Berlin. Nazi-Methoden, Rechtstaatlichkeit und der Fall Yücel: Bei Anne Will traf Kanzleramtschef Peter Altmaier auf einen türkischen Kollegen.

  • Nazi-Methoden, Rechtstaatlichkeit und der Fall Yücel
  • Bei Anne Will traf Kanzleramtschef Peter Altmaier auf einen türkischen Kollegen

Westeuropa ist zur Arena der türkischen Innenpolitik geworden. Um sein Präsidialsystem durchbringen zu können, lässt Präsident Recep Tayyip Erdoğan in der EU bei den wahlberechtigten Türken um ein „Ja“ beim anstehenden Verfassungsreferendum werben. Die Wahlkampftermine seiner Minister sind dabei allerdings nur nebensächlich.

In der Hauptsache sollen die Europäer gezwungen werden, die Veranstaltungen und damit Freiheitsrechte einzuschränken. Das schwächt die Moral der EU und stärkt Erdoğans Erzählung vom „Wir“ in der Türkei“ und „denen da draußen“ in Europa.

Der Streit ist die jüngste Eskalation in einem zunehmend belasteten Verhältnis, von dem insbesondere Deutschland betroffen ist. „Welcher Weg führt aus der Krise?“, fragte passend dazu am Sonntagabend Anne Will. Als Gäste hatte sie mit Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) und dem türkischen Minister für Sport, Akif Çağatay Kılıç, je einen Vertreter der beiden Seite eingeladen.

Neu verpackte Nazi-Vorwürfe

Kılıç trat erwartungsgemäß als Sprecher von Erdoğan und als Kritiker von Deutschland auf. „Es werden die ganze Zeit negative Nachrichten über die Türkei verbreitet“, ärgerte sich der teilweise in Siegen aufgewachsene AKP-Politiker. Mit Blick auf die Auftrittsverbote deutete Kılıç eine politische Motivation an: Frühere Wahlkampfveranstaltungen mit türkischen Politikern seien schließlich kein Problem gewesen, plötzlich aber gebe es Bedenken und Absagen.

Die unlängst von seinen Amtskollegen gegen Deutschland geäußerten Nazi-Vorwürfe relativierte der Minister zwar, behielt sie aber grundsätzlich bei. „Es wurde gesagt, dass Deutschland Methoden benutzt hat, die an Nazi-Methoden erinnern“, verpackte Kılıç die Äußerungen neu. Auf die Frage, was genau damit gemeint sei, blieb er allerdings recht vage und verwies die Verbote, die aber nur für Regierungsmitglieder und nicht für die türkische Opposition gelten würden.

Kılıç: „Wir sind ein Rechtstaat“

Insgesamt verfolgte Kılıç in seinen Äußerungen eine Linie, die aus einer Mischung aus Vorwürfen und latenter Verletztheit bestand. Dazu gehört auch, die Kritik an der Türkei zu verneinen und gleichzeitig in einen illegitimen Kontext zu setzen. „Wir sind ein Rechtstaat“, sagte der Minister zwischendurch fast trotzig. Justiz und Presse seien selbstverständlich frei. Auf der anderen Seite aber seien die Ausländerfeindlichkeit und die Islamophobie in Europa „leider stark“, befand Kılıç.

Altmaiers Balanceakt

Peter Altmaier parierte die Vorwürfe überwiegend souverän. Im Gespräch mit Kılıç gelang es ihm, einerseits diplomatische Zurückhaltung zu wahren und so etwa nicht direkt das geplante Präsidialsystem als undemokratisch zu brandmarken. An entscheidenden Stellen übte der Kanzleramtsminister aber auch deutliche Kritik. „Ich kenne kein anderes Land in Europa, wo gegenwärtig so viele Journalisten inhaftiert wären“, sagte er etwa. Außerdem sei fraglich, ob die Justiz unabhängig sei. Die Nazi-Vergleiche nannte Altmaier „nicht im entferntesten angemessen“ und „nicht gerechtfertigt“.

Wie sehr die Vorstellungen von Demokratie zwischen der türkischen und der deutschen Regierung auseinanderklaffen, machte Altmaier an einer Kritik von Kılıç deutlich. Dieser hatte ein Cover des „Spiegel“ mitgebracht, das Erdoğan kurz nach dem Putschversuch vom Juli 2016 in fragwürdiger Pose zeigte. „Ich mag auch häufig ,Spiegel´-Titel nicht, wenn sie sich mit der Kanzlerin oder der Bundesregierung beschäftigen“, sagte Altmaier. Aber das sei nun mal Pressefreiheit „Die Presse schreibt das, was sie möchte und nicht das, was eine Regierung ihr vorschreibt.“

Der Fall Yücel

Diese Feststellung war die perfekte Überleitung zu Deniz Yücel. Für Kılıç ist der Fall des in der Türkei inhaftierten deutsch-türkischen Journalisten klar: „Yücel ist keine politische Geisel der türkischen Regierung“, sagte der Minister. Vielmehr habe ein unabhängiges Gericht entschieden, dass er in Untersuchungshaft zu nehmen sei. „Der Fall Yücel ist ein schwerwiegender Vorgang“, warnte dagegen Altmaier. Je schneller er geklärt werde, desto besser für alle Beteiligten. Allerdings sei noch immer nicht ersichtlich, was genau dem Korrespondenten der Welt eigentlich vorgeworfen werde. „So lange das nicht passiert, gilt Yücel für mich als unschuldig.“

Am Ende der Diskussion wurde deutlich, dass es wohl viele Jahre dauern wird, bis sich das Verhältnis zur Türkei wieder normalisieren wird. „Es muss noch sehr viel Porzellan, das zerbrochen worden ist, aus dem Weg geräumt werden“, sagte Altmaier. Das Verständnis für die Türkei sei hierzulande zuletzt deutlich gesunken.

• Zur Ausgabe von „Anne Will“ in der ARD-Mediathek.