Hannover. Ein Kugelschreiber als Stichwaffe, ein Mithäftling als Opfer: Im Jugendgefängnis Hameln hat ein junger Mann brutal auf einen anderen Gefangenen eingestochen. Jetzt muss er für acht Jahre ins Gefängnis. Und der Richter gibt ihm einen Rat mit auf den Weg.

Eigentlich sei er "ganz lieb und ganz ängstlich", so beschreibt er sich selbst im Gespräch mit einem psychiatrischen Gutachter. Andererseits hat der 19-Jährige aus einem Kugelschreiber eine Stichwaffe gemacht und auf einen Mithäftling im Jugendgefängnis Hameln eingestochen. Er verletzt ihn an Kopf und Hals. Das Landgericht Hannover geht von einem Mordversuch aus: Acht Jahre Jugendstrafe lautet das Urteil unter Einbeziehung früherer Urteile, die Anordnung der Sicherungsverwahrung bleibt vorbehalten - nach seiner Strafe wird der junge Mann damit erneut von Psychiatern unter die Lupe genommen.

Der Verurteilte habe vorsätzlich und heimtückisch gehandelt und die Wehrlosigkeit des Opfers genutzt, sagt der Vorsitzende Richter Stefan Lücke am Donnerstag zur Begründung. Auch ein Schmerzensgeld von 2000 Euro für das Opfer verhängt er. Ein mitangeklagter 22-Jähriger, der das Opfer laut Anklage ausgewählt haben soll und wegen Beihilfe vor Gericht steht, wird freigesprochen. Auch nach Einschätzung der Staatsanwältin kann seine Beteiligung nicht mit Sicherheit festgestellt werden.

Die Vorwürfe gegen den 19-Jährigen: Im Oktober 2019 wird er aus der psychiatrischen Abteilung der Jugendanstalt in eine Wohngruppe verlegt, darüber sei er "nicht glücklich" gewesen, sagt die Staatsanwältin. Er versucht an eine Rasierklinge zu kommen, das misslingt und er baut eine Waffe aus dem Kugelschreiber. Aus heiterem Himmel fällt er über sein ahnungsloses Opfer her. Anders als zuvor sagt er in der Verhandlung, er habe den Mann, einen Sexualstraftäter, nicht töten, sondern ihm einen "Denkzettel" verpassen wollen. Zum Schluss sagt er, es tue ihm leid, dass er zugestochen habe.

Der Sachverständige, ein Experte für Kinder- und Jugendpsychiatrie, zeichnet allerdings ein verstörendes Bild des 19-Jährigen: Er zeige antisoziale Tendenzen, eine ausgeprägte Rückfallneigung und eine schwere Persönlichkeitsstörung. Der Gutachter spricht von "Zerrissenheit" und Gewaltfantasien des jungen Mannes, dessen Selbstbild "fragil" sei, der an inneren Konflikten, einer pädophilen Störung und Narzissmus leide.

Schon mehrfach hat der Psychiater mit dem heute 19-Jährigen zu tun gehabt - Sexualdelikte, Gewaltdelikte und Brandstiftung werden ihm vorgeworfen. Bereits im Kindergarten sei er auffällig gewesen, seine Gefährlichkeit sei aber nicht gesehen worden. Er habe seine jüngere Schwester missbraucht und sei selbst missbraucht worden. Der Gutachter erklärt, der junge Mann sei bei der Tat im Jugendgefängnis nach eigener Einschätzung "voller Adrenalin" gewesen, gefühlt habe er nichts. Auch bescheinigt er Mangel an Einsicht - die Schuld habe er beim Opfer gesehen, der Mann sei schließlich Sexualstraftäter.

Auch die Staatsanwältin meint, er habe sein Opfer bestrafen wollen, er "hielt sich für etwas Besseres". Die Anwältin des Opfers wiederum beklagt, noch im Gerichtssaal