Berlin. Leiharbeit, Zeitarbeit, Aufstocker: Bei „Maybrit Illner“ traten Betroffene gegen zwei Politiker an – und ließen beide alt aussehen.

Christel Wellmann ist 58, hat vier Kinder und drei Jobs bei drei Firmen. Am Ende des Monats geht die Gebäudereinigerin mit rund 1000 Euro nach Hause. Sie sagt: „Ich liebe meinen Beruf.“ Aber der Mindestlohn in ihrer Branche werde von den Firmen oft schamlos ausgehebelt: „Da gibt es immer eine Lücke. Dann kriege ich so einen Hals.“

Maik Sosnowsky (37) arbeitet als Blutbote bei der Charité in Berlin, ist Aufstocker, kommt mit dem Verdienst gerade so hin. Sosnowsky kennt sich aus mit Subunternehmen und Zeitarbeit. Der Familienvater sagt: „Zeitarbeiter werden hin und her geschoben zwischen den Firmen.“ Mit diesem „Ringtausch“ würden Fristen trickreich umgangen.

Christine Finke (50) ist geschieden und hat drei Kinder. Die freiberufliche Autorin findet keine feste Stelle, ihr Ex-Mann zahlte lange keinen Unterhalt. Sie sagt: „Als Alleinerziehende bin ich für Firmen ein unkalkulierbares Risiko. Ich weiß, ich werde in Altersarmut leben.“

Die Kehrseite des deutschen Jobwunders

Wie die Missstände in der Arbeitswelt abzustellen wären, wusste auch Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) nicht.
Wie die Missstände in der Arbeitswelt abzustellen wären, wusste auch Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) nicht. © imago/Müller-Stauffenberg | imago stock&people

Drei von acht Schicksalen, die am Donnerstagabend bei „Maybrit Illner“ im ZDF zur Sprache kamen. Die Talkmasterin hatte zum Thema „Viel Arbeit, wenig Geld – lohnt sich Leistung heute?“ acht Betroffene eingeladen, die in der einen oder anderen Weise ihre Erfahrungen am Arbeitsmarkt gemacht haben. Um es vorweg zu nehmen: Das Format wurde zum Glücksfall.

Auch wenn die Geschichten der Zeitarbeiter und Aufstocker, die Arbeitslosen und Hartz-IV-Empfänger in den 75 Minuten nur angerissen werden konnten, so repräsentierten sie doch eindrucksvoll die Kehrseite des deutschen „Job-Wunders“ der letzten Jahre: Denn was von vielen als „flexibler Arbeitsmarkt“ gefeiert wird, bedeutet für viele Druck, Unsicherheit, drohende Armut.

Nahles und Spahn müssen kapitulieren

Zu Beginn versprach Gastgeberin Illner, in der Sendung würden „Bürger auf Augenhöhe mit zwei Politikern“ diskutieren. Diese beiden waren Bundesarbeitsministerin Andreas Nahles von der SPD und Jens Spahn (CDU), Staatssekretär im Finanzministerium. Die Sache mit der gleichen Augenhöhe gelang allerdings nicht so richtig – was eindeutig an Nahles und Spahn lag.

Ein ums andere Mal mussten die beiden Vertreter der schwarz-roten Koalition kapitulieren vor dem, was die Bürger an Erfahrungen mit Arbeitgebern, Behörden und Jobcentern so zu berichten hatten: die Tricks, um Mindestlohn zu umgehen; die Sturheit, mit der zustehende Leistungen verzögert werden; die Vorschriften, mit denen Eigeninitiative behindert wird.

Da müsse doch der Zoll eingreifen

„Ich glaube, ich war schon mal bei Ihnen zum Haareschneiden“: CDU-Politiker Jens Spahn.
„Ich glaube, ich war schon mal bei Ihnen zum Haareschneiden“: CDU-Politiker Jens Spahn. © imago/Müller-Stauffenberg | imago stock&people

Ministerin Nahles wies angesichts haarsträubender Beispiele mehrfach darauf hin, dies sei „rechtswidrig“ oder ein „Bruch des Gesetzes“. Da müsse doch der Zoll eingreifen, so gehe es ja nun wirklich nicht. Wie die Missstände aber abzustellen wären – das konnte auch Nahles letztlich nicht erklären.

Noch weniger vorbereitet zeigte sich Jens Spahn. Mehrfach verwies der Christdemokrat wenig überzeugend auf die „Flexibilität“, die etwa Zeit- und Leiharbeit doch auch brächten. Sie böten ja auch die „Chance, wieder ‘reinzukommen in Arbeit“. Die Betroffenen im Studio hatten da freilich ganz andere Erfahrungen gemacht.

Spahns Frisörin zeigt, dass es auch anders geht

Doch gegen Ende hatte auch Jens Spahn noch sein, nun ja, Erfolgserlebnis. Als Lilly Sandberg (36), Inhaberin eines Frisörsalons mit vier Angestellten im Berliner Szene-Bezirk Prenzlauer Berg erzählte, dass es auch anders geht; dass sie ihren Leuten gern den Mindestlohn zahle, weil sie gute Qualität abliefern wolle, und dass die Kunden dies auch honorierten, und dass der Laden gut laufe – da ging dem CDU-Mann ein Licht auf. „Ich glaube, ich war schon mal bei Ihnen zum Haareschneiden“, strahlte Spahn. Wie schön.

Fazit: Maybrit Illners Bürgersprechstunde war ein voller Erfolg. Die Gäste beleuchteten nachdrücklich die Schattenseiten der angeblichen Job-Maschine Deutschland. Wer ihre Berichte gehört hat, wird bei der nächsten offiziellen Arbeitsmarktstatistik, wenn erneut ein Rückgang der Quote beklatscht wird, nachdenklicher sein. Und zum anderen bewies der Auftritt von Nahles und Spahn, wie hilflos die Politiker oft sind gegenüber den Tricks und Launen mancher Unternehmer und Behörden. Ein Armutszeugnis für die Regierung.

Hier geht’s zur Sendung