Berlin. Präsident Recep Tayyip Erdogan ist heftig umstritten. Doch Streit allein reicht nicht. Anne Will zeigte, wie man’s nicht machen sollte.

Alle reden von Boateng und Gauland. Nur Anne Will nicht. Die hatte sich bei ihrem Sonntagabend-Talk für den Recep Tayyip Erdogan entschieden. Der türkische Präsident macht sein Land zu einer Art Monarchie mit sich selbst als Alleinherrscher. Er schaltet unliebsame Oppositionelle aus, lässt unliebsame Zeitungsredaktionen schließen, überzieht Hunderte Kritiker mit juristischen Klagen. Und ganz nebenbei führt er in der Flüchtlingspolitik auch noch die EU am Nasenring durch die politische Manege. Möchten Sie Recep Tayyip Erdogan zum Nachbarn haben?

Nein, das war natürlich nicht die Frage, die Will ihren Gästen stellte. Die lautete stattdessen: „Wer stoppt den Boss vom Bosporus?“

Der Erdogan-Versteher

Mustafa Yeneroglu begreift die ganze Aufregung in Deutschland nicht. Er ist Mitglied der Erdogan-Partei AKP und Abgeordneter der Großen Nationalversammlung in Ankara. „Selbstverständlich“ sei der Staatspräsident ein lupenreiner Demokrat, findet er. Und dass viele Abgeordnete der Kurden-Partei HDP auf Betreiben Erdogans ihre Immunität verloren haben? Die HDP sei nun mal „der politische Arm der PKK“, jener Terrororganisation, die seit Jahren das Land mit Anschlägen überzieht. Es gebe täglich Opfer des PKK-Terrors in der Türkei. Auch Deutschland, so Yeneroglu, habe in den Jahren des RAF-Terrors mit Antiterror-Gesetzen Bürgerrechte eingeschränkt.

Die Erdogan-Gegnerin

Sevim Dagdelen, bei der Linkspartei Sprecherin für Internationale Beziehungen. Sie arbeitet sich seit Jahren an ihrem Lieblingsfeind Erdogan ab. Für sie ist die faktische Ausschaltung Dutzender Abgeordneter „die Ausschaltung der Opposition im Parlament“ auf kaltem Weg. Dies sei eigentlich ein „Mittel von faschistischen Diktaturen“, so Dagdelen.

Sie erhielt dabei Unterstützung von Norbert Röttgen, Außenpolitiker der CDU. Er hält zwar die PKK für eine terroristische Organisation, sieht aber gleichwohl die Türkei Erdogans „auf dem Weg zu autokratischer Macht“. Der Präsident wolle „den Rechtsstaat abschaffen“, fand auch Röttgen.

Die Diskussion drehte sich im Kreis

So weit, so erwartbar. Und genau daran krankte die Diskussion. Dass es der türkische Präsident mit demokratischen Spielregeln – vorsichtig ausgedrückt – nicht so genau nimmt, steht außer Frage; wenn man nicht wie etwa AKP-Mann Yeneroglu alles durch die AKP-Brille sieht. Und dass er Kritik nicht gut verträgt, weiß man auch nicht erst seit dem Fall Jan Böhmermann. Und so drehte sich die Diskussion denn auch bald im Kreis – bevor Gastgeberin Will versuchte, mit der anstehenden Armenien-Resolution im Bundestag einen neuen Akzent zu setzen. Sie hätte es besser gelassen.

War der Tod Hunderttausender Armenier vor rund 100 Jahren ein Völkermord, wie es der Bundestag am Donnerstag beschließen will? Oder trifft der Begriff bei dem Massaker nicht zu? Und was denn wohl der türkische Präsident machen werde, sollte das deutsche Parlament nicht in seinem Sinne abstimmen, wollte Anne Will besorgt wissen. Fragen über Fragen.

Kommt Erdogan bald als Gast zu Anne Will?

Dumm nur: Antworten lieferte die gesamte Will-Runde keine einzige. Es war ein völlig zerfahrene Diskussion, ohne Hand und Fuß und mit einer lustlosen Moderatorin, die es eine Stunde lang nicht schaffte, Struktur in das Gespräch zu bringen. Eine verschenkte Debatte. Allerdings: AKP-Mann Yeneroglu versprach Will, bei seinem Präsidenten mal vorzufühlen, ob er nicht Lust hätte, in ihre Sendung zu kommen. Das wäre bestimmt reizvoll – allerdings müsste die Gastgeberin sich dann besser präparieren als am Sonntag.

Zur Ausgabe von „Anne Will“ in der ARD-Mediathek