Essen. Der neue „Tatort“ aus Wien klagt die Leistungsgesellschaft an. Harald Krassnitzer und Adele Neuhauser sollen eine Bluttat verhindern.
Dieser „Tatort“ aus Wien will anders sein, man merkt es sofort. Es geht schon damit los, dass überhaupt niemand ermordet wird. Es wird vielmehr die Tötung zweier Menschen angekündigt.
Ein junger Mann filmt sich dabei, wir sehen bildschirmfüllend sein Gesicht, im Hintergrund die Düsternis irgendeines abgelegenen Ortes. Er stellt sich vor: Er heiße David Frank, habe seine Eltern entführt und beabsichtige sie zu töten, um sich im Anschluss selbst das Leben zu nehmen. Obwohl er sagt, er habe dafür „gute Gründe“(„kein Amoklauf, keine Affekthandlung, keine Rache, keine religiös-ideologisch motivierte Tat“), will er seine Motive zunächst unerklärt lassen. Aber im Internet auf die Tat hinweisen, das will er schon mal tun.
Botschaft mit Sozialkritik
Wir fragen uns, ob die Mordkommission, vertreten durch Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser) in solchen Fällen überhaupt zuständig ist. Aber wir haben uns ja in Sachen Realismus eine gewisse Genügsamkeit antrainiert beim „Tatort“-Konsum über all die Jahre, und so wischen wir den Gedanken beiseite.
Zumal jetzt natürlich auch erst einmal großes Rätselraten herrscht, was den jungen Herrn (Aaron Karl) zu solch wüsten Plänen treibt, Sohn eines renommierten Mathematik-Professors, der tatsächlich mitsamt seiner Ehefrau unauffindbar verschwunden ist. Eisner und Fellner besichtigen die luxuriöse Villa des Paars. „Hier ist es kalt, obwohl geheizt ist“, sagt Fellner.
Süchtig aus Vernunft
Und darum soll es in diesem von Botschaft und Sozialkritik völlig überfrachteten Krimi nun gehen: um die Kälte der Leistungsgesellschaft, um die Entfremdung der zwar ehrgeizigen, aber heillos überforderten Nachfolgegeneration, die keine Rebellion mehr kennt, sondern nur Anpassung und Panik vor dem Scheitern.
Als Beispiel dafür hält nicht nur David Frank her, sondern auch Eisners Tochter Claudia (Tanja Raunig), die sich ebenfalls entbehrungsreich durch ihr Studium zu schlagen versucht. „Wir sind süchtig aus Vernunft!“, herrscht sie ihren Vater an, nachdem sie ihm erklärt hat, sie und ihresgleichen wären nicht mehr von Marihuana oder Kokain abhängig, sondern allenfalls von Barbituraten. „Wir sind die Pflichterfüllergeneration!“
„Tatort“ aus Wien zeigt den „Schock“
Knechtschaft des Leistungsideals
Es ist einer von unzähligen Schablonensätzen, der in diesem „Tatort“ fallen. Die meisten sind für die Professorin Sarah Adler (Mercedes Echerer) reserviert, deren Vorlesungen der potenzielle Täter besuchte und die auf so hölzern-unglaubwürdige Weise über die Knechtschaft des Leistungsideals daherdoziert, dass man spontan abschalten möchte. Sie jedenfalls hat dem Täter den geistigen Überbau für seine Tat geliefert, und so ist sie es auch, die die Ermittler auf die Spur zu ihm bringt.
Fazit: Rupert Henning, der das Buch schrieb und die Regie führte, bricht nicht nur dramaturgisch mit vielen Gewohnheiten – er verfolgt auch eine Mission. So kommt es, dass man sich nach einem leidlich spannenden Finale reichlich übersättigt fühlt. Ein Einstein-Zitat im Abspann hätte es da sicher nicht auch noch gebraucht.
ARD, Sonntag, 22. Januar, 20.15 Uhr