Köln. Eine TV-Sendung lässt Zuschauer ihre Ängste nach der Silvesternacht formulieren. Der Diskussion fehlt etwas typisch Deutsches: Ordnung.

Pfefferspray, Selbstverteidigungskurse, Bürgerwehren: Die Ereignisse der Silvesternacht haben das Vertrauen vieler Menschen in den Staat offenbar grundlegend erschüttert. „Nach Köln: Was muss sich ändern?“, fragte WDR-Moderatorin Bettina Böttinger deshalb in ihrer Live-Sendung am Dienstagabend. Dabei sollten nicht Politiker aus dem Talkshow-Sessel heraus dozieren, sondern die Bürger zu Wort kommen, eine „politikerfreie Sendung“, wie Böttinger in der Anmoderation versprach. Und tatsächlich redeten vor allem die Bürger — und deren Einwürfe vermittelten ein gutes Bild davon, wo die Ängste der Menschen liegen.

Erster Punkt: Die Sicherheit an Karneval. Moderatorin Böttinger lässt gleich zu Anfang einen Streetworker aus dem Publikum die Frage stellen: „Wie sieht denn das Sicherheitskonzept für Köln aus? Wie ist das Ordnungsamt eingebunden?“

Die Antwort liefert einer der vier geladenen Experten: Rüdiger Thust vom Bund Deutscher Kriminalbeamter Köln. Er hatte schon im vergangenen Jahr in der lokalen Boulevardpresse von Köln „als Hort der Kriminalität“ gesprochen. An diesem Abend beschwichtigte er aber: „An Silvester ist die Polizei auf eine Situation getroffen, auf die sie nicht vorbereitet war. Das ist an Karneval anders.“

Das große Durcheinander

Zusätzliche Brisanz verliehen der Sendung die Berichte vom Dienstag, wonach die Behörden in Köln nach einem Mann fahndeten, der unter Terrorverdacht stehe. Weniger als zwei Wochen vor dem Rosenmontagsumzug soll er ungewöhnlich große Mengen Chemikalien in einem Supermarkt gekauft haben. Am späten Abend stellte sich der Mann der Polizei. Die Hintergründe sind noch unklar, aber wohl hamlos.

In der Publikumsdiskussion um die Sicherheit ging es wild durcheinander. Ein Einwurf nach dem anderen: Obergrenze, persönliches Sicherheitsgefühl, die Sexualität des arabischen Mannes. Nächster Einwand: „Mir geht es ganz allgemein um Gewalt gegen Frauen von Männer“. Applaus.

Das alles sind dieser Tage häufig formulierte Sorgen der Bürger, die hektisch aneinandergereiht vor allem aber wie ein Ausdruck zielloser Empörung wirken. Und Moderatorin Böttinger hört zu, bemüht sich und nickt betroffen ab, ihr fällt es aber schwer, die Diskussion in geordnete Bahnen zu lenken. Kurzerhand leitet sie die Publikumsfragen an einen der vier Experten weiter: Die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor, Jochen Oltmer, Migrationsforscher Universität Osnabrück, und Jens Gnisa, den stellvertretenden Bundesvorsitzender des Deutschen Richterbundes.

Was sind die deutschen Werte?

Ein Gast, der sich offenbar sehr um die Sicherheit sorgt, schildert, warum er sich der Organisation „Düsseldorf passt auf“ angeschlossen hat, die auf den Straßen für Ordnung sorgen will: Polizeistellen seien in den letzten Jahren konsequent abgebaut worden. „Es gibt nur noch sehr wenig Polizeipräsenz“. Deshalb wollen er und seine Mitstreiter auch beim Karneval Präsenz zeigen. „Wir sind keine Bürgerwehr, wir wollen nur Zivilcourage zeigen“, sagt er. Es sind ganz unterschiedliche Beobachtungen, die die Zuschauer teilen: Später schildert ein Marokkaner, wie in seinem Freundeskreis die Sorge wächst, dass alle Nordafrikaner für die Übergriffe in Sippenhaft genommen werden.

Es ist eine Diskussion der Extreme, in der es immer wieder um einzelne Begriffe geht, um das Erörtern der deutschen Identität zum Beispiel: Was sind die deutschen Werte überhaupt? Pünktlichkeit, Verlässlichkeit, Prinzipientreue?

Vielleicht trifft es die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor zum Ende der Senudng am ehesten: „Deutsch sein bedeutet in Zukunft nicht nur blaue Augen zu haben, sondern auch ein Kopftuch zu tragen“, sagt sie. Und bekommt dafür Applaus.

Die komplette Sendung in der WDR-Mediathek.