Hamburg. Reinhold Beckmann macht zum Saisonende Schluss mit der „Sportschau“. Im Interview spricht er über seine TV-Pläne für die Zukunft.

Reinhold Beckmann bittet um Entschuldigung für seine kleine Verspätung, die Arbeit im Studio hat ihn aufgehalten. Es sind stressige Tage derzeit für den bekannten Fernsehjournalisten. Gleich drei Staffeln seiner Reportage-Reihe werden ab dem 29. November in der ARD zu sehen sein. Dann aber nimmt sich Beckmann drei Stunden Zeit, um in dem italienischen Lokal in Hamburg-Eppendorf über seine Zukunft zu reden.

Herr Beckmann, als Sie vor knapp drei Jahrzehnten mit dem „Sport im Westen“ Ihre erste Sportsendung moderierten, hieß der deutsche Teamchef Franz Beckenbauer; beim HSV kickten der heutige Vorstandschef Dietmar Beiersdorfer und der inzwischen entlassene Trainer Bruno Labbadia in einem Team. Am Ende dieser Saison werden Sie nun als Moderator der Sportschau aussteigen. Warum?

Reinhold Beckmann: Ich trage mich mit dem Gedanken schon seit ein, zwei Jahren. Für meine ARD-Reportagereihe bin ich seit Anfang 2014 fast pausenlos unterwegs, war im Nordirak, in Saudi-Arabien und in Jordanien, habe vieles gesehen und gelernt. Das sind Erfahrungen, die einen natürlich verändern. Und die einen nachdenken lassen, wo man selbst künftig für sich Schwerpunkte setzen möchte.

Mich intensiv mit Menschen und Themen auseinanderzusetzen, das reizt mich sehr. Darauf möchte ich mich in Zukunft mehr konzentrieren. Und das verlangt eben Zeit. Nächstes Jahr geht die Reportagereihe #BECKMANN weiter, ich werde also auch 2017 wieder einige Monate unterwegs sein. Unter anderem begleiten wir den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Kretschmann, so wie wir es in diesem Jahr mit Horst Seehofer und Sigmar Gabriel getan haben. Zudem will ich auch endlich mehr Zeit für mein privates Leben haben.

Ist der Zeitaufwand für die „Sportschau“ wirklich so hoch? Wir dachten, dass Sie sich nachmittags die Bundesliga-Konferenz bei Sky anschauen und dann die Spielberichte anmoderieren.

Beckmann: Das klingt schön, ist aber ein Irrtum. In Wahrheit ist eine solche Sendung mehr als nur ein Wochenend-Projekt, mit Themenplanungen, Vorbesprechungen und Redaktionskonferenzen. Zumal oft auch noch die Sonntags-Sportschau hinzukommt. Wir Moderatoren schreiben unsere Texte selbst und moderieren frei, ohne Teleprompter. Bei zwölf Wochenenden im Jahr ist das insgesamt mehr als ein ganzer Monat, der für andere Projekte fehlt.

Was hat die ARD zu Ihrem Entschluss gesagt?

Beckmann: Ach, ich glaube, es hat sie nicht überrascht. Ich hatte Axel Balkausky, dem Sportkoordinator, schon vor einem Jahr angekündigt, dass ich kürzer treten möchte. Die Sportschau moderieren können andere genauso gut. Alexander Bommes zum Beispiel ist ein echter Gewinn. Und ich glaube, dass die Sendung dringend eine Frau als Präsentatorin braucht.

An wen denken sie da?

Beckmann: Es gibt ja mittlerweile tolle Beispiele. Esther Sedlaczek bei Sky oder Laura Wontorra bei Sport 1. Aber die ARD muss gar nicht in Nachbars Garten schauen. Es gibt genügend weibliche Talente im eigenen Haus. Einfach mal was wagen. Das wird schon klappen.

Bei der Sportschau schauen Ihnen im Schnitt fünf Millionen zu. Am 29. November werden es bei Ihrem Porträt über den SPD-Politiker Sigmar Gabriel wohl eher rund 1,5 Millionen sein. Frustriert Sie das?

Beckmann: Na, das ist aber jetzt ein unfairer Vergleich. Die Sportschau mit aktuellen Spielberichten ab 18 Uhr ist etwas ganz anderes als eine gesellschaftspolitische Reportage-Reihe, die um 22:45 Uhr ausgestrahlt wird.

Mich interessieren vor allem Inhalte. Wir haben zum Beispiel auch Talksendungen mit dem Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger oder dem leider viel zu früh verstorbenen FAZ-Mit-Herausgeber Frank Schirrmacher gemacht, beides unglaublich kluge Köpfe. Dringende gesellschaftliche Themen, die wir da beackert haben. Mir war das wichtig, obwohl ich wusste, dass sie rein quotenmäßig kaum ein Brüller werden.

Sie haben in den vergangenen Monaten über sehr harte Themen Sendungen gemacht, etwa über das Elend in einem Flüchtlingslager im Irak. Wie verkraften Sie den Spagat zwischen dem Millionen-Spiel Bundesliga und extremen menschlichem Leid?

Beckmann: Da sprechen Sie einen wichtigen Punkt an, der in meiner Entscheidung auch eine Rolle gespielt hat. Vor ein paar Wochen bin ich direkt am Tag nach der „Sportschau“-Sendung von Köln nach Jordanien geflogen. Hier, schauen Sie (Beckmann zeigt auf seinem Smartphone Fotos eines kleinen Mädchens, das am Kopf schwer verwundet ist, die Red.). Das ist Aisha, neun Jahre alt.

Wir haben für unseren Film dokumentiert, wie ein plastischer Chirurg in Amman unter schwierigsten Bedingungen dieses Mädchen operiert hat. Ein begnadeter Arzt, der mit seinen Künsten in Westeuropa sehr reich werden könnte. Aber er bleibt im Land, weil er den kriegsverletzten Kindern ein bisschen Würde zurückgeben möchte. Für unsere Reportage „Gutes tun und helfen, aber wie?“ haben wir in Jordanien auch eine Stuttgarter Krankenschwester begleitet, die für „Ärzte ohne Grenzen“ Kriegsverletzte aus Syrien und dem Jemen versorgt. Solche Eindrücke kann man nicht einfach abschütteln und am nächsten Tag gleich wieder den nächsten Krisenbeitrag zum HSV anmoderieren.

Klingen diese Reportagen in Ihnen auch länger nach als früher Ihr wöchentlicher Talk?

Beckmann: Definitiv. Wir hatten in fast 16 Jahren 624 Sendungen mit 2000 Gästen. Das sind so viele Gespräche, dass man sich unmöglich sofort an jedes einzelne Thema erinnern kann. Reportagen dagegen verändern auch den Reporter. Wir haben gerade die Dokumentation „Welche Heimat? Deutsch-Türken in Almanya“ gedreht.

Als wir ein Mitglied der Gülen-Bewegung mit der Kamera begleitet haben, kam es auf der Straße zu einem lautstarken Streit mit einem zufällig vorbeikommenden Erdogan-Anhänger. Es fehlte nicht viel und es wäre zu einer Schlägerei gekommen. Was vielen nicht in diesem Ausmaß bewusst ist: Die politischen Konflikte in der Türkei drohen hier in Deutschland Familien zu zerreißen. Das geht soweit, dass Erdogan-Anhänger hierzulande dazu aufrufen, Gülen-Mitglieder in den eigenen Familien zu eliminieren. Solche Eindrücke bleiben.

Wie groß ist die Gefahr der zu großen Nähe, wenn Sie einen Politiker über Wochen begleiten?

Beckmann: Keine Sorge, es bleibt beim „Sie“, journalistische Distanz und Nahaufnahme widersprechen sich nicht. Bei Sigmar Gabriel spürt man die innerliche Zerrissenheit in der Kanzler-Kandidatenfrage. Er weiß genau, dass seine Zustimmungswerte nicht die Besten sind. Und dann die ernüchternde Erkenntnis, dass 30 Prozent der SPD-Anhänger potentielle AfD-Wähler sind. Keine gute Perspektive für einen Parteivorsitzenden, um als Kanzlerkandidat erfolgreich sein.

Winfried Kretschmann dagegen widerlegt mit seiner Mitgliedschaft im Schützenverein und im Kirchenchor alle grünen Klischees. Das mögen die Menschen. Zur Wahl von Donald Trump zum neuen US-Präsidenten sagte er mir am Mittwoch bei unserem Dreh: „Ich bin schockiert. Die Populisten haben Konjunktur. Die Wahl Trumps zum Präsidenten wird der AfD in Deutschland weitere Stimmen liefern.“ Es sind verdammt schwierige Zeiten. Viele Menschen haben das Vertrauen in die ordnende Kraft der Politik verloren. Auch in die Arbeit der Journalisten. Wir müssen deshalb gut recherchieren und gut erklären und nicht ideologisieren.

Sie tragen bei allen Produktionen das wirtschaftliche Risiko…

Beckmann: Ich war 1 ½ Jahre bei Premiere festangestellt, danach sieben Jahren bei Sat1. Das war´s mit Festanstellungen in meinem Leben. Ich wollte immer mein eigenes Ding machen, genau wie mein Vater in meiner Heimat in Twistringen bei Bremen. Er war selbstständiger Futtermittelunternehmer. So was prägt. Säckeschleppen inklusive.

Viele Produktionsfirmen klagen, dass die Budgets immer niedriger werden.

Beckmann: Qualitativ bewegen sich Dokumentationen und Reportagen bei den Öffentlich-Rechtlichen auf einem sehr hohen Niveau. Und ARD und ZDF haben Geduld mit neuen Formaten. Es dauert mitunter lange, bis sich eine neue Sendung zu einem Erfolg entwickelt. Das weiß jeder Fernsehmacher. Selbst die heute so gefeierte „Heute Show“ hat dafür länger gebraucht. Privatsender ziehen da schneller den Stecker.

Aber ein Format wie früher die „Off-Show“ mit TV-Anarcho Helge Schneider und Ihnen, wo sie im Dritten mitunter Stunden überzogen haben, wäre heute nicht mehr denkbar, oder? Wenn wir nur an die Sendung denken, wo Helge Schneider im wesentlichen Tee gekocht hat.

Beckmann: Helge und ich haben neulich nochmal zusammengesessen und in einem kleinen, verrückten Moment überlegt, ob wir dieses Format nicht noch einmal zusammen machen sollten. Der Crash der Kulturen war Wahnsinn. Filmemacher Rosa von Praunheim trifft Heinz Schenk vom „Blauen Bock“. So etwas gab es nur in der „Off-Show“. Aber da hatten wir auch einen Kulturredakteur mit einem ganz breiten Kreuz, der immer gesagt hat: Wir ziehen das durch.

Was macht der „Tag der Legenden“, das Benefizspiel zugunsten des Vereins NestWerk, der sich für Jugendliche in sozialen Brennpunkten einsetzt. 2015 gab es eine Pause, 2016 wurde wieder gekickt. Geht es 2017 weiter?

Beckmann: Ja, wir arbeiten bereits daran, dass der „Tag der Legenden“ wieder stattfinden kann. Das fertig ausgebaute St. Pauli Stadion mit jetzt fast 30.000 Plätzen zu füllen, ist eine echte Herausforderung, die enorm viel Zeit braucht. Spieler wie Marcell Jansen, Simon Rolfes, Benjamin Lauth und Timo Hildebrand, die gerade ihre Karriere beendet haben, tun dem Niveau des Spiels gut. Das Spiel war deshalb in diesem Jahr von besonderer Qualität. Da müssen wir weitermachen.

Ich hoffe, dass Miroslav Klose 2017 bei uns spielen wird. Es könnte aber schwer werden, ich weiß nicht, wie lange er als Praktikant Bundestrainer Löw bei Länderspielen zur Seite stehen will. Und die laufen ja immer am selben Wochenende.

Haben Sie neue Ideen?

Beckmann: Wir haben ja jetzt schon viele Besucher mit einem längeren Anfahrtsweg, etwa aus Rostock oder sogar Magdeburg. Das spricht für die Anziehungskraft. Wir müssen versuchen, Kooperationen mit Sportvereinen aus dem Umland zu schließen. Im Idealfall kommen dann ganze Fußballvereine mit ihren Teams zum Tag der Legenden. Das muss der Weg sein.

Herr Beckmann, lassen Sie uns zum Abschluss noch einmal über die Bundesliga reden. Können Sie sich als Fan eigentlich noch so richtig über Siege freuen?

Beckmann: Ja, ich war am Ende der vergangenen Spielzeit im Werder-Stadion bei den Abstiegs-Endspielen gegen Stuttgart und Frankfurt. Nicht als Journalist sondern als Privatmann. In meiner Heimat Twistringen hängt ja in jedem zweiten Garten eine Werder-Fahne. Die Atmosphäre war gigantisch.

Aber ich gestehe, manchmal stehe ich auch kopfschüttelnd am Spielfeldrand und fasse es nicht. Wenn Spieler nach Spielschluss in der Interviewkampfzone über ihre ewige Liebe und Treue zum Verein reden und wenig später dorthin wechseln, wo noch mehr Geld zu holen ist.

Was war Ihr prägendstes Erlebnis als Sportreporter?

Beckmann: Sicherlich das Endspiel der WM 2006, das ich kommentieren durfte, auch wenn Deutschland leider im Halbfinale gegen Italien ausgeschieden war. Und die WM 1990, mein erstes Turnier mit fünf großartigen Wochen. Wenn Sie sich heute den Sieges-Elfmeter von Andreas Brehme im Finale in Rom gegen Argentinien anschauen, sehen Sie hinter dem linken Pfosten zwei ganz kleine Figuren, die gerade die Arme hochreißen. Das waren der Kollege Uli Köhler und ich.

Erstaunlich, wie nah sich früher Reporter am Spielfeldrand während des Spiels aufhalten durften.

Beckmann: Da kann ich Ihnen noch eine andere Geschichte erzählen. Beim 2:1-Sieg der deutschen Mannschaft im Achtelfinale über die Niederlande flogen Rudi Völler und Frank Rijkaard schon in der 22. Minute vom Platz. Kollege Jörg Wontorra sagte zu mir, Becki, Du hast doch einen Ausweis für den Innenraum, wir müssen da jetzt rein.

An einem übermüdeten italienischen Ordner sind wir dann vorbei in die Katakomben, sahen Frank Rijkaard weinend auf dem Boden liegen. Bei der deutschen Kabine haben wir an der Tür geklopft, drin saß Rudi – ganz allein. Er erzählte uns , dass es auf dem Weg vom Spielfeld in die Kabine noch fast zu einer Schlägerei mit Rijkaard gekommen sei. Während draußen eines der besten Spiele der WM-Geschichte tobte, unterhielten wir uns mit Rudi Völler in der Kabine. Unvergessen! Heute würde man dafür von der Fifa über Jahre eingekerkert.

Werden sie jetzt ganz aufhören im TV-Sport?

Beckmann: Nein, ich werde dem Sport in der ARD nicht verloren gehen. Es gibt da ein paar gute Ideen, was man abseits der regelmäßigen Sportschau noch unbedingt ausprobieren sollte.

Die Termine der Reportage-Reihe: „Sigmar Gabriel und die SPD: Niedergang oder Aufbruch“ (29. 11, 22:45 Uhr), „Gutes tun und helfen, aber wie?“ (6. 12., 22:45 Uhr), „Welche Heimat? Deutsch-Türken in Almanya“ (13. 12., 22:45 Uhr)