redakteur dabei, sonst niemand“, erinnert sich der heute 69-Jährige an jene Zeit, bevor die ESC-Auftritte von Guildo Horn (1998) und Stefan Raab (2000) Schlagzeilen und Einschaltquoten lieferten.

„Der ESC-Kosmos ist im Laufe der Jahre so viel größer geworden“, sagt er. „Heute reist ein Team aus Fernsehleuten, Online- und Radioreportern und Filmteams mit – und das ist bei allen Ländern so.“ Nahmen 1997 noch 25 Länder teil, sind es in Kiew vor den Halbfinalshows 42.

Peter Urban überlässt nichts dem Zufall

Auch die Arbeitsweise von Urban, seit mehr als 40 Jahren beim NDR, sah bei seiner Premiere als deutsche Stimme des ESC noch anders aus: „Ich war so locker-naiv, dass ich mir nur Stichpunkte notiert hatte, die ich manchmal gar nicht mal mehr entziffern konnte.“ Dem Zufall überlässt er in seiner Kommentatorenkabine längst nichts mehr. „Auch wenn es manchmal so spontan klingt, was ich sage: Es ist alles vorher überlegt und aufgeschrieben.“ Er habe schließlich für jeden Beitrag nur 30 Sekunden Zeit. Nach wie vor lese er vom Papier ab, alles andere sei ihm zu riskant.

Ironie und Wortwitz sind die Markenzeichen des Moderators, der Anglistik und Geschichte studierte und seine Doktorarbeit der Musik widmete („Rollende Worte – Die Poesie des Rock“). Manchmal reagierten Zuschauer sehr empfindlich auf seine Worte. „Dem deutschen Beitrag gegenüber bin ich immer loyal, während ich mich bei den anderen auch ein bisschen amüsiert oder süffisant äußern kann“, erklärt er. „Aber ich mache keine Bemerkungen über Nationalitäten, ich kommentiere die Songs.“ Die Kommentare des Mannes mit der markanten Stimme sind Kult. „Keiner bringt das Gesehene besser auf den Punkt als er“, sagte Moderatorin Barbara Schöneberger, selbst ESC-Expertin, mal über „The Voice of ESC“.

Urban wisse, „wie man mit wenigen wohlgesetzten Worten ein Brimborium auf Normalmaß zurechtstutzt“, schrieb Medienkritiker Hans Hoff über ihn. „Erst durch Urbans Ironie wird die Show zum Ereignis, ohne ihn wäre sie ein Nichts.“ Oder wie es der NDR mal über sein Urgestein formulierte: „Reden ist Silber, Peter Urban ist Gold“. Ganz selten bereute der Experte einen Kommentar: „wenn ich mal zu böse mit einem Lied umgegangen bin, das viele Leute dann doch sehr gut fanden.“ Einmal habe er einen Beitrag schon vor dem ersten Ton komplett niedergemacht – „das geht nicht“.

Nationaler Charakter fehlt ESC-Songs

Das musikalische ESC-Niveau habe sich sehr verbessert, findet der Fachmann, der selbst gelegentlich mit eigener Band auftritt. „Heute klingt alles internationalisiert nach moderner Popmusik.“ Ihm fehle aber der nationale Charakter. „Viele Länder setzen auf schwedische Komponisten und Produzenten, weil sie denken, damit mehr Erfolg zu haben. Das macht vieles leider einheitlich.“

Spezielles wie in diesem Jahr aus Portugal könne da gut herausstechen: „eine Ballade, die aus den 20er Jahren stammen könnte, von Streichquartett begleitet und auf Portugiesisch – das geht sofort ans Herz.“ Zu seinen Favoriten zählt auch Belgien, „und an Italien kommt man diesmal sowieso schwer vorbei“.

ESC-Chancen für Deutschland: „Platz um die 15 herum“

Und Deutschlands Levina („Perfect Life“)? „Ich bin ziemlich sicher, dass es für sie wenigstens ein Platz um die 15 herum wird“, ist Urban nach den letzten Platzierungen der vergangenen Jahre zuversichtlich. „Aber die Konkurrenz ist hart.“ Natürlich jubele er hinterm Mikrofon lieber, als dass er trösten und nach Erklärungen für Niederlagen suchen müsse. „Für mich kann es aber auch ein gelungenes ESC-Jahr sein, obwohl Deutschland schlecht abgeschnitten hat. Es ist schließlich die größte TV-Musik-Show der Welt“, sagt der Journalist, der seit 2013 offiziell im Ruhestand ist, aber noch immer fürs NDR-Radio moderiert.

ESC 2017: Levina ist unser Star für Kiew

Die deutsche Teilnehmerin für den Eurovision Song Contest heißt in diesem Jahr Isabella „Levina“ Lueen.
Die deutsche Teilnehmerin für den Eurovision Song Contest heißt in diesem Jahr Isabella „Levina“ Lueen. © Getty Images | Sascha Steinbach
Die 25-Jährige setzte sich beim Vorentscheid am 9. Februar in der ARD gegen vier Konkurrenten durch.
Die 25-Jährige setzte sich beim Vorentscheid am 9. Februar in der ARD gegen vier Konkurrenten durch. © dpa | Henning Kaiser
Levina lebt in Berlin und London. Sie macht derzeit ihren Master in Music Management am London College of Music, vorher schloss sie dort ein Gesangsstudium ab.
Levina lebt in Berlin und London. Sie macht derzeit ihren Master in Music Management am London College of Music, vorher schloss sie dort ein Gesangsstudium ab. © NDR | Walter Glöckle
Levina schreibt Soul- und Popsongs, bekam mit neun Jahren Gesangs- und Klavierunterricht und spielte bis zu ihrem 16. Lebensjahr in Kindermusicals. Mit ihrer Band spielt sie regelmäßig in Bars.
Levina schreibt Soul- und Popsongs, bekam mit neun Jahren Gesangs- und Klavierunterricht und spielte bis zu ihrem 16. Lebensjahr in Kindermusicals. Mit ihrer Band spielt sie regelmäßig in Bars. © NDR | Sony Music/Walter Glöckle
Beim Vorentscheid sang sich Levina so sehr in die Herzen der Zuschauer, dass sie in Runde vier sogar gegen sich selbst antrat. Dabei ging es nur noch um die Entscheidung, welcher Song Levina nach Kiew begleitet.
Beim Vorentscheid sang sich Levina so sehr in die Herzen der Zuschauer, dass sie in Runde vier sogar gegen sich selbst antrat. Dabei ging es nur noch um die Entscheidung, welcher Song Levina nach Kiew begleitet. © dpa | Henning Kaiser
Es wurde „Perfect Life“ aus der Feder von Lindy Robbins. Die US-Amerikanerin schrieb bereits Hits für David Guetta („Dangerous“), Jason Derulo („Want To Want Me“) und die Backstreet Boys („Incomplete“).
Es wurde „Perfect Life“ aus der Feder von Lindy Robbins. Die US-Amerikanerin schrieb bereits Hits für David Guetta („Dangerous“), Jason Derulo („Want To Want Me“) und die Backstreet Boys („Incomplete“). © Getty Images | Sascha Steinbach
Gemeinsam mit Moderatorin Barbara Schöneberger nimmt Levina das Urteil der Jury entgegen. Die waren sich stets einig – und fanden nichts zu kritisieren.
Gemeinsam mit Moderatorin Barbara Schöneberger nimmt Levina das Urteil der Jury entgegen. Die waren sich stets einig – und fanden nichts zu kritisieren. © dpa | Sascha Steinbach
Als letzten Konkurrenten ließ Levina Axel Maximilian Feige hinter sich.
Als letzten Konkurrenten ließ Levina Axel Maximilian Feige hinter sich. © Getty Images | Sascha Steinbach
Die gebürtige Bonnerin hat bereits mehrere Preise gewonnen. Unter anderem siegte sie bei „Jugend musiziert“.
Die gebürtige Bonnerin hat bereits mehrere Preise gewonnen. Unter anderem siegte sie bei „Jugend musiziert“. © dpa | Henning Kaiser
Nachdem sie 2006 den ersten Preis beim Schülerwettbewerb der Gesellschaft für politische Bildung erhielt, stand ihr Berufswunsch fest: Sängerin. Offenbar eine gute Entscheidung.
Nachdem sie 2006 den ersten Preis beim Schülerwettbewerb der Gesellschaft für politische Bildung erhielt, stand ihr Berufswunsch fest: Sängerin. Offenbar eine gute Entscheidung. © dpa | Henning Kaiser
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Dienstältester sei er unter den ESC-Kommentatoren, sagt er – und will das möglichst noch lange bleiben. „Mr. Grand Prix“ nennen ihn viele – ein Titel, den er mit dem unermüdlichen ESC-Kämpfer Siegel gemeinsam hat. „Der Mann ist so voller Leidenschaft für diese Sache – der ESC ist wie eine Droge für ihn“, sagt Urban über den 71-Jährigen.

Zum 25. Mal ist Siegel dabei, diesmal mit San Marino. Urban musste nur einen Einsatz (2009) absagen, wegen einer Operation an der Hüfte. Acht solcher Eingriffe habe er hinter sich, erzählt der Vater einer Tochter, die gerade Abitur macht, und eines Sohnes (7. Klasse). „Den ESC wird es ewig geben“, sagt er. „Und ich fühle mich fit für die nächsten Jahre.“ (dpa)

ESC: Das sagt Levina selbst über ihren Auftritt

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