Berlin. Mit ihren Gästen sprach Sandra Maischberger im ARD-Talk über die Brexit-Entscheidung der Briten. Vor allem ging es um drei Punkte.

So einig wie in der Nacht zu Donnerstag bei Sandra Maischberger ist sich die Runde in einer Talkshow sicherlich selten. Alle fünf Gäste glauben, dass die Briten am heutigen Donnerstag beim Referendum für den Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union stimmen werden. Im ARD-Talk sprach Maischberger mit dem deutsch-britischen Schauspieler Francis Fulton-Smith, Wolf von Lojowski, dem ehemaliger ARD-Korrespondent in London, ARD-Börsenexpertin Anja Kohl, Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn sowie dem Wirtschaftsjournalisten Roland Tichy über das Thema „Sprengstoff Brexit: Fliegt Europa auseinander?“.

Ob die Gäste mit ihrer Prognose Recht behalten werden? Noch vor zwei Wochen hätte zumindest ein Maischberger-Gast noch ein anderes Ergebnis der Volksabstimmung vorausgesagt. Börsenexpertin Anja Kohl ist sich sicher, dass das tödliche Attentat auf die britische Politikerin und EU-Fürsprecherin Jo Cox, „viel verändert hat“. Beim Referendum gehe es nun um mehr als um den Verbleib Großbritanniens in der EU, sagt sie. „Es geht um die Werte, für die Europa steht.“ Um was aber geht es den Briten außerdem? Drei große Punkte spielen in die Entscheidung für oder gegen den Brexit hinein:

1. Die Angst vor einem Demokratiedefizit

Vor allem sorgten sich die Briten um ihre Demokratie, meint Roland Tichy, der statt des angekündigten Schweizer SVP-Politikers Roger Köppel bei Maischberger saß. Wichtige Entscheidungen würden in Brüssel getroffen. Wofür gebe es noch Wahlen, wenn Gesetze sowieso von nichtgewählten Kommissaren in Brüssel gemacht würden, fragten sich die Briten, glaubt Tichy.

Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn kann diese Kritik nicht teilen. Immerhin habe die EU es fertig gebracht, dass in Europa seit 70 Jahren Frieden herrsche. Sie habe die Abschottungspolitik der einzelnen Staaten ab-, den Schengenraum aufgebaut und den Euro geschaffen.

2. Die Angst um wirtschaftlichen Wohlstand

Auch wirtschaftliche Überlegungen und die Angst um den eigenen Wohlstand spielen in die Entscheidung der Briten hinein. In einem eingespielten Video kommt die britische konservative Politikerin und Brexit-Befürworterin Anna Firth zu Wort. Sie plädiert dafür, die EU-Beiträge, die Großbritannien zahlt, lieber in den eigenen Binnenmarkt zu investieren. Die Mitgliedschaft in der EU sieht sie als Verlustgeschäft.

Anja Kohl widerspricht. Sie sieht wirtschaftliche Turbulenzen auf Großbritannien zukommen, sollte das Land die EU verlassen. Das britische Pfund würde abstürzen. „Dadurch, dass Großbritannien mehr importieren muss als es exportiert, ist es abhängig vom Zustrom des Kapitals“, erklärt die Finanzexpertin. „Dieses Kapital würde erst mal abwandern.“ Die Skepsis der Briten gegenüber der EU erklärt Kohl mit der „Reformunfähigkeit der Institutionen“. Die EU habe ein Glaubwürdigkeitsproblem, ist sie sich sicher.

Ein Brexit würde nicht nur die britische, sondern auch die deutsche Wirtschaft in Gefahr bringen, gibt zudem Tichy zu bedenken. „Wir brauchen Großbritannien als Partner, um wirtschaftlich aktiv bleiben zu können“, sagt er. Mit einem Brexit verlöre Deutschland einen Partner, der marktwirtschaftlich, global und demokratisch denkt.

3. Die Angst vor Bedrohung durch Einwanderung

Schließlich sei auch die Flüchtlingskrise ein Grund für die britische EU-Skepsis, glaubt Tichy. Großbritannien fühle sich bedroht von Europas Ohnmacht, Lösungen in der Flüchtlingskrise zu finden, und von der deutschen Einwanderungspolitik. Kohl sieht das ähnlich. „In der Flüchtlingskrise war die EU, dem Gefühl der meisten Menschen nach, nicht mehr existent“, beklagt sie.

Man dürfe Großbritannien allerdings nicht Ausländerfeindlichkeit vorwerfen“, warnt der London-Kenner Wolf von Lojowski. Und auch Asselborn nimmt die Briten in Schutz, zumindest zum Teil. „Die Briten sind ein Einwanderungsland“, betont er. Allerdings hätten sie sich lange Zeit die Freiheit herausgenommen, sich auszusuchen, wen sie aufnehmen. Die EU habe das zu lange durchgehen lassen. Die Flüchtlingskrise sei aber nur als Gemeinschaft zu lösen.

Wie das Referendum ausgeht, wird sich in wenigen Stunden zeigen. Lojowski befürchtet einen Dominoeffekt, sollte es zum Brexit kommen. Und auch Kohl hält im Falle des Falles eine Sogwirkung für wahrscheinlich, weil das Stimmen für den EU-Austritt der „Protest der Unzufriedenen“ sei. Asselborn nennt schon allein die Entscheidung David Camerons, das Referendum durchzuführen, einen Fehler. „Das Instrument Referendum ist eine gefährliche Sache, wenn man seine Leute nicht hinter sich weiß“, bemängelt er. „Wenn wir Europa kaputt machen wollen, sollten wir noch mehr solcher Referenden organisieren.“