Es hätte der Sprung seines Lebens werden sollen, stattdessen fiel Samuel Koch ins Bodenlose. Knapp eineinhalb Jahre nach seinem schweren Sturz in der ZDF-Sendung “Wetten, dass...?“ erzählt der Schwerstgelähmte seine „Zwei Leben“.

Berlin. Als Samuel Koch im vergangenen Sommer von mehreren Buchverlagen angesprochen wurde, ob er nicht seine Geschichte aufschreiben wolle, musste er fast lachen. „Was sollte ein 23-jähriger Typ, der noch nichts erreicht hat außer den Tiefpunkt seines Lebens, in einem Buch schreiben?“, erzählt Koch nun in seiner Autobiografie. Im Dezember 2010 stürzte der aus dem südbadischen Efringen-Kirchen stammende Sportler beim Sprung mit Stelzen über ein Auto so schwer, dass er heute vom Hals an fast vollständig gelähmt ist.

Koch kann „Inseln im Körper“ zunehmend besser spüren. Das erzählte Koch am Sonntagabend in Günther Jauchs ARD-Talkshow. Im Alltag, beim Zähneputzen oder sich Kratzen, ist er auf Hilfe angewiesen. Manchmal ist er noch der Verzweiflung nahe und fühlt eine „innere Unruhe“, eine Platzangst im eigenen Körper, wie Koch sagte. „Meistens eher nachts, wenn ich nicht abgelenkt bin, tagsüber eher weniger.“

Fünf Monate lang habe er sich auf den damaligen Abend vorbereitet, über 500 solcher Sprünge absolviert. Die Phasen liefen automatisch in seinem Kopf ab: „Konzentrieren, Stoßgebet, Zeichen geben, Gewicht auf rechten Fuß verlagern, warten, bis das Auto die Markierung überfahren hat, fünf Schritte, einspringen, abspringen, Salto, hinter dem Wagen aufkommen, abfedern, auslaufen. Freuen.“ Stattdessen am Ende „Ein Knall. Nacht.“

Koch war Kunstturner, studierte Musik, Theater, Medien, wollte Schauspieler werden. „Man spürte, dass da einer in dem Medium angekommen war, das für ihn die Zukunft bedeutete“, schreibt der langjährige „Wetten, dass...?“-Moderator Thomas Gottschalk im Vorwort, der nach dem schweren Unfall die Show erstmals in ihrer Sendegeschichte abbrach. „Da wollte er hin, ob als Schauspieler, Stuntman oder Moderator. Wir alle wurden Zeugen, wie dieser Traum zerplatzte“, schreibt Gottschalk.

Als ältestes von vier Geschwistern wächst Koch in einer evangelisch-frommen Familie auf, leitet Kindergottesdienste. Die Familie ist für alle der große Rückhalt, die Beziehung zum Vater außergewöhnlich eng – bis heute, auch nach dem schweren Sturz ausgerechnet über das von seinem Vater gefahrene Auto.

Sein größtes Potenzial aber war sein Körper. In diesem lag seine Leidenschaft als Kunstturner, was er aber nie als Berufsziel anstrebte. Vielmehr träumte er davon, mal als Pilot „ein strahlbetriebenes Flugzeug“ fliegen zu dürfen. Stattdessen der Sturz ins Bodenlose. In den ersten zwei Tagen danach hatte er noch Gefühl in seinem Körper, aber leichte Lähmungserscheinungen der Beine. Der erste und der letzte Wirbel der Halswirbelsäule waren unter der Wucht des Aufpralls geborsten, ein Splitter aus dem 7. Halswirbel hatte seine Halsschlagader aufgeschlitzt. „Das gerinnende Blut löste Thrombosen aus, in deren Folge ich zwei kleine Gehirnschläge erlitt.“

„Schon wenige Stunden nach meinem Unfall hatten Journalisten versucht, sich Zugang in das Datensystem der Düsseldorfer Universitätsklinik zu verschaffen und dort illegal Details über meinen Gesundheitszustand zu ergattern“, beschreibt Koch das gewaltige Medieninteresse. Die Ärzte erließen eine Nachrichtensperre, er wird unter falschem Namen eingeliefert. Auf den Stützstrümpfen, dem Bett, den Akten, selbst auf den kleinen Tablettenkästchen stand auf den Aufklebern zu lesen: „Simon Schmitz. So stand mein zweites Leben plastisch vor mir.“

Sieben Tage befand er sich in der Düsseldorfer Universitätsklinik nach einer Notoperation, gequetschtem Rückenmark, einem Luftröhrenschnitt. Doch schon dort habe sich gezeigt, dass er anders sei als andere Schwerstverletzte, bescheinigen ihm im Buch die behandelnden Ärzte. Er verfüge über eine unglaubliche Willenskraft und Energie, etwas bewegen zu wollen, attestieren ihm Familie, Freunde, Bekannte, Ärzte.

In den vergangenen Monaten habe er oft mit Gott gehadert, sein Glauben half ihm aber, zu erkennen, dass Gott „keine Bestellannahme für menschliche Wünsche und Forderungen“ betreibt und auch keine Reklamationsabteilung, wenn sie nicht erfüllt werden. Nach Gebeten fühlt sich der Schwerstgelähmte „immer ein Stück befreiter und ruhiger“.

Samuel Koch kann nicht selbstständig sitzen, essen oder trinken. In der Zwischenzeit kann er zwar durch die Kraft seines Bizeps im Oberarm eine Hand etwas bewegen. Dies helfe ihm, seinen Rollstuhl in Gang zu setzen, nicht aber seine Zähne zu putzen oder die Nase zu schnäuzen. Doch sein Arm, mit dem er den Joystick steuere, gehorcht ihm nicht immer. Weshalb er sich in der Zwischenzeit erneut mehrere Male in Lebensgefahr begab. Etwa, als der Rollstuhl wie von Geisterhand bewegt auf die nach unten führende Rolltreppe im Kaufhaus zusteuert. Oder bei einer Fahrt über die Kreuzung in seinem Heimatort.

Mit seinem Schicksal will er sich nicht abfinden, das „klingt für mich nach Aufgeben“. „Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht“, zitiert Koch ein Bibelwort am Ende seines Buches. Samuel Koch sei auch nach dem schweren Unfall „ein Mensch, dessen positive Energie einfach unglaublich ansteckend ist“, schreibt Gottschalks damalige „Wetten, dass...“-Assistentin Michelle Hunziker im Nachwort.

Zitate von und über Samuel Koch

„Ja, der Auftritt bei 'Wetten, dass..?' war eine Herausforderung, die mich reizte. Ja, das Geld, das ich als Wettkönig verdient hätte, hätte ich sehr gut gebrauchen können. Ja, ich wollte den Leuten auch etwas von dem mitgeben, was mir wichtig ist, wenn ich da vorn stehe, und dies war eine große Chance dazu. Und schließlich: Ja, ich bin harmoniebedürftig und konnte immer schon schlecht Nein sagen. Schon gar nicht zu einer sportlichen Herausforderung.“ (Samuel Koch)

„Es gibt keine individuelle Schuld, keinen bestimmten Umstand, der mich auf den Wagen prallen ließ, der von meinem Vater gesteuert wurde.“ (Samuel Koch)

„Ein übler Moment war, als der Halofixateur in meinen Kopf geschraubt wurde, um meinen Nacken absolut ruhig zu stellen. Die Köpfe von Ärzten, Mechanikern und Pflegern über mir, alle mit Masken. Sie schraubten gemeinsam das Ding in meinen Kopf. Mein Schädel dröhnte und brummte. Ich spürte Schmerzen, die mir das Gehirn wegzusprengen schienen. Bohrer- und Schraubgeräusche in mir. Ich wollte schreien. Aber ich konnte nicht.“ (Samuel Koch)

„Ich fühlte mich ausgeliefert wie eine Schildkröte, die auf ihren Rückenpanzer gerollt ist.“ (Samuel Koch)

„Ich halte es gar nicht aus!, möchte ich manchmal herausschreien. Ich will wieder gehen können! Ich will wieder turnen können, Sand unter meinen Füßen spüren, jemanden umarmen, einen Spaziergang machen, mich ins Gras legen und die Hände hinter dem Kopf verschränken!“ (Samuel Koch)

„Und wenn ich von einer schicksalhaften Verbindung zwischen mir und Samuel gesprochen habe, meine ich nicht den Abschied von einer Samstagabend-Show, sondern die Tatsache, dass ich diesem jungen Mann eine tiefe Einsicht verdanke, wie man mit einem Leben umgehen kann, das eben nicht so verläuft, wie man es geplant und sich gewünscht hat.“ (TV-Moderator Thomas Gottschalk im Vorwort des Buches „Zwei Leben“ von Samuel Koch und Christoph Fasel)

„Wenn man Grenzen nicht überschreitet, entwickelt man sich nicht weiter. Das gilt wahrscheinlich fürs Turnen ebenso wie für andere Lebensbereiche. Wer mit beiden Beinen auf dem Boden steht, kommt nicht voran. Wenn alle nichts anderes machen würden als nur Gesetze einhalten, dann wären wir heute weder als Individuen noch als Gesellschaft da, wo wir sind. Genau wie beim Turnen.“ (Samuel Koch über seine große Leidenschaft Turnen)

„Samuel war immer ein Bewegungsmensch. Der Junge ist immer auf Achse gewesen, sobald er auf eigenen Füßen stand! Eigentlich waren Saltos seine natürliche Fortbewegungsart.“ (Marion Koch, Mutter von Samuel)

„Wäre ich beim Obstbaumschneiden in einem schwäbischen Schrebergarten von der Leiter gekippt und hätte mir exakt die gleiche Verletzung zugezogen, hätten nicht so viele Hähne nach mir gekräht.“ (Samuel Koch)

„Niemand kann mir sagen, ob und wenn ja, wie viel von meiner Bewegungsunfähigkeit jemals zurückkommt. Es kann sein, dass sich erst nach zwei Jahren etwas tut. Es kann auf einen Schlag geschehen. Oder in 30 Jahren. Oder nie.“ (Samuel Koch)

Mit Material von epd, dpa und dapd