Ein verlängertes Wochenende reicht eigentlich gar nicht, um Paris halbwegs zu entdecken. Trotzdem wollten wir mal wieder hin...

Den Weg zur Unterwelt versperrt eine riesige Schlange. Bedrohlich schraubt sie sich um den halben Place Denfert Rochereau und kriecht im Schneckentempo vorwärts. "Da sollen wir uns anstellen?", fragt Antonia, unsere Tochter, entsetzt. "Nee, dann verzichte ich lieber auf die Katakomben."

Es ist ein mäßig warmer Sonntag, und unser geplantes Sightseeing-Programm noch nicht einmal zur Hälfte abgearbeitet. Kein Wunder, denn ein verlängertes Wochenende reicht eigentlich gar nicht, um Paris halbwegs zu entdecken. Trotzdem wollten wir mal wieder hin, um alte Eindrücke aufzufrischen - und unserem Kind zu zeigen, wie "die Stadt der Liebe und des guten Essens" in natura aussieht. Ein paar Klischees kannte Antonia nämlich schon, aufgeschnappt in Büchern, Filmen oder dem Internet. Über den Eiffelturm hatte sie sogar in der Schule ein kleines Referat gehalten.

Ein Städtetrip sollte nicht daran kranken, dass man, um Geld zu sparen, ein Zimmer im Nirwana der Metropole bucht. Deshalb hatten wir uns für eine Unterkunft entschieden, die zwar klein und dafür recht teuer, aber strategisch immerhin günstig gelegen ist. Unsere Wahl fiel auf ein Hotel in Montparnasse, zu Fuß nur ein paar Minuten von verschiedenen Metrostationen entfernt. Hinten grenzt das Gebäude an einen Friedhof, auf dem Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre ihre letzte Ruhe fanden. Wahrscheinlich bleibt es deshalb nachts so angenehm still.

Das Viertel selbst aber gibt sich quicklebendig, und es strotzt vor Crêperien und Brasserien. Wir haben den Eindruck, dass es überwiegend Pariser sind, die sich hier tummeln. Der Markt am nahen Boulevard Edgar Quinet, der von leckerem Käse über frische Krustentiere bis zu Wachteln und Foie Gras alles bietet, was das Feinschmecker-Herz begehrt, macht nicht den Eindruck, für Touristen aufgehübscht worden zu sein. Atmen wir also ein wenig Pariser Luft, sehen der Stadtreinigung zu, wie sie morgens die Straßenränder flutet, genießen Croissants, Orangensaft und Café Crème als Standard-Frühstück und planen das weitere Programm für den Tag.

Man darf sich nichts vormachen: Paris, pulsierendes Herz der Grande Nation, ist ein Städtereiseziel, das Jahr für Jahr mehr als 25 Millionen Besucher aus aller Welt anzieht. Was Konsequenzen hat, wie wir - nicht überrascht - schon am Eiffelturm feststellen müssen. Auch hier stehen am Nachmittag die Touristen Hunderte Meter lang in Reih und Glied, auf einen baldigen Einlass in einen der Fahrstühle ist nicht zu hoffen. Antonia, vorhin noch begeistert darüber, dass der echte Turm weitaus größer ist, als sie sich das vorgestellt hatte, wirkt nun ziemlich enttäuscht.

Daran kann selbst die sehenswerte Performance der hiesigen Straßenkünstler wenig ändern, die auf Händen tanzen und so gekonnt ihren Körper biegen, dass den Zuschauern das Geld ziemlich locker sitzt. Wir beschließen, am Abend wiederzukommen und dann vom Turm aus das Stadtpanorama bei Dunkelheit zu genießen - was auch klappt, bei einer Wartezeit unter einer Stunde.

Über Märkte streifen, Bauwerke besichtigen, Menschen beobachten. Alles gut und schön, aber mit einer fast Elfjährigen als Begleitung lässt sich Paris kaum erobern, ohne einen Fuß in einen der berühmten Shoppingpaläste zu setzen. Während Freunde uns per SMS wissen lassen, dass sie mit ihrer Tochter gerade durch "Harrods" in London ziehen, chauffiert uns ein Taxi zu den "Galeries Lafayette". Das Stammhaus der traditionsreichen Kette am Boulevard Haussmann ist eines der ältesten Kaufhäuser Frankreichs und allein schon wegen seiner faszinierenden Jugendstilarchitektur einen Besuch wert. Blickt man im Hauptgebäude nach oben, kommt man aus dem Staunen kaum heraus: Über mehrere Stockwerke hinweg wandern die Augen hinauf bis zur reich verzierten Kuppel, wobei die einzelnen Etagen wirken wie die Logen eines barocken Theaters. Selbst wer sich nicht für die ziemlich komplette Sammlung internationaler Designermarken interessiert, ist froh, hier mal reingeschaut zu haben.

Es gibt Leute, die finden es unerträglich, sich von Touristenströmen mitziehen zu lassen. Manche machen sich darüber sogar schriftlich lustig, etwa der Autor Dietmar Bittrich, dessen Buch "1000 Orte, die man knicken kann" jüngst erschienen ist. Über das Pariser Montmartre und die Kirche Sacré-Cœur weiß er unter anderem dies zu berichten: "Ahnungslose halten den Hügel für ein romantisches Künstlerviertel, in dem einst Toulouse-Lautrec gewohnt hat. Nur wenn man zu Fuß hinaufsteige, bekäme man die Atmosphäre so richtig mit. In Wahrheit kostet der Anstieg auf löchrigem Pflaster in dicker Luft zwar nicht sofort das Leben, verkürzt es aber entscheidend. Kunstbeflissene jenseits der fünfzig sind erst einmal zwei Tage außer Gefecht gesetzt, zumal sie hier keinen einzigen Künstler antreffen, dafür aber jede Menge Nippesgeschäfte und die schlechtesten Restaurants der Stadt." Ganz falsch ist diese Einschätzung nicht. Trotzdem gehört ein Besuch dieser Gegend zur Paris-Visite einfach dazu. Wer sich eher als erfahrener Weltenbürger sieht und nicht als schnöder Tourist, kann ja zur Not seinen Nachwuchs vorschieben: "So, liebes Kind, jetzt hast du das auch einmal gesehen ..."

Dass es rund um Sacré-Cœur gar keine Künstler gibt, stimmt natürlich nicht. Im Gegenteil: Es wimmelt hier von (Lebens-)Künstlern, die einen für 30 oder 40 Euro porträtieren wollen. Antonias Bild, das ein bärtiger Franzose mit Baskenmütze in zehn Minuten pinselt, hat mit echter Kunst zwar nicht viel zu tun, aber als Souvenir wird es trotzdem einen schönen Platz im heimischen Jugendzimmer bekommen.

Wer wertvolle Kunst erleben will, ist in Frankreichs Hauptstadt dennoch richtig. Es gibt eine Vielzahl renommierter Museen, die man unmöglich alle an einem verlängerten Wochenende anschauen kann. Der Louvre allerdings ist und bleibt ein Muss, mit Kind genauso wie ohne. Schließlich handelt es sich nicht nur um ein spektakuläres Bauwerk, sondern auch um die Heimat der "Mona Lisa" und der "Venus von Milo".

Mehr als acht Millionen Besucher zählt der Louvre jährlich. Vom Haupteingang unter der gläsernen Pyramide aus verteilen sich die Exponate in drei Flügel und dort jeweils über mehrere Stockwerke. Die Sammlung umfasst ungefähr 380 000 Werke, nur etwa jedes zehnte ist Teil der weitläufigen Ausstellung. Viele Stücke stammen aus der griechischen und römischen Antike, bedeutend sind aber auch die Abteilungen der italienischen Renaissancemalerei und der flämischen Malerei des 16. und 17. Jahrhunderts sowie die französische Malerei des 15. bis 19. Jahrhunderts. Die ersten Stücke hatte bereits der Herzog Jean Duc de Berry im 14. Jahrhundert gesammelt, als eigentlicher Begründer gilt aber König Franz I. (1515-1547). Er bot auch dem greisen Leonardo da Vinci ein Domizil an der Loire und gelangte nach dessen Tod in den Besitz einiger seiner Bilder. Von da Vincis "Mona Lisa", die auf Französisch "La Joconde" heißt und einst in Napoleons Schlafzimmer hing, ist auch Antonia beeindruckt: "Es stimmt, dass sie einem immer in die Augen schaut, egal, ob du sie von links, rechts oder der Mitte aus anguckst."

Der Louvre ist ein gigantisches Museum, aber zugleich auch ein Sinnbild des heutigen Paris. Denn diese Stadt protzt mit ihrer historischen Architektur, und sie leidet manchmal auch ein wenig darunter. Die Franzosen wollen nämlich nicht nur in einer großen Vergangenheit leben, sondern auch eine große Zukunft haben. Deshalb versuchten Frankreichs Präsidenten im 20. Jahrhundert immer wieder, bewusst neue und starke Akzente im Stadtbild zu setzen. Das Centre Pompidou, das Institut du monde arabe, die Louvre-Pyramide, die neue Opéra Bastille, die Grande Arche, die Nationalbibliothek und das Musée du quai Branly von Jean Nouvel sind die bekanntesten Beispiele.

"Weißt du, woran man ein frisches Baguette erkennt?", fragt Antonia unvermittelt. "An diesem Geräusch!" Sie nimmt ihr Brot, das wir auf einer "Fête du Pain" vor Notre Dame gekauft haben, und bricht es in der Mitte durch. Es hört sich fast an, als wäre das Baguette ein trockener dünner Ast. Woher sie die Weisheit hat? Aus dem Trickfilm "Ratatouille", in welchem sich eine Ratte als heimlicher Küchenchef eines Pariser Sternerestaurants verdingt. Der Streifen stammt von Disney, und die Ratte Remy ist in Frankreich inzwischen genauso populär wie Micky Maus und Donald Duck.

Paris mit Kind - das heißt auch, dass ein Tag fürs Disneyland draufgeht. Aus der Pariser Innenstadt kommend, dauert die Fahrt dorthin mit der Schnellbahn RER etwa eine Dreiviertelstunde. Das Resort ist in vier verschiedene Bereiche aufgeteilt, uns interessieren vor allem die beiden Themenparks.

Im Walt Disney Studio Park geht es um Blicke hinter die Kulissen der Filmemacher, sehenswerter Höhepunkt ist eine Stuntshow mit waghalsigen Verfolgungsjagden, wilden Schießereien und feurigen Einlagen. Deutlich beschaulicher wirkt der klassische Disneyland Park mit seiner lieblichen Main Street, der Figuren-Parade und dem berühmten Märchenschloss. Hier schweben wir wie Peter Pan übers nächtliche London, verlaufen uns im Irrgarten von Alice im Wunderland und sind den Piraten um Jack Sparrow auf der Spur.

Dann gibt es noch ein Geisterhaus, Phantom Manor genannt. Dort führt ein Fahrstuhl direkt in die Unterwelt, zu Totenschädeln und Skeletten. Anders hätte es in den Pariser Katakomben, wo heute noch Millionen Gebeine aus Zeiten der Pest gestapelt sind, wohl auch nicht ausgesehen.

Disneyland Paris