Berlin. Der Schlecker-Prozess befeuert die deutsche Gerechtigkeitsdebatte – und liefert Stoff für einen Schlagabtausch bei „Hart aber fair“.

Natürlich ist es tragisch. Selbst die Gewerkschafterin, die sich eben noch so in Rage geredet hatte, zeigte plötzlich Mitleid. „Schlecker hat in der Spitze 50.000 Menschen beschäftigt und den Karren so gegen die Wand gefahren“, sagte die ehemalige Verdi-Chefin in Baden-Württemberg, Leni Breymaier.

25.000 Mitarbeiter verloren ihren Job – und der 72-jährige Firmengründer Anton Schlecker muss sich seit Montag vor Gericht verantworten, fünf Jahre nach der Insolvenz seines Unternehmens.

Thema Gerechtigkeit könnte wahlentscheidend sein

Es ist der wohl spektakulärste Wirtschaftsprozess der vergangenen Jahre, den Frank Plasberg am Montagabend aufgriff, um über Gerechtigkeit in Deutschland zu diskutieren. Ein Thema, mit dem SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz in kürzester Zeit seine Partei begeisterte, die Union in Umfragen einholte – und das wahlentscheidend sein könnte.

Es ist Zufall, dass der Schlecker-Prozess gerade in diesem politischen Umfeld stattfindet. Und doch passt der Vorwurf, der Firmenpatron habe trotz drohender Zahlungsunfähigkeit eine Millionensumme beiseitegeschafft, zum Gefühl vieler Menschen, dass die Balance zwischen unten und oben nicht mehr stimmt.

„Nur wer sich wehrte, wurde nicht betrogen“

Doch wer war Anton Schlecker?

Der Journalist Günter Wallraff zeichnete in Plasbergs Runde das Bild eines einsamen Autokraten, der sich mit seiner Familie von der Außenwelt abgeschottet hat.

Enthüllungsjournalist Günter Wallraff zeichnet bei „Hart aber fair“ ein klares Bild des ehemaligen Drogerieketteninhabers Anton Schlecker.
Enthüllungsjournalist Günter Wallraff zeichnet bei „Hart aber fair“ ein klares Bild des ehemaligen Drogerieketteninhabers Anton Schlecker. © dpa | Dirk Borm

„Er war ein Geizhals“, sagte die Gewerkschafterin und SPD-Politikerin Breymaier. Das System Schlecker beschrieb sie so: Unqualifizierten Frauen wurde systematisch zu wenig Lohn bezahlt – erst bei eingereichten Klagen knickte die Betriebsführung ein. „Nur wer sich gewehrt hat, wurde nicht um sein Geld betrogen“, sagte Breymaier.

Schlecker haftet mit Privatvermögen

Da Anton Schlecker sein Imperium als eingetragener Kaufmann – und nicht als GmbH – führte, haftet er nun auch mit seinem Vermögen.

„Schlecker hat nicht begriffen, dass er gegen die Wand fährt – eine menschliche Tragödie“, sagte der Unternehmer Hans Rudolf Wöhrl. Das Prinzip des Tante Emma-Ladens habe sich überlebt, Schlecker hielt trotzdem daran fest.

Unschuldsvermutung gilt auch für Schlecker

Für viele der sogenannten Schlecker-Frauen ist es eine Genugtuung, dass ihr Ex-Chef sich nun vor Gericht verantworten muss. Sie wurden um Geld und ihre berufliche Zukunft betrogen – und hoffen nun auf Strafe.

Doch Genugtuung kennt der Rechtsstaat nicht. „Für die Justiz ist wichtig, dass ein Verdachtsmoment vorlegt, der zur Aufklärung führen muss“, sagte Oberstaatsanwalt a. D., Hans Richter. „Es gilt auch hier die Unschuldsvermutung“, sagte der Jurist. Schlecker sei nicht verurteilt – nur angeklagt.

Die „Anschlussverwendung“ der Schlecker-Frauen

Dabei sorgte der Fall Schlecker schon kurz nach der Insolvenz für politischen Wirbel. Der damalige FDP-Wirtschaftsminister rief die Schlecker-Frauen dazu auf, „Anschlussverwendung“ zu finden. Und zwar alleine.

„Eine sprachliche Verwirrung, die nur schwer erträglich war“, ätzte FDP-Vize Wolfgang Kubicki in Plasbergs Runde.

FDP hatte Verhandlungen platzen lassen

Und trotzdem geriet der Liberale schnell ins Kreuzfeuer. Denn es war seine Partei, die die Verhandlungen über eine Transfergesellschaft platzen ließ – und damit die Arbeitslosigkeit der Schlecker-Mitarbeiter besiegelte.

„13.000 Mitarbeiter standen auf der Straße, und die FDP ist schuld“, giftete Verdi-Chefin Breymaier. Kubicki keilte zurück: „Das Land Baden-Württemberg hätte es gerne alleine machen können.“

Es gebe gute Gründe für befristete Verträge

Doch Frank Plasberg wollte auf etwas anderes hinaus: Die Frage nämlich, ob der Fall Schlecker – ähnlich wie Millionen-Boni für erfolglose Manager – ein Symbol dafür sei, dass es in Deutschland nicht mehr gerecht zugeht.

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Die Zahlen liegen auf dem Tisch: Im Jahr 2015 waren 42 Prozent aller Neuverträge befristet. Doch was heißt das eigentlich? FDP-Mann Kubicki sagte, dass es viele Gründe dafür gebe – etwa wenn junge Unternehmer nicht wüssten, dass sie auf dem Markt mit ihrem Produkt bestehen werden.

Was ist Gerechtigkeit?

„Alle Verträge sind befristet – denn wenn es die Firma nicht mehr gibt, gibt es auch den Arbeitsplatz nicht mehr“, stimmte Unternehmer Hans Rudolf Wöhrl zu.

Und überhaupt: Was ist Gerechtigkeit? Der Liberale Kubicki legte klug dar, warum der Begriff in der politischen Debatte so schwierig sei. „Jeder versteht darunter etwas anderes.“ Auch er finde es nicht gerecht, was Manager oder Profi-Sportler verdienten – doch jeder habe davon eine andere Auffassung und es sei nicht Aufgabe des Staates, das zu regulieren.

„Anstand ist keine rechtliche Kategorie“

Das gelte auch für Ex-VW-Chef Martin Winterkorn, der vom Autobauer eine umgerechnete Betriebsrente von 3100 Euro erhält – pro Tag.

„Anstand ist eine Kategorie, die wir nicht rechtlich erzwingen können“, sagte Kubicki.

Klare Worte – die die linke Seite aber zum Toben brachten. Der Journalist Wallraff forderte, Manager-Gehälter zu deckeln. Das könne etwa das 20- oder 30-fache des untersten Lohns im Unternehmen sein. So bestehe ein Anreiz, die Löhne zu erhöhen. Und auch SPD-Politikerin Leni Breymaier zeigte sich überzeugt davon, dass irgendwann die Manager-Gehälter in Deutschland gedeckelt werden.

Doch die Jobs bei Schlecker hätte auch das nicht gerettet.

Die ganze Folge „Hart aber fair“ sehen Sie in der ARD-Mediathek.