Kaum Aufregung in den Bergen, große Dramatik auf der Flachetappe nach Nîmes: Der Norweger Kristoff ärgerte die deutschen Sprintstars und schnappte zwei Ausreißern den sicher geglaubten Tagessieg wenige Meter vor der Ziellinie weg.

Nîmes. Die Kletterpartie in den Alpen glich einer höhepunktarmen Ein-Mann-Show des Tour-Spitzenreiters Vincenzo Nibali, die Rückkehr auf flaches Terrain war an Dramatik kaum zu überbieten. Ein deutsches Happy End blieb auf der 15. Etappe der 101. Tour de France am Sonntag aber aus. Nach einer 221-Kilometer-Flucht wurden der Neuseeländer Jack Bauer und der Schweizer Martin Elmiger auf tragische Weise 100 Meter vor dem Zielstrich vom rasenden Feld abgefangen. Die deutschen Sprint-Asse stachen dabei nicht, André Greipel wurde beim Sieg des Norwegers Alexander Kristoff nur Vierter. Der dreimalige Etappengewinner Marcel Kittel musste sich in Nîmes sogar mit Platz elf begnügen.

Auch der Deutsch-Australier Heinrich Haussler verpasste als Zweiter den Sieg, zeigte sich im Zielbereich trotzdem zufrieden. „Ich freue mich, endlich mal wieder vorne dabei gewesen zu sein. Ich habe mich gestern extra zurückgehalten, um heute zu punkten. Endlich konnte ich meine gute Form in ein Resultat umsetzen“, sagte Haussler, der bei der Tour noch nicht in Erscheinung getreten war. Greipel übte Selbstkritik: „Ich bin wahrscheinlich etwas zu früh rausgefahren. Auf den letzten Metern fehlte mir die Kraft.“

Tränen flossen bei Bauer und Elmiger. Bravourös hatten sie über fast fünf Stunden Regen, Wind und Donner getrotzt. Am Ende schienen sie sogar dem Druck des von Tony Martin angeführten Feldes standzuhalten. Doch der Traum vom ersten Etappensieg ihrer Karriere platzte Sekunden vor Rennende.

So dramatisch war es in den Bergen nicht zugegangen. Mit dem Etappensieg in Chamrousse und Platz zwei in Risoul hatte Nibali seinen Spitzenrang gefestigt und sich vom Weg zum ersten Toursieg nicht abbringen lassen. Der Träger des Gelben Trikots beschränkte sich einen Tag vor dem zweiten Ruhetag aufs Mitrollen. Der Italiener verteidigte am Sonntag seine Spitzenposition mit 4:37 Minuten vor dem Spanier Alejandro Valverde und 4:50 Minuten vor dem jungen Franzosen Romain Bardet ohne Probleme. Bereits am Vortag hatte sich Nibali eine gewisse Großzügigkeit leisten können, als er auf dem Alpengipfel in Risoul dem eindrucksvoll kämpfenden Tagessieger Rafal Majka aus Polen nicht mit allerletzter Konsequenz nachgesetzt hatte.

Während die Fahrer noch im Trockenen unterwegs waren, ging ein schweres Gewitter in Nîmes nieder. Die Straßen waren überflutet und Absperrgitter umgekippt. 50 Kilometer vor dem Ziel begann für die Fahrer nach brütend heißen Temperaturen an den Vortagen die Fahrt durch stürmische Regenschauer. Die Witterungsbedingungen hatte das Finale mit vielen Kreisverkehren auf den letzten Kilometern noch gefährlicher gemacht.

Trotzdem reichte es für einen Massensprint, und da ärgerte Kristoff die deutschen Asse erneut. Kittel, Greipel und Co. müssen damit weiter auf den sechsten Tagessieg und die Einstellung des Rekordes aus dem Vorjahr und von 1977 warten. Der Tscheche Leopold König vom deutschen NetApp-Endura-Team, das mit einer Wildcard zugelassen wurde, verteidigte seinen in den Alpen bravourös erkämpften achten Rang im Gesamtklassement.

Nach dem Ende der 14. Etappe in Risoul war Nibali zum zweiten Mal bei dieser Tour in größerem Rahmen zum Thema Doping befragt worden. Dabei wirkte der 29 Jahre alte Astana-Kapitän am Vortag nicht ganz so elegant und unantastbar wie auf dem Rad. Am Wochenende waren Vorwürfe wegen seiner angeblichen Kooperation mit dem lebenslang gesperrten Mediziner und Armstrong-Vertrauten Michele Ferrari aus dem Jahr 2009 wiederholt worden.

„Ich habe Ferrari nie persönlich getroffen“, wiederholte Nibali alte Erwiderungen zum Fall und verwies auf einen Prozess wegen Verleumdung gegen Ivano Fannini. Der frühere Teamchef wollte Ferrari, dem jegliche Tätigkeit im Radsport untersagt ist, und Nibali im Training gesehen haben. Das Verfahren war 2011 eingestellt worden.