Berlin. Devid Striesow hat ein Faible für schwere Rollen, spielt mal Nazis, mal Hape Kerkeling. Nun bekam er eine besondere Herausforderung.

Simon Keller hat eine Frau, eine Tochter, ist Vertrauenslehrer der Schule. Wenn er will, kann er mit einer so weichen Stimme reden, dass sich beim Zuhören automatisch alle Muskeln entspannen. Dass aber genau dieser Vertrauenslehrer sich kurz darauf als pädophil entpuppt, lässt den Zuschauer an dem Konzept „Menschenkenntnis“ zweifeln.

Devid Striesow (42) spielt diesen Simon Keller mit den zwei Gesichtern, zu denen sich im Laufe des Films „Das weiße Kaninchen“ noch mindestens ein drittes Gesicht gesellt. Bevor der Schauspieler an den Dreh ging, beschäftigte er sich mit den Fragen: Was ist Pädophilie überhaupt? Wie entsteht sie und wie kann ich das darstellen?

Schwierige Rollen wird er nie wieder ganz los

„Für mich ist der psychologische Aspekt spannend“, sagt er. Er habe sich bei der Recherche für diese Rolle an verschiedenen Leitsätzen orientiert, die er in wissenschaftlichen Texten gelesen hatte. „Pädophilie ist nicht heilbar“ zum Beispiel. Oder: „Emotionale Faulheit ist der Grund für Pädophilie.“ Im Film ist er dann immer wieder bei vermeintlich unschuldigen Szenen zu sehen: beim Reitunterricht, beim Eisessen. „Man überlegt plötzlich, wie vielschichtig diese oder jene Geste oder Berührung ausgelegt werden kann“, sagt Striesow, „und kann es in meinem Fall gerade auch benutzen, um frühe Verdachtsmomente aufblitzen zu lassen.“ Im Film wendet sich die 13 Jahre alte Sara (großartig: Lena Urzendowsky) verzweifelt an den Vertrauenslehrer. Sie werde erpresst mit Nacktbildern. Simon Keller gibt vor, ihr helfen zu wollen – und stößt sie immer tiefer in ihr Unglück.

Devid Striesow bewundert, wie Lena Urzendowsky diese schwere Rolle meisterte. Er merkt aber für sich, dass so etwas nicht mehr spurlos an ihm vorübergeht. „Auch die Gedanken“, sagt er, „die wir uns für eine Rolle machen, gehen in die Zellen.“ Er meint, sie finden ihren Weg in den Körper, auch wenn man sie nur für einen Film darstellt. „Wenn man eine extreme Rolle spielt, dann geht das nie an einem vorbei, das legt sich alles ins Unterbewusstsein, das macht etwas mit dir ...“

Karriere mit vielen ungewöhnlichen Rollen

Und so stapeln sich diese ungewöhnlichen Rollen in Devid Striesows Karriere (und in seinem Kopf) aufeinander, wie Umzugskisten, die nie abgeholt werden: der Nazi in „Die Fälscher“ (2008), der bisexuelle Forscher in „Drei“ (2010) oder zuletzt der wandernde Moderator in „Ich bin dann mal weg“ (2015). Um Hape Kerkeling noch ähnlicher zu sehen, musste er an Gewicht zulegen und danach wieder abnehmen – 23 Kilo in sieben Wochen. Anschließend war er wieder dick gewünscht: „Gerade habe ich ja den Luther gespielt, da musste ich mir einen dicken Hals anfuttern.“

Der Film „Das weiße Kaninchen“ deutet am Ende die Katas­trophe nur an, in die Menschen geraten, die den Falschen vertrauen – dem falschen Lehrer, der falschen Stimme, dem falschen Lächeln. Aber wem kann man trauen? Was ist authentisch? Devid Striesow sagt lächelnd: „Authentizität, das gibt es nicht. Das lernt man in der Schauspielschule.“

Sendetermin: Mittwoch, 28. September, ARD, 20.15 Uhr