Berlin. Sandra Maischberger klagt über zu viele Bedenken bei der Auswahl der Talk-Gäste. Heute sitzen bei ihr 100 Bürger zur Publikumsdebatte.

Politiker nur als Randfiguren in einer Politik-Talkshow: Sandra Maischberger lässt das Thema soziale Gerechtigkeit in der „Publikumsdebatte“ von Menschen diskutieren, die sich auf Aufrufe hin beworben haben (ARD, Mittwoch, 23.30 Uhr). „Das Thermometer in die Bevölkerung halten“, nennt Sandra Maischberger das. Im Interview mit Lars Wienand sprach sie über schlechte und besonders gute Talkgäste, ihre Skepsis gegenüber Facebook und wieso die AfD lange Zeit oft Gast war und der Klimawandel kein Thema in den Talkrunden ist.

Sie laden zum zweiten Mal das Publikum ein zur Debatte. Wie sehr beschäftigen Sie sich sonst mit der Publikumsmeinung? Lesen Sie Tweets und Facebook-Kommentare?

Sandra Maischberger: Sicher. Was in den sozialen Netzwerken passiert, ist eine wichtige Facette. Aber auch ein ungenügendes Spiegelbild des gesamten Meinungsspektrums. Auf Facebook sind doch sehr stark die vertreten, die wütend sind und die eine bestimmte Haltung formulieren. Ich denke, viele mit liberalerem Verständnis haben aufgehört, überhaupt noch zu schreiben, weil sie mit großem Furor niedergemacht wurden. Ich mache nicht den Fehler, dass ich denke, das, was da auf Facebook steht, ist jetzt die Meinung aller. Und Feedback bekommen wir ja auch immer noch viel in E-Mails und Briefen, und es gibt Menschen, die mich auf der Straße ansprechen.

Was muss jemand mitbringen, um in der Publikumsdebatte zu sitzen?

Maischberger: Auf unsere Aufrufe hatten sich sehr viele Interessierte gemeldet, das Thema soziale Gerechtigkeit bewegt offenbar ganz viele Menschen. Wir haben viele Gespräche geführt und jetzt mit 100 Gästen einen guten Querschnitt, von Rentnern über Alleinerziehende, Mindestlohnempfänger bis hin zu Unternehmern, die Mindestlohn zahlen. Es sind Menschen, die aus eigener Erfahrung ohne Scheu etwas erzählen können oder einen eigenen Leidensdruck haben, die etwas sagen oder loswerden wollen.

Was bringt so eine Runde im Gegensatz zu einer Runde mit Profis?

Im November hatte Sandra Maischberger zum ersten Mal mit der „Publikumsdebatte“ experimentiert. Das Format wird nun fortgesetzt.
Im November hatte Sandra Maischberger zum ersten Mal mit der „Publikumsdebatte“ experimentiert. Das Format wird nun fortgesetzt. © imago/Horst Galuschka | imago stock&people

Maischberger: Eine andere Einsicht in ein Thema. Viele Diskussionen, die wir führen, werden auf sehr hohem Expertenniveau geführt, das ist auch wichtig im politischen Diskurs, weil man politische Fragen am Ende zu einer Entscheidung bringen muss. Die Publikumsdebatte ist eher der Versuch, das Thermometer hineinzuhalten in die Stimmung der Bevölkerung, um herauszufinden, wie denken die Menschen. Insofern sind das zwei unterschiedliche Ansätze, die sich im besten Fall ergänzen.

Nach der ersten Ausgabe haben Sie gesagt, die Menschen im Publikum seien so gut gewesen, besser als mancher Profi. Wie denn?

Maischberger: Diese Gäste haben ein wirkliches Interesse an der Sache, weil es sie selbst betrifft und deshalb haben die zum großen Teil mit einer Leidenschaft – aber auch mit der rhetorischen Fähigkeit – gestritten um etwas, was ihnen auch wirklich wichtig ist. Ein Thema, nicht ihre Person.

Und das leisten Politiker als Studiogäste oft nicht...

Maischberger: In unserer repräsentativen Demokratie ist es ja doch häufig so, dass Politiker den Standpunkt stellvertretend für eine Gruppe von Menschen formulieren. Wir versuchen natürlich, die einzuladen, die das mit einer gewissen Leidenschaft machen, denen man abnimmt, es ist auch ihre Sache. Aber manches wirkt eben etwas phrasenhaft oder formelhaft. Wir versuchen, Gäste zu vermeiden, die ohne innere Überzeugung sprechen. Manchmal sind sie aber dann doch da.

Und die, die das nicht tun, sind ständig irgendwo Gast.

Maischberger: Dafür werden auch wir kritisiert, aber da wissen wir, da steht hinter dem Standpunkt auch eine Haltung, die fundiert ist, und die Person ist dann auch rhetorisch noch begabt. Bei den Linken sticht da zum Beispiel Sahra Wagenknecht heraus. Das ist sicher eine Politikerin, die das, was sie sagt, auch meint und die ihr Argument mit einer gewissen Leidenschaft und rhetorisch gekonnt vertreten kann. Auch bei Wolfgang Bosbach wird viel gelästert, er sei immer in Talkshows. Aber eine ganze Weile hat er den konservativen Standpunkt in der Union ganz alleine vertreten, mit großer Überzeugung, und er hat auch die Fähigkeit, gut zu formulieren.

In der Publikumsdebatte geht es mit Arbeit und Soziales um ein Thema, das offenbar in den vergangenen Monaten in den Talkshows…

Maischberger: Jetzt kommen Sie nicht mit dem uns allen bisher nicht näher bekannten SPD-Bundestagsabgeordneten...

