Ein Bild der Verwüstung zeigt sich einen Tag nach dem Donnerwetter im Südwesten: Straßen unter Wasser, Hagelschäden an Schulen, Kindergärten und Autos. Es war eines der größten Hagelereignisse der vergangenen Jahre.

Reutlingen/Tübingen. Das heftige Unwetter im Südwesten hat nach ersten Schätzungen einen Schaden von rund 100 Millionen Euro angerichtet. Die SV Sparkassenversicherung geht nach Angaben von Montag unter anderem von Schäden an 25 000 Gebäuden aus. Demnach war es eines der größten Hagelereignisse der vergangenen Jahre. Rund 70 Menschen seien zudem leicht verletzt worden, sagte der Leiter der Feuerwehr Reutlingen, Harald Herrmann. Tennisballgroße Hagelkörner trafen am Sonntag vor allem die Regionen Reutlingen und Tübingen schwer. Eine noch kaum übersehbare Zahl von Fahrzeugen wurden beschädigt, viele Solaranlagen zerstört.

„Die Schäden sind dramatisch“, sagte Herrmann. Die Feuerwehr erfasste seit Sonntagabend nach Angaben der Kommune allein in der Stadt und im Kreis Reutlingen 1850 Einsätze. Sicherungs- und Abdichtungsarbeiten sollten mindestens bis in den Montagabend dauern. Für Aufräumarbeiten dürfte noch mehr Zeit gebraucht werden. In Rottenburg (Kreis Tübingen) verletzten sich am Montag zwei Männer bei Sicherungsarbeiten schwer.

In Nürtingen (Kreis Esslingen) stürzte das Dach einer Fabrikhalle unter den Wassermassen ein. Menschen wurden nach Angaben der Polizei nicht verletzt. Der Sachschaden beläuft sich alleine dort auf mindestens 100 000 Euro. Ein Einkaufsmarkt in Kirchheim unter Teck (Kreis Esslingen) wurde wegen akuter Einsturzgefahr geräumt. Innenminister Reinhold Gall (SPD) dankte allen Einsatzkräften.

Die Schäden für die Bauern im Land ließen sich noch nicht abschätzen, sagte eine Sprecherin des Bauernverbandes in Stuttgart. Kernobst wie Äpfel und Kirschen dürften gelitten haben. Auch Raps, der kurz vor der Ernte stehe, sei gefährdet. Die prallen Schoten könnten aufgeplatzt sein. Das gelte auch für Maisfelder, wo Sturmböen und Hagel ganze Schneisen geschlagen hätten.

Alle Hände voll zu tun, haben auch die Handwerker: Dachdecker, Glaser und Kfz-Werkstätten in Reutlingen und dem Großraum Stuttgart seien quasi rund um die Uhr im Einsatz, sagte eine Sprecherin des Baden-Württembergischen Handwerktags. Es würden bereits Firmen aus anderen Kreisen angefordert.

Auch Feuerwehren aus dem ganzen Land packten mit an, sagte Herrmann. Wegen des Regens stünden Straßen unter Wasser und Laub drohe Kanalschächte zu verstopfen. Betroffen waren auch Schulen und Kindergärten. Mehrere Betreuungsstätten mussten wegen der Schäden geschlossen werden. Es werde derzeit der Notbetrieb organisiert, sagte Herrmann. Besonders die Ludwig-Krapf-Schule in Tübingen sei schlimm betroffen, wie die Stadt mitteilte.

„Ich bin sehr beeindruckt von der professionellen und äußerst effizienten Hilfeleistung und vom großartigen Engagement der zahlreichen Helferinnen und Helfer“, erklärte Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne). Im Zuge der sogenannten Überlandhilfe halfen Spezialkräfte aus Oberschwaben und den Regierungsbezirken Freiburg und Karlsruhe in den benachbarten Landkreisen, wie das Innenministerium mitteilte.

Der Deutsche Wetterdienst (DWD) hatte für Montagnachmittag vor Unwettern mit heftigem Starkregen in Baden-Württemberg gewarnt. Es drohten lokale Sturzfluten. Auf dem Feldberg im Schwarzwald verzeichneten die Meteorologen binnen 24 Stunden 90 Liter Regen auf dem Quadratmeter. Nach Angaben des Internetportals „Wetteronline“ fielen in Stuttgart in der gleichen Zeit 55 Liter Regen. Am Abend beruhigte sich das Wetter laut DWD wieder, der Regen zog ostwärts, die Gewitter klangen allmählich ab. Nachts sollte es neblig werden.

Bis dahin hatten die Helfer auch in der Region rund um die Landeshauptstadt häufig ausrücken müssen. In Ludwigsburg gingen die Notrufe im Minutentakt ein, wie die Polizei am Montag mitteilte: Umgestürzte Bäume, ausgehobene Gullideckel und überflutete Straßen. Bei Waiblingen (Rems-Murr-Kreis) stürzten ebenfalls Bäume um, ein Autofahrer kam wegen Aquaplanings in Schleudern und prallte mit dem Auto gegen eine Leitplanke.

„Bei uns sind bereits Schadensmeldungen an 9000 Autos eingegangen“, sagte der Vorstandsvorsitzende der Württembergischen Gemeindeversicherung (WGV), Hans-Joachim Haug, den „Stuttgarter Nachrichten“ (Dienstag). Und es könnte noch schlimmer kommen: „Durch den Dauerregen sind viele Häuser von Wasserschäden gefährdet, weil die Dächer beim Sturm undicht geworden sind.“

In Unterreichenbach (Kreis Calw) kam es zu einem Erdrutsch an der Bundesstraße 463. Wegen des Regens hatten sich Erde und Geröll gelöst, der Verkehr musste umgeleitet werden. In Rangendingen bei Balingen (Zollernalbkreis) liefen unter anderem rund 60 Keller voll.

Die Stadt Freiburg meldete nach 24 Stunden Dauerregen Hochwasser an der Dreisam, einem Zufluss der Elz. Die Uferwege seien gesperrt worden. Am Dienstag aber sollten die Wege wieder geöffnet sein. In Kirchheim unter Teck (Kreis Esslingen) nutzte ein Dieb Hagelschäden an der Frontscheibe eines Auto aus und nahm das Autoradio mit.