Der Weltmeister ist bereits nach zwei Spielen ausgeschieden. Spaniens goldene Generation erlebt das jähe Ende ihrer Ära - ausgerechnet am Vorabend der Krönung von König Felipe.

Rio de Janeiro. Der gefallene Final-Held Andrés Iniesta schlich mit hängendem Kopf aus dem Maracanã, das gestürzte „Denkmal“ Xavi nahm den Hinterausgang, und der einst „heilige“ Iker Casillas entschuldigte sich im Gehen bei „ganz Spanien“: Am Tag, als zu Hause Juan Carlos I. abdankte, waren die spanischen Fußball-Könige in Rio de Janeiro krachend von ihrem Thron gestürzt - und selbst am meisten geschockt darüber.

„Wir waren ganz oben“, stammelte Iniesta und sah noch ein bisschen blasser aus als sonst, „jetzt sind wir ganz unten. Das ist ein sehr schwieriger Moment, grausam.“ Vor vier Jahren hatte das Fußball-Genie die Selección mit seinem Final-Tor zum Triumph geführt, jetzt war er eines der vielen Gesichter der für alle unfassbaren Pleite.

0:2 (0:2) gegen ein starkes Chile, das Aus für den Weltmeister bereits nach zwei Spielen - so früh wie zuvor nur Italien 1950: Die historische Niederlage drängte in Spaniens Medien sogar den Abschied des Königs an den Rand. AS schrieb in Anlehnung an Brasiliens Trauma 1950 vom „Maracanazo“, Marca titelte: „Das Ende!“ Und El País verglich die Selección mit der Titanic.

Juan Carlos verließ seinen Thron nach 39 Jahren, Spaniens Weltherrschaft nach zwei EM-Siegen und dem Triumph bei der WM in Südafrika war um 17.54 Uhr Ortszeit nach sechs Jahren zu Ende. Während des Monarchen Zepter am Donnerstag in Madrid an Felipe überging, blieb die Frage nach Spaniens Nachfolger zunächst offen.

Spaniens WM-Aus beschert ARD eine Topquote

Das überraschende Aus von Titelverteidiger Spanien hat der ARD am Mittwochabend eine Top-Einschaltquote beschert. Durchschnittlich 15,29 Millionen Zuschauer verfolgten ab 21 Uhr die 0:2-Niederlage der Iberer gegen Chile. Dies bedeutete den dritthöchsten Wert der laufenden WM nach Deutschland-Portugal (26,36) und Brasilien-Kroatien (15,87). Der Marktanteil betrug 51,4 Prozent. Nur drei Begegnungen hatten zuvor einen höheren Prozentsatz erreicht.

Xavi, der wortlos aus dem Maracanã schlich, wird nach der WM nicht mehr für die „Rote Furie“ spielen, da ist sich Fußball-Spanien sicher. Rekordtorschütze David Villa hatte seinen Abschied schon vorher verkündet. Casillas, Xabi Alonso, Fernando Torres und Pepe Reina könnten folgen.

Auch Trainer Vicente del Bosque? „Wenn so etwas passiert, hat das immer Konsequenzen“, sagte der 63-Jährige und sah mit seinem Schnauzbart und den herunterhängenden Mundwinkeln wie ein trauriges Walross aus. „Wir müssen uns jetzt Gedanken machen und dann die besten Entscheidungen für den spanischen Fußball treffen. Das trifft auch auf meine Position zu“, fügte del Bosque an. Es klang fast wie eine Rücktrittserklärung.

Del Bosques Vertrag läuft bis 2016, Verbandspräsident Angel Maria Villar hatte ihm vor dem Spiel eine Jobgarantie ausgestellt. Doch in einer ersten Umfrage auf der Internetseite von Marca forderten drei Viertel der User seine Ablösung. „Ich glaube an Vicente, wir lieben ihn als Menschen und Trainer“, sagte Abwehrspieler Sergio Ramos.

Del Bosque hat Spanien nach dem EM-Sieg unter seinem kürzlich verstorbenen Vorgänger Luis Aragonés zur unschlagbaren Fußball-Maschine geformt. In Brasilien aber schien es, als sei seine Mannschaft ein Auslaufmodell. Bayern-Coach Pep Guardiola, noch so ein Übervater dieser Generation spanischer Fußballer, hat seine Spielidee modifiziert und so zuletzt immerhin den DFB-Pokal gewonnen. Übrigens im gleichen System, mit dem zuerst die Niederlande (5:1) und jetzt Chile die Spanier geknackt hat. Del Bosque war dazu nicht in der Lage. „Tiki-taka ist tot“, war deshalb am Donnerstag vielerorts zu lesen.

Ist es auch diese Mannschaft? AS verglich die Lage mit der des FC Barcelona, der 2014 erstmals seit sechs Jahren keinen Titel gewann. Marca meinte nach dem „Albtraum Brasilien: Das ist das Ende einer einzigartigen Generation, das Ende einer goldenen Ära.“ Als Beleg diente unter anderem Xavi, der erstmals bei einem Turnier seit dem unbedeutenden Vorrundenspiel bei der EM 2008 gegen Griechenland nicht in der Startelf stand. Und Piqué, der bei den Erfolgen 2010 und 2012 immer begonnen hatte. Diesmal spielte für ihn der Münchner Javi Martínez. „No hablo“, rief dieser dem SID zu, als er aus dem Stadion eilte. Nein, er wolle lieber nicht reden.

Andere stellten sich. „Das haben wir nicht verdient“, jammerte Casillas. Alonso meinte: „Unser Stolz ist schwer verletzt.“ Von einer Götterdämmerung wollten die meisten nichts wissen. „Das ist nicht das Ende einer Ära“, sagte Ramos trotzig, „wir haben eine rosige Zukunft vor uns.“

Die U21 Spaniens gewann die letzten beiden EM-Turniere, von den jüngsten Siegern um den Münchner Thiago haben die meisten schon A-Länderspiele bestritten. Und die U20 hat bei der letzten WM den späteren Sieger Frankreich geschlagen. „Eine große Generation geht“, sagte Torres, „aber die neue wird auch große Erfolge feiern.“