Vancouver/Berlin. Beim G20-Gipfel werden Kanadas Premier und der US-Präsident wieder aufeinander treffen. Ihre Positionen liegen sehr weit auseinander.

Mitte Februar, Weißes Haus in Washington. Zwei Männer sitzen sich gegenüber, die gegensätzlicher nicht sein könnten. Links Kanadas Premierminister Justin Trudeau – dunkles, volles Haar, weltoffen, für freien Handel und Einwanderung. Rechts US-Präsident Donald Trump – blondierte Haarmatte, „America First“-Rhetorik, für Importzölle und Grenzmauern.

Kurz vor dem obligatorischen Handschlag blickt Trudeau skeptisch zu seinem Gegenüber. „Soll ich oder soll ich nicht?“, scheint seine Miene zu sagen. Dann schlägt er doch ein.

Die Szene spricht Bände: Für das liberale Kanada ist das Verhältnis zu seinem mächtigen Nachbarn ein Balanceakt geworden. Einerseits will und muss die Multikulti-Regierung von Trudeau ihre Unabhängigkeit von Trump beweisen. Andererseits hat sie kein Interesse daran, den Anrainer im Süden in die Isolation zu treiben. Zu eng sind die wirtschaftlichen, militärischen und kulturellen Bande der beiden nordamerikanischen Länder.

Kanada gibt 70 Prozent mehr für seine Verteidigung aus

Trudeau, der sein Land beim G20-Gipfel der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer am 7. und 8. Juli in Hamburg vertritt, steht vor einer ähnlichen Herausforderung wie Gastgeberin Angela Merkel.

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Andererseits kann Merkel – ebenso wenig wie die EU – die Verbindungen zu den Amerikanern völlig kappen. Zu dicht sind die wirtschaftlichen Verflechtungen, zu sehr sind die westlichen Geheimdienste beim Kampf gegen den islamistischen Terror auf den gegenseitigen Austausch von Informationen angewiesen. Ein politischer Tanz auf dem Drahtseil.

Merkel: Fragen des Klimawandels wichtiges Thema von G20

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    Kein Zweifel besteht, dass die meisten Kanadier mit der derzeitigen US-Politik wenig anfangen können. Premier Trudeau steht in wichtigen Fragen wie Klima, Handel oder Zuwanderung den europäischen Verbündeten näher als den USA. In einer viel beachteten Grundsatzrede im Unterhaus in Ottawa hatte Außenministerin Chrystia Freeland nur wenige Wochen vor dem 150. Jahrestag der Staatsgründung am heutigen Sonnabend die Außenpolitik Kanadas strategisch neu ausgerichtet – und sich dabei demonstrativ von den USA abgesetzt. Angesichts der zunehmend isolationistischen Politik Trumps setzt Kanada auf einen eigenständigeren Kurs und will sich wieder stärker an internationalen Gremien wie Nato, UN oder G20 anlehnen.

    Kanada kann sich nicht mehr vollständig auf Amerika verlassen

    „Die Tatsache, dass unser Freund und Alliierter den Wert seiner eigenen weltweiten Führung infrage stellt, zwingt uns und alle anderen, auf einen eigenen souveränen Kurs zu setzen“, hatte Freeland erklärt. Einen Tag danach kündigte die Regierung eine massive Aufstockung der Verteidigungsausgaben an. Diese sollen in den nächsten zehn Jahren um 70 Prozent steigen. In Kanada vertritt man – ähnlich wie Angela Merkel – die Einschätzung, sich im Falle eines Falles nicht mehr komplett auf den Schutzschirm der Amerikaner verlassen zu können.

    Trotzdem wird Trudeau versuchen, die Brücken zu Trump nicht abzureißen. Kanada wickelt rund zwei Drittel seines Außenhandels mit den USA ab, teilt mit den Amerikanern die mit 9000 Kilometer Länge größte Landgrenze der Welt und ist trotz der politischen Entfremdung auf ein funktionierendes Verhältnis zum südlichen Nachbarn angewiesen. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund des Freihandelsabkommens Nafta, das auf Druck der USA demnächst neu verhandelt werden soll.

    Die wichtigen Köpfe des G20-Gipfels

    Die Mächtigen der Welt zu Gast in Hamburg: Auf Einladung Angela Merkels reisen Staats- und Regierungschefs zum G20-Gipfel in die Stadt an der Elbe. Das Treffen ist ein Forum zur internationalen Zusammenarbeit in Finanz- und Wirtschaftsfragen. Das sind – neben der Bundeskanzlerin – die wichtigsten Teilnehmer.
    Die Mächtigen der Welt zu Gast in Hamburg: Auf Einladung Angela Merkels reisen Staats- und Regierungschefs zum G20-Gipfel in die Stadt an der Elbe. Das Treffen ist ein Forum zur internationalen Zusammenarbeit in Finanz- und Wirtschaftsfragen. Das sind – neben der Bundeskanzlerin – die wichtigsten Teilnehmer. © dpa | Kay Nietfeld
    Donald Trump wird mit Spannung erwartet. Nachdem der US-Präsident den Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen angekündigt hatte, sprach Merkel von einem „herben Rückschlag“. Trotzdem will sie Trump beim Termin in Hamburg nicht isolieren.
    Donald Trump wird mit Spannung erwartet. Nachdem der US-Präsident den Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen angekündigt hatte, sprach Merkel von einem „herben Rückschlag“. Trotzdem will sie Trump beim Termin in Hamburg nicht isolieren. © REUTERS | REUTERS / CARLOS BARRIA
    Als drittgrößte Volkswirtschaft der Welt gehört Japan nicht nur zur Gruppe der 20, sondern auch zu den G7 (Gruppe der Sieben – die zu ihrem Gründungszeitpunkt bedeutendsten Industrienationen der westlichen Welt). Nach Hamburg reist Ministerpräsident Shinzo Abe.
    Als drittgrößte Volkswirtschaft der Welt gehört Japan nicht nur zur Gruppe der 20, sondern auch zu den G7 (Gruppe der Sieben – die zu ihrem Gründungszeitpunkt bedeutendsten Industrienationen der westlichen Welt). Nach Hamburg reist Ministerpräsident Shinzo Abe. © REUTERS | REUTERS / REMO CASILLI
    Emmanuel Macron ist das erste Mal bei einem G20-Gipfel dabei. Der neue französische Präsident steht fest an der Seite von Kanzlerin Angela Merkel, der amtierenden Präsidentin der „Gruppe der 20“.
    Emmanuel Macron ist das erste Mal bei einem G20-Gipfel dabei. Der neue französische Präsident steht fest an der Seite von Kanzlerin Angela Merkel, der amtierenden Präsidentin der „Gruppe der 20“. © dpa | Etienne Laurent
    Brexit hin oder her: Beim G20-Gipfel ist auch die britische Premierministerin Theresa May dabei – das Vereinigte Königreich gehört zu G7 und damit auch zu G20.
    Brexit hin oder her: Beim G20-Gipfel ist auch die britische Premierministerin Theresa May dabei – das Vereinigte Königreich gehört zu G7 und damit auch zu G20. © Getty Images | Dan Kitwood
    Der andere Regierungschef aus Nordamerika: Kanadas Premier Justin Trudeau tritt für Freihandel, globalen Klimaschutz und multilaterale Organisationen ein.
    Der andere Regierungschef aus Nordamerika: Kanadas Premier Justin Trudeau tritt für Freihandel, globalen Klimaschutz und multilaterale Organisationen ein. © dpa | Michael Kappeler
    Ministerpräsident Paolo Gentiloni reist für Italien zum Gipfel, sein Land gehört auch zu den G7-Staaten.
    Ministerpräsident Paolo Gentiloni reist für Italien zum Gipfel, sein Land gehört auch zu den G7-Staaten. © REUTERS | REUTERS / REMO CASILLI
    Ein weiterer wichtiger G20-Teilnehmer: Der russische Präsident Wladimir Putin. Seitdem Russland wegen der Krim-Annexion aus der G8 geworfen wurde, sind die G20-Gipfel die einzigen Konferenzen, bei denen Putin auf den Westen trifft. Es ist seine erste Begegnung mit US-Präsident Trump.
    Ein weiterer wichtiger G20-Teilnehmer: Der russische Präsident Wladimir Putin. Seitdem Russland wegen der Krim-Annexion aus der G8 geworfen wurde, sind die G20-Gipfel die einzigen Konferenzen, bei denen Putin auf den Westen trifft. Es ist seine erste Begegnung mit US-Präsident Trump. © dpa | Alexander Zemlianichenko
    China ist das bevölkerungsreichste Land der Erde und Mitglied der G20. Staatsführer Xi Jinping sieht die Nation als neue Weltmacht.
    China ist das bevölkerungsreichste Land der Erde und Mitglied der G20. Staatsführer Xi Jinping sieht die Nation als neue Weltmacht. © Getty Images | Pool
    Neben den 19 Nationalstaaten gehört die Europäische Union zur „Gruppe der 20“. Sie wird beim Gipfel von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (l.) und Ratspräsident Donald Tusk vertreten.
    Neben den 19 Nationalstaaten gehört die Europäische Union zur „Gruppe der 20“. Sie wird beim Gipfel von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (l.) und Ratspräsident Donald Tusk vertreten. © REUTERS | INTS KALNINS
    Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan würde gern am Rande des Gipfels zu seinen Landsleuten in Deutschland sprechen. Doch einen Auftritt hat die Bundesregierung untersagt. Die deutsch-türkischen Beziehungen bewegen sich von Tiefpunkt zu Tiefpunkt. Und auch gegenüber anderen europäischen Partnern bringt sich der türkische Präsident zunehmend ins Abseits.
    Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan würde gern am Rande des Gipfels zu seinen Landsleuten in Deutschland sprechen. Doch einen Auftritt hat die Bundesregierung untersagt. Die deutsch-türkischen Beziehungen bewegen sich von Tiefpunkt zu Tiefpunkt. Und auch gegenüber anderen europäischen Partnern bringt sich der türkische Präsident zunehmend ins Abseits. © dpa | Lintao Zhang
    Die „Gruppe der 20“ steht für 64 Prozent der Weltbevölkerung und 80 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung. Da darf Indien nicht fehlen. Ministerpräsident Narendra Modi setzt auf eine stärkere wirtschaftliche Orientierung nach Südasien.
    Die „Gruppe der 20“ steht für 64 Prozent der Weltbevölkerung und 80 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung. Da darf Indien nicht fehlen. Ministerpräsident Narendra Modi setzt auf eine stärkere wirtschaftliche Orientierung nach Südasien. © REUTERS | AMIT DAVE
    Ein Schwergewicht unter den G20-Staaten ist auch Brasilien mit seinen etwa 208 Millionen Einwohnern. Erst sagte der unter Korruptionsverdacht stehende Präsident Michel Temer für den Gipfel ab, doch das wirft erst recht ein Schlaglicht auf das Chaos in der Regierung. Nun will er doch fliegen.
    Ein Schwergewicht unter den G20-Staaten ist auch Brasilien mit seinen etwa 208 Millionen Einwohnern. Erst sagte der unter Korruptionsverdacht stehende Präsident Michel Temer für den Gipfel ab, doch das wirft erst recht ein Schlaglicht auf das Chaos in der Regierung. Nun will er doch fliegen. © REUTERS | UESLEI MARCELINO
    Mit etwa 127 Millionen Einwohnern ist Mexiko nach Brasilien das zweitgrößte Land Lateinamerikas. Staatspräsident Enrique Peña Nieto vertritt das Land in Hamburg.
    Mit etwa 127 Millionen Einwohnern ist Mexiko nach Brasilien das zweitgrößte Land Lateinamerikas. Staatspräsident Enrique Peña Nieto vertritt das Land in Hamburg. © REUTERS | REUTERS / EDGARD GARRIDO
    Argentinien ist das dritte lateinamerikanische Land unter den G20, in Hamburg vertreten durch Präsident Mauricio Macri.
    Argentinien ist das dritte lateinamerikanische Land unter den G20, in Hamburg vertreten durch Präsident Mauricio Macri. © REUTERS | REUTERS / RODRIGO GARRIDO
    Auch Australien gehört zu den G20. Für Premier Malcom Turnbull ist Cyberterrorismus das wichtigste Thema des Gipfels. Der Kampf gegen Terrorismus im Internet erfordere ein international abgestimmtes Vorgehen, erklärte Turnbull.
    Auch Australien gehört zu den G20. Für Premier Malcom Turnbull ist Cyberterrorismus das wichtigste Thema des Gipfels. Der Kampf gegen Terrorismus im Internet erfordere ein international abgestimmtes Vorgehen, erklärte Turnbull. © dpa | Mick Tsikas
    Südafrika ist der einzige afrikanische der G20-Staaten, in Hamburg vertreten durch Präsident Jacob Zuma.
    Südafrika ist der einzige afrikanische der G20-Staaten, in Hamburg vertreten durch Präsident Jacob Zuma. © REUTERS | REUTERS / SIPHIWE SIBEKO
    Indonesien ist mit etwa 255 Millionen Einwohner der viertgrößte Staat der Erde und das größte muslimisch geprägte Land. Beim Gipfel wird es vertreten von Präsident Joko Widodo.
    Indonesien ist mit etwa 255 Millionen Einwohner der viertgrößte Staat der Erde und das größte muslimisch geprägte Land. Beim Gipfel wird es vertreten von Präsident Joko Widodo. © REUTERS | REUTERS / DARREN WHITESIDE
    Moon Jae-In ist erst im Mai zum Präsidenten von Südkorea gewählt worden, er vertritt einen Kurs des Ausgleichs mit Nordkorea und sein 50-Millionen-Einwohner-Land in Hamburg.
    Moon Jae-In ist erst im Mai zum Präsidenten von Südkorea gewählt worden, er vertritt einen Kurs des Ausgleichs mit Nordkorea und sein 50-Millionen-Einwohner-Land in Hamburg. © imago/AFLO | Lee Jae-Won
    Saudi-Arabiens König Salman hat seine Teilnahme am G20-Gipfel kurzfristig abgesagt, offiziell aufgrund der Katar-Krise. Stattdessen soll Finanzminister Mohammed al-Dschadan nach Hamburg kommen.
    Saudi-Arabiens König Salman hat seine Teilnahme am G20-Gipfel kurzfristig abgesagt, offiziell aufgrund der Katar-Krise. Stattdessen soll Finanzminister Mohammed al-Dschadan nach Hamburg kommen. © REUTERS | REUTERS / HANDOUT
    Nochmal zum Mitschreiben, von oben, v.l.n.r.: Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, EU-Ratspräsidenten Donald Tusk, Indiens Ministerpräsident Narendra Modi. Zweite Reihe: US-Präsident Donald Trump, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, Russlands Präsident Wladimir Putin, die britische Premierministerin Theresa May, Chinas Präsident Xi Jinping. Dritte Reihe: Australiens Premierminister Malcolm Turnbull, Italiens Ministerpräsidenten Paolo Gentiloni, Südafrikas Präsident Jacob Zuma, Japans Ministerpräsident Shinzo Abe, Saudi-Arabiens Staatsminister Ibrahim al-Assaf. Letzte Reihe: Indonesiens Präsident Joko Widodo, Argentiniens Präsident Mauricio Macri, Kanadas Premierminister Justin Trudeau, Mexikos Präsident Enrique Peña Nieto und Südkoreas Präsident Moon Jae In.
    Nochmal zum Mitschreiben, von oben, v.l.n.r.: Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, EU-Ratspräsidenten Donald Tusk, Indiens Ministerpräsident Narendra Modi. Zweite Reihe: US-Präsident Donald Trump, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, Russlands Präsident Wladimir Putin, die britische Premierministerin Theresa May, Chinas Präsident Xi Jinping. Dritte Reihe: Australiens Premierminister Malcolm Turnbull, Italiens Ministerpräsidenten Paolo Gentiloni, Südafrikas Präsident Jacob Zuma, Japans Ministerpräsident Shinzo Abe, Saudi-Arabiens Staatsminister Ibrahim al-Assaf. Letzte Reihe: Indonesiens Präsident Joko Widodo, Argentiniens Präsident Mauricio Macri, Kanadas Premierminister Justin Trudeau, Mexikos Präsident Enrique Peña Nieto und Südkoreas Präsident Moon Jae In. © dpa
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    Kanada steht zum Pariser Klimaabkommen

    Für Schlagzeilen sorgten daher Berichte, wonach Trudeau den USA auf dem G20-Gipfel in Hamburg angeblich mit einem verwässerten Bekenntnis beim Thema Klimaschutz entgegenkommen wolle. Tatsächlich setzt Trumps Ausstieg aus dem Pariser Vertrag die Kanadier mächtig unter Druck. Die kanadische Industrie muss Wettbewerbsnachteile gegenüber der US-Konkurrenz befürchten.

    In Ottawa werden diese Gerüchte allerdings scharf dementiert. „Wir werden den Vertrag von Paris weiter umsetzen, und wir stehen vereint mit all jenen Ländern, die das Abkommen unterstützen“, erklärte eine Sprecherin Freelands. Darüber hinaus verfolgt Kanada mit Blick auf die USA eine taktische Marschroute der Seitwärtsbewegung. Wo immer es geht, versucht die Regierung in Ottawa, Trump zu ignorieren, und arbeitet stattdessen mit amerikanischen Bundesstaaten, Städten und Wirtschaftsvertretern zusammen.

    Als Kanada am 1. Juli 1867 als eigenständiger Staat ausgerufen wurde, war es den Gründungsvätern angesichts der sinkenden Weltmachtrolle des Mutterlandes Großbritannien nicht zuletzt auch darum gegangen, auf dem nordamerikanischen Kontinent ein Gegengewicht zu den USA zu schaffen. 150 Jahre später versucht das Land erneut, aus dem Schatten des übermächtigen Nachbarn zu treten.