Berlin. Sind die Türken in Deutschland die schlechteren Demokraten? Oder noch immer Bürger zweiter Klasse? Darum ging es bei „Maischberger“.
Die Debatte bei Maischberger kommt ein bisschen spät: Allerdings nicht eine Woche zu spät – weil das Referendum in der Türkei bereits mehr als eine Woche her ist – sondern wahrscheinlich zwanzig, dreißig Jahre zu spät.
Denn so alt sind viele jener Probleme, mit denen manche Türken in der zweiten und dritten Generation konfrontiert werden, die in Deutschland leben, aber irgendwie nicht mit dem Herzen dabei sind.
Die 63 Prozent Zustimmung, die Erdogans Präsidialsystem bei den Deutsch-Türken erhielt, hat hierzulande wieder Integrationskritiker, besorgte Pädagogen, Politiker und Wissenschaftler auf den Plan gerufen.
Auch in Deutschland gibt es viele Erdogan-Gegner
Gegen das Pauschalurteil, das Ergebnis sei ein weiteres Beispiel für die gescheiterte Integration, kämpfen Viele seither unermüdlich. So auch die SPD-Politikerin Bilkay Öney, die einmal Integrationsministerin in Baden-Württemberg war. Sie dröselt gleich zu Beginn der Maischberger-Sendung „Türken in Deutschland: Immer noch Bürger zweiter Klasse?” die Zahlen auf und verweist darauf, dass von den 1,4 Millionen Wahlberechtigten nur etwa 661.000 tatsächlich abgestimmt hätten.
Davon haben wiederum 416.000 Menschen mit Ja gestimmt, also nicht einmal eine halbe Million. Daraus nun den vielen Integrationspolitikern einen Strick zu drehen und die Integration wieder einmal für gescheitert zu erklären, findet Öney falsch: „Auch hier in Deutschland gibt es eine sehr große Erdogan-Gegnerschaft.“
Türkischer Name, keine Wohnung
Eine starke Stimme in der Runde hatte der Schauspieler Tayfun Bademsoy, bekannt aus „Tatort“ oder „Traumschiff“, der sehr persönlich von seiner Kindheit und Jugend im Deutschland der 1970er-Jahre erzählte.
Wie ihn etwa früher in der Schule alle Faulpelz genannt hätten, was mit seiner Herkunft zu tun hatte. Wie er viel später, schon als angesehener Schauspieler an der Schaubühne, noch immer keine Wohnung in Berlin gefunden hätte, weil sein Name türkisch war. Integration hat viel mit Gefühlen und deren Verletzung zu tun, auf die sich Gesetze und die Zivilgesellschaft oft viel zu langsam einstellen.
„Kanake, Kümmeltürke und Kameltreiber“
Die Wahl Erdogans sei nur eine Gegenreaktion auf die jahrzehntelange Diskriminierung der Türken in Deutschland, glaubt Bademsoy. „Beleidigungen wie Kanake, Kümmeltürke und Kameltreiber waren normal und haben auch die Saat gelegt für die heutige Ablehnung von Deutschland”. Er sieht die Schuld aber auch bei den Türken selbst, die teilweise kein Interesse an Integration hätten.
Hier bringt die Sendung Mezut Özil ins Spiel, der in einer neuen Autobiographie erzählt, er habe bis zu seinem vierten Lebensjahr zwar in Deutschland gelebt, aber kein Wort Deutsch gesprochen, da das Erlernen der Landessprache schlicht nicht nötig war. Weshalb Maischberger dann auch etwas dramatisch fragte: „Ist Mesut Özil das typische Beispiel für verfehlte Integration?“
Klöckner und Özdemir auf einer Linie
Wohl kaum, der Mann ist ein international gefeierter Fußballstar, er twittert auf vier Sprachen und hat einen eigenen Steuerhinterziehungsskandal, was heute ja irgendwie auch heißt, dass man es geschafft hat.
Julia Klöckner, die CDU-Landeschefin von Rheinland-Pfalz, stellte unterdessen die gesamte Doppelpass-Politik infrage. Sie wählte für ihre Kritik an den Deutsch-Türken fast die gleichen Worte wie der Grünen-Politiker Cem Özdemir nach dem Referendum im ARD-Morgenmagazin vor gut einer Woche: Es gehe absolut nicht, dass Menschen in einem demokratischen Land mit freien Wahlen leben und dann mithelfen, in einem anderen Land, in dem sie schon lange nicht mehr leben, die Demokratie abzuschaffen.
Zahlentechnisch sind alle Gäste gut vorbereitet
Bestimmend an diesem Abend bei Maischberger sind die vielen Zahlen, mit denen hantiert wird. Die kommen von der Islamwissenschaftlerin Susanne Schröter, aber auch von den anderen Gästen, von Bilkay Öney, Tayfun Bademsoy und Ozan Ceyhun, dem obligatorischen AKP-Politiker, der in einer solchen Runde nicht fehlen darf.
Proteste gegen Erdogan nach Referendum
Alle Diskutanten sind zahlentechnisch extrem gut vorbereitet. Was am Ende mehr zählt als Zahlen, mit denen man Misserfolge und Errungenschaften von Integration misst und politische Forderungen untermauert, die sich daraus ableiten lassen, sind persönliche Erfahrungen wie sie Bademsoy schilderte.
Emotionales Problem mit großen politischen Implikationen
Dass sich ein Teil besonders der jungen Türken auch heute noch von den Angeboten der deutschen Gesellschaft nicht angesprochen fühlt, ist in erster Linie wohl ein emotionales Problem – mit großen politischen Implikationen. Und so lange Rassismus in weiten Teilen der deutschen Gesellschaft verankert ist, ist dieses Thema die Stellschraube, an der zu drehen womöglich am fruchtbarsten wäre für alle Integrationsmühen.