Berlin. Anne Will ist ihr Talk zur Steinmeier-Wahl am Sonntagabend entglitten. Die Rolle der Moderatorin übernahm zeitweise Hannelore Kraft.

Ab dem 19. März ist er der neue Mann im Schloss Bellevue – aber ist Frank-Walter Steinmeier auch der richtige Bundespräsident? Diese Frage warf Anne Will am Sonntagabend auf. Eine Sendung, deren erste Hälfte müßig und ermüdend gewesen ist. Schließlich war der 12. Bundespräsident zu diesem Zeitpunkt gewählt, und auch die Runde im ARD-Talk konnte dieses politische Großereignis nicht zurückdrehen. Insofern waren es über weite Strecken verschenkte Sendeminuten.

Angekündigt hatte die Redaktion mit den Gästen darüber zu sprechen, welche Akzente der neue Bundespräsident setzen sollte. Flüchtlinge, Syrien, Ukraine, Trump, die EU oder auch das Verhältnis zu Russland – die Weltlage diktiert eigentlich die Themen, die sich ein internationaler Staatsmann wie Steinmeier vorknöpfen sollte. Der Moderatorin aber entglitt die Sendung im Verlauf zusehends.

Unfreiwillig komische Momente

Man drehte sich im Kreis. Nachdem alle Gäste – sogar Gregor Gysi, dessen Partei den einzigen halbwegs ernstzunehmenden Gegenkandidaten Christoph Butterwegge aufgestellte hatte – mindestens ein Mal beteuert hatten, dass Steinmeier als Konsens-Kandidat eben der Richtige sei, drehte sich der Talk vor allem um die AfD. Das führte zu einigen unfreiwillig komischen Szenen. So wies der Chefredakteur von „WeltN24“, Ulf Porschardt, berechtigterweise darauf hin, dass man es Populisten nicht zu einfach machen sollte, indem der Eindruck erweckt würde, dass die Wahl des Bundespräsidenten eine im Hinterzimmer ausgehandelte Farce wäre.

Nicht zu erklären war die überdrehte Reaktion von CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer, der zu einer flammenden Gegenrede ansetzte: Es sei unmöglich, dass er, Porschardt, den Eindruck erwecke, dass Politik nur durch Deals im Hinterzimmer gemacht werde. Der Schönheitsfehler dieses Verbalangriffs: Der Journalist hatte das nie behauptet, ganz im Gegenteil. Porschardt quittierte das mit einem etwas fassungslosen Lacher.

Hannelore Kraft übernimmt Rolle von Anne Will

Die klarste Haltung in der Sendung nahm die stellvertretende SPD-Vorsitzende Hannelore Kraft ein. Und sie übernahm zeitweise auch die Rolle, die Anne Will eigentlich hätte ausfüllen sollen. „Sprechen wir eigentlich über die AfD oder den Bundespräsidenten“, fragte die Ministerpräsidenten des einwohnerstärksten Bundeslandes in einem der Momente, in denen die Diskussion zerfaserte. Und stellte fest, endlich wieder beim Thema des Tages angekommen: „Ich glaube, dass Steinmeier der richtige Präsident ist. In diesen Zeiten, in denen es darum geht, dass Gesellschaft zusammenhält, brauchen wir Brückenbauer und Leute, die Menschen mitnehmen können. Und das kann er.“ Es brauche ein Signal für den Zusammenhalt in der Gesellschaft.

Hier hätte es um Steinmeiers Vita gehen können, um den Aufstieg des Sohnes eines Tischlers und einer Fabrikarbeiterin, der seine Doktorarbeit über die Bekämpfung der Obdachlosigkeit geschrieben hat. Es hätte um den sozialen Impuls dieses weltläufigen, internationalen Bundespräsidenten gehen können, seine Erfahrung im Ausland, seine Vorzüge und Stärken. Nur das ging es leider nicht.

„Mehr Mut zu sagen, was ist“

Stattdessen schaltete Scheuer schon mal in den Wahlkampf-Modus. Und packte seine Greatest Hits aus: Scharf kritisierte er zum Beispiel den neuen Außenminister Sigmar Gabriel, der das Amt übernehme, um mehr Zeit für die Familie zu haben. Ein Satz, den er so oder so ähnlich schon in der einen oder anderen Talkshow fallen ließ.

Ein überzeugendes Argument für den künftigen Bundespräsidenten hatte Scheuer dann aber doch, als Will die Frage aufwarf, ob ein Berufspolitiker besser geeignet für das Amt sei als zum Beispiel ein Künstler: „Ein großes Plus ist: Er kann direkt an den Start gehen und braucht keine lange Einarbeitungszeit.“

„Wir brauchen den Mut zu sagen, was ist. Auch was nicht ist“: Das hatte der neu gewählte Bundespräsident bei seiner ersten Rede nach der Wahl gesagt. Mehr Mut zur stringenten Diskussion wäre auch für diese Sendung ein Gewinn gewesen.