Berlin. In der Talent-Mühle: Der Wiener „Tatort“ führt die Ermittler ins gnadenlose Musikgeschäft und hinter die Kulissen von Castingshows.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser) einmal beim Sexualtherapeuten landen würden. Seit bald fünf Jahren ermittelt das Wiener „Tatort“-Duo Seite an Seite, und niemandem dürfte entgangen sein, dass hier zwei beziehungsgestörte Großstadtmenschen die Erlösung direkt vor der Nase haben: Sie müssten sich halt einmal küssen. Aber sie tun es nicht.

Drehbuchautor der neuen Folge ist Uli Brée. Er hat das Duo 2011 gewissermaßen erfunden. Damals, „Vergeltung“ hieß die Episode, bekam Eisner erstmals die alkoholkranke Fellner zur Seite gestellt – seitdem granteln die beiden nebeneinander her, wie es sonst nur Leitmayr und Batic aus München können. Im neuen Fall „Sternschnuppe“ also sitzen sie beim Sexualtherapeuten. Sie sollten es doch erst einmal nur mit Sex probieren, rät dieser ihnen, und sich dann vielleicht auf eine emotionale Bindung einlassen. Er habe da gute Tantrakurse im Angebot.

Ein vermeintlicher Sexunfall entpuppt sich als Mord

Das wollten die beiden natürlich gar nicht hören, und sie sind ja auch nicht deshalb zu ihm gekommen. Sondern weil der Musikproduzent Udo Hausberger (Peter Karoly) stranguliert an der Dusche seiner Villa hing, nackt und zugekokst. Der gute Mann hatte wohl eine Vorliebe für ausgefallene Praktiken – und war, wie der Therapeut erklärt, „auf der Suche nach dem ultimativen Orgasmus“. Seine frisch gebackene Witwe erstaunt das wenig. Man lebe in einer offenen Beziehung, erklärt sie den Ermittlern erstaunlich gefasst. Sie selbst komme übrigens gerade von ihrem Liebhaber.

Der neue Wiener Tatort „Sternschnuppe“

Egal, wie gut oder schlecht ein Liedtext ist, er gehört auf keinen Fall in die Luftröhre eines Musikproduzenten. An so einem Stück Papier ist in „Sternschnuppe“ der vielfach gehasste und gefürchtete Udo Hausberger (Peter Karolyi) erstickt. Als Anhänger der Sado-Maso-Szene hängt er gefesselt und nackt im Wellnessraum seiner Wiener Villa.
Egal, wie gut oder schlecht ein Liedtext ist, er gehört auf keinen Fall in die Luftröhre eines Musikproduzenten. An so einem Stück Papier ist in „Sternschnuppe“ der vielfach gehasste und gefürchtete Udo Hausberger (Peter Karolyi) erstickt. Als Anhänger der Sado-Maso-Szene hängt er gefesselt und nackt im Wellnessraum seiner Wiener Villa. © ARD Degeto/ORF/Petro Domenigg | Petro Domenigg
Das Ermittlerteam Bibi Fellner (Adele Neuhauser, 2. v. li.) und Moritz Eisner (Harald Krassnitzer, 2. v. re.) konfrontieren die Frau des Managers Angelika Hausberger (Aglaia Szyszkowitz, li.) mit den Geschehnissen, ...
Das Ermittlerteam Bibi Fellner (Adele Neuhauser, 2. v. li.) und Moritz Eisner (Harald Krassnitzer, 2. v. re.) konfrontieren die Frau des Managers Angelika Hausberger (Aglaia Szyszkowitz, li.) mit den Geschehnissen, ... © ARD Degeto/ORF/Petro Domenigg | Petro Domenigg
... die den Tod allerdings recht gefasst aufnimmt. Sie hatte ihren Mann immer wieder vor den Gefahren seiner Vorlieben gewarnt. Ebenfalls wieder mit dabei ist Thomas Stipsits (M.) als lernbegieriger Kriminalassistent Manfred Schimpf.
... die den Tod allerdings recht gefasst aufnimmt. Sie hatte ihren Mann immer wieder vor den Gefahren seiner Vorlieben gewarnt. Ebenfalls wieder mit dabei ist Thomas Stipsits (M.) als lernbegieriger Kriminalassistent Manfred Schimpf. © ARD Degeto/ORF/Petro Domenigg | Petro Domenigg
Die Ermittlungen führen zu Benny Raggl (Michael Steinocher, li.), dem jüngeren Geliebten von Angelika Hausberger. Die Kommissare sind von der sexuellen Freizügigkeit des Ehepaares irritiert.
Die Ermittlungen führen zu Benny Raggl (Michael Steinocher, li.), dem jüngeren Geliebten von Angelika Hausberger. Die Kommissare sind von der sexuellen Freizügigkeit des Ehepaares irritiert. © ARD Degeto/ORF/Petro Domenigg | Petro Domenigg
Das Opfer war obendrein Jury-Mitglied einer Castingshow im Privat-TV. Laut Drehbuch (Uli Brée) ermittelt das Team damit in der strukturell perfiden Welt der falschen Gefühle und des Pseudo-Glanzes.
Das Opfer war obendrein Jury-Mitglied einer Castingshow im Privat-TV. Laut Drehbuch (Uli Brée) ermittelt das Team damit in der strukturell perfiden Welt der falschen Gefühle und des Pseudo-Glanzes. © ARD Degeto/ORF/Petro Domenigg | Petro Domenigg
So geht es also in „Sternschnuppe“ nicht allein um die Mördersuche, sondern titelgemäß ums Verglühen. Ums Verglühen von Hoffnungen und Leidenschaften, um kometenhaften Aufstieg und die ewig gültige Frage: „Was ist, wenn die Show vorbei ist?“ Hat Vanessa Gross (Claudia Kottal, li.) etwas mit dem Fall zu tun?
So geht es also in „Sternschnuppe“ nicht allein um die Mördersuche, sondern titelgemäß ums Verglühen. Ums Verglühen von Hoffnungen und Leidenschaften, um kometenhaften Aufstieg und die ewig gültige Frage: „Was ist, wenn die Show vorbei ist?“ Hat Vanessa Gross (Claudia Kottal, li.) etwas mit dem Fall zu tun? © ARD Degeto/ORF/Petro Domenigg | Petro Domenigg
Von der großen Karriere als Sänger träumt der junge Aris Graf – und singt dabei in der Castingshow „Sing your Song“ just den Text, der in Papierform den Exitus des Produzenten verursacht hat. Doch es ist gar nicht sein Song.
Von der großen Karriere als Sänger träumt der junge Aris Graf – und singt dabei in der Castingshow „Sing your Song“ just den Text, der in Papierform den Exitus des Produzenten verursacht hat. Doch es ist gar nicht sein Song. © ARD Degeto/ORF/Petro Domenigg | Petro Domenigg
Vielmehr wurde er von Vera Sailer (Sabrina Rupp) geschrieben. Sie war einst sogar eine Gewinnerin der Show, fiel danach aber bei ihrem Produzenten Hausberger in Ungnade.
Vielmehr wurde er von Vera Sailer (Sabrina Rupp) geschrieben. Sie war einst sogar eine Gewinnerin der Show, fiel danach aber bei ihrem Produzenten Hausberger in Ungnade. © ARD Degeto/ORF/Petro Domenigg | Petro Domenigg
Jetzt ist Vera ein selbstmordgefährdeter Fall für den Psychiater. Was Künstlerin und Produzenten noch so alles miteinander verbunden hat, enthüllt die versteckte Kamera im Wellnessbereich – dem Tatort.
Jetzt ist Vera ein selbstmordgefährdeter Fall für den Psychiater. Was Künstlerin und Produzenten noch so alles miteinander verbunden hat, enthüllt die versteckte Kamera im Wellnessbereich – dem Tatort. © ARD Degeto/ORF/Petro Domenigg | Petro Domenigg
Und statt akribischer kriminalistischer Puzzle-Arbeit führt ein genauso zuverlässiger intuitiver Geistesblitz Majorin Fellner zum Motiv.
Und statt akribischer kriminalistischer Puzzle-Arbeit führt ein genauso zuverlässiger intuitiver Geistesblitz Majorin Fellner zum Motiv. © ARD Degeto/ORF/Petro Domenigg | Petro Domenigg
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Aber ein schlichter Unfall kann es nicht gewesen sein, denn in der Luftröhre des Toten findet man einen Zettel mit einem Liedtext. Hausberger war nebenher Chefdompteur in der Sendung „Sing your Song“, einer handelsüblichen Castingshow zur öffentlichen Demütigung junger Menschen. „Der Bohlen ist ein Ministrant gegen den“, erläutert der Assistent.

TV-Team stellt Beerdigung nach

In dieses Milieu führt uns die Geschichte nun. Regisseur Michi Riebl findet eine feine Ironie dafür, was dort so hinter den Kulissen vor gehen mag – und für die Typen, die dort unterwegs sind. Die angeblichen Talente, die gefallenen Helden von gestern, die egomanen Fernsehredakteure, die wahnhaft ehrgeizigen Eltern: alles da. In seinen besten Szenen erreicht das in diesem „Tatort“ satirisches Format – etwa, wenn ein TV-Team auf dem Friedhof die Trauer eines verwaisten Sohnes nachinszeniert, damit man einen „emotionalen“ Einspieler für die Show hat. Die ganze klebrige Verlogenheit des Formats, verdichtet in ein paar Sekunden.

Fazit: Die Folge kommt nicht ohne Klischees aus, aber dieser „Tatort“ weiß das und pflegt einen spielerischen Umgang mit ihnen. Seine Auflösung mag vorhersehbar sein, aber Bibi und Fellner vergibt man ja so vieles. Und man ist heimlich froh, dass sie sich niemals küssen.

ARD, Sonntag, 7. Februar, 20.15 Uhr