Aufsteiger Eintracht hat in den vergangenen Tagen viel gefeiert- und plant für die Bundesliga. Sonntag kommt die Überraschungsmannschaft zum FC St. Pauli.

Hamburg. "Der schwierige Spagat zwischen Tradition und Zukunft bei Eintracht Braunschweig" hieß die Arbeit, die Torsten Lieberknecht 2008 einreichte, um seine Fußball-A-Lehrerlizenz zu erwerben. Nur fünf Jahre später kann der heute 39-Jährige von sich behaupten, jenen in der Abschlussarbeit behandelten Spagat in Perfektion gemeistert zu haben. Drei Spieltage vor Schluss schaffte Coach Lieberknecht den vor der Saison kaum zu erwartenden Aufstieg des Bundesliga-Gründungsmitglieds Braunschweig.

Seit zwölf Tagen herrscht in der Stadt nun schon Ausnahmezustand. 11.000 Fans hatten die Mannschaft bei strömenden Regen nach dem Aufstiegsspiel in Ingolstadt (1:0) euphorisch empfangen. Am Montagabend besang das glückselige Publikum an der Hamburger Straße trotz fußballerischer Magerkost gegen Energie Cottbus (0:0) 90 Minuten lang ihre Helden. Und auch am kommenden Sonntag am Millerntor (13.30 Uhr) gegen den FC St. Pauli soll das letzte Auswärtsspiel der Saison zur Party-Generalprobe werden, bevor sich der Deutsche Meister von 1967 eine Woche später zu Hause nach 28 Jahren Abstinenz gen Fußballoberhaus verabschiedet.

Ein Aufstieg, der viele Parallelen zur Renaissance St. Paulis 2010 aufweist. Denn wie auch die Hamburger stand der Club zuvor sportlich wie finanziell vor dem Aus, schaffte anschließend in kurzer Zeit den Sprung von Liga drei bis in die höchste Klasse. Als Lieberknecht die Eintracht 2008 übernahm, gelang am letzten Spieltag kurz vor Schluss die Rettung, man sicherte sich das letzte Ticket für die neugegründete Dritte Liga. "Damals sind wir dem Tod noch von der Schippe gesprungen", sagt Lieberknecht heute. 2011 folgte souverän der Aufstieg, nur zwei Jahre später muss sich Braunschweig nur Hertha BSC geschlagen geben.

"Wer jetzt nicht feiert in Braunschweig, der soll ins betreute Wohnen gehen", hatte der Trainer im Siegesrausch erklärt. Ein Satz, der zeigt, wie überrascht man bei der Eintracht von der eigenen Leistung war. Weil finanziell keine großen Transfers möglich waren, besann man sich beim Traditionsclub, der in den 70er-Jahren Weltstar Paul Breitner von Real Madrid nach Niedersachsen lockte und als erster Verein einen Trikotsponsor trug, auf das Gemeinschaftsgefühl. "Keiner ist größer als das Team", steht in der Kabine, ein Spruch der legendären Meisterelf von 1967. 70 Prozent der heutigen Profis gehörten bereits dem Drittliga-Kader an - ähnlich wie bei St. Pauli 2010. Stars sucht man vergebens im Aufgebot, einzig Top-Torjäger Domi Kumbela (19 Treffer) und Kapitän Dennis Kruppke stechen heraus. Trotzdem will Sportdirektor Marc Arnold weiter auf das Kollektiv setzen. "Wir sehen bei vielen Spielern noch Potenzial und müssen keine Stammspieler abgeben", erklärt Arnold, der nur fünf bis sechs Neuzugänge holen will. Nicht wenige fürchten bereits ein Schicksal wie Greuther Fürth, die mangels Erfahrung in der Bundesliga chancenlos waren.

Der Etat soll trotz Klassensprung von 20 Millionen Euro auf nur 37 Millionen steigen. Die Planungen laufen: In dieser Woche ist der südafrikanische Nationalspieler Daylon Kayton Claasen im Probetraining bei der Eintracht. Niemand denkt mehr an die Zweite Liga. St. Pauli darf deshalb darauf hoffen, am Sonntag auf einen mäßig motivierten Gegner zu treffen und mit einem Sieg den Klassenerhalt perfekt machen zu können. Anschließend könnte Eintracht Braunschweig diesmal als Vorbild für die Hamburger dienen. Schließlich soll auch am Millerntor ein gewachsener Kader entstehen, der in den kommenden Jahren die Bundesliga-Rückkehr schafft.