Doch. Marco Bülow hat 224 Talkshows seit Oktober 2015 ausgewertet. Die Fokussierung auf das Thema dürfte ihn freuen, er hat beklagt, dass soziale Themen viel zu selten vorkommen.

Maischberger: Ich habe die komplette Studie noch nicht gelesen. Er hat in jedem Fall einen Zeitraum gewählt, der außergewöhnlich war: eine Millionen Flüchtlinge kamen zu uns, das haben wir tatsächlich immer wieder thematisiert. Wir sind der festen Überzeugung, dass eine aktuelle Talkshow das aufgreifen muss, was die Menschen in dem Moment am meisten bewegt. Das war die Flüchtlingssituation mit allen verwandten Fragen von Integration bis zu EU-Politik. Dann die für die Deutschen relativ neue Erfahrung eines Terrors von einer islamistischen Seite. Wenn 10.000 Menschen am Wochenende über die Grenze kommen, kann ich schlecht den Klimawandel thematisieren oder die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau. Wir versuchen schon, uns an Aktualität zu orientieren.

Gibt es denn Themen, die Sie gerne behandeln würden?

Maischberger: Die Talkshow wird besonders dann von den Menschen gesehen werden, wenn es etwas gibt, was sie gerade in diesem Moment beschäftigt. In diesen Tagen müssen Sie nur „Erdogan“ sagen und haben gleich die ungeteilte Aufmerksamkeit eines großen Publikums. Natürlich gehen manchmal andere Themen unter, auch so große, globale Themen wie der Klimawandel, etwas, was mir persönlich stark am Herzen liegt. Aber gerade der Klimawandel ist als Thema meiner Meinung nach besser in Dokumentationen zu behandeln, als in einer kontrovers ausgerichteten Debatte. In den letzten Monaten hatten wir permanent diese großen Themenlagen. Es waren einfach sehr drängende, aktuelle Fragen, mit denen wir uns damit beschäftigt haben, und die Menschen sind uns da gefolgt.

Und diese drängenden Fragen wurden sehr oft an AfD-Vertreter gestellt.

Maischberger: Beim Flüchtlingsthema oder in der EU-Opposition war die AfD zum Teil die einzige Stimme im parteipolitischen Feld, die tatsächlich Fundamentalopposition betrieben hat. Ich kann nur Sendungen machen, wenn ich auch das thematisiere, was eine andere Meinung ist und die dann zu Wort kommen lasse. Das war in dieser Zeit sehr stark die AfD. Außerdem kann ich nicht Parteien ignorieren, die aus dem Stand heraus mit 15 Prozent oder 20 in ein Parlament ziehen. Ich meine aber, gerade Talkshows sind dazu geeignet, dass sie die Menschen anders als auf Facebook aus ihrer eigenen Meinungsblase herausholen und sie mit anderen Ansichten konfrontieren.

Und jetzt haben sich die Zeiten wieder geändert, Sie machen einen Publikumstalk zu sozialer Gerechtigkeit, und die AfD beklagt sich, kaum noch eingeladen zu werden.

Maischberger: Dass wir sie jetzt angeblich schneiden ist genauso ein blühender Unsinn wie, dass wir sie davor überrepräsentiert waren. Da jetzt die Kernthemen der AfD nicht so aktuell sind, kommt sie seltener vor. Das ist normal, es liegt in der Natur der Sache, dann jemanden einzuladen, wenn es um das Kernthema der Partei geht. Es hat auch niemand nachgezählt, wie oft die FDP oder die Grünen eingeladen sind.

Doch, Zapp hat das im November gemacht, und bei Ihnen waren demnach am häufigsten Grüne zu Gast.

Maischberger: Tatsächlich? Wir zählen das nicht. Wir suchen zu einem Thema einen bestimmten Standpunkt und laden dann ein.

Und wie stehen Sie zur Frage, die AfD bei anderen Themen zu stellen?

Maischberger: Finde ich auch, haben wir schon gemacht, zum Beispiel zum Thema Familie oder Gender. Wenn es jetzt um die Fragen sozialer Gerechtigkeit oder Steuern geht, könnten wir uns das auch gut vorstellen. Aber da ist es nicht zwingend. Ich betrachte die AfD als eine Stimme im politischen Feld. Die ist bei uns dann gefragt, wenn es zum Thema eine Position gibt, von der wir glauben, dass es wichtig ist, dass sie dann auch im Wettstreit der Meinungen und Ideen vorkommt.

Wie weit geht das?

Maischberger: Ich frage mich manchmal, wovor wir alle so viel Angst haben. Wir haben immer Strömungen gehabt, die radikaler waren, und meine Haltung dazu ist ganz klar. Es ist immer besser, sie zu konfrontieren und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. So bin ich aufgewachsen mit „Live aus dem Schlachthof“ (ein erfolgreiches Jugendmagazin des Bayerischen Rundfunks, Maischberger moderierte ab 1989 nach dem Ausstieg Günther Jauchs, Anm. d. Red.). Es gab zwar auch einen Aufschrei, aber damals wurde auch die Wiking-Jugend eingeladen, weil das eine Strömung war, mit der man sich auseinandersetzen musste. Wir fanden das richtig. Heute gibt es schon im Vorfeld unheimlich viele Bedenken, es ist mühsam manchmal.

• Maischberger. Die Publikumsdebatte. Mittwoch, 5. April, 23.30 Uhr, ARD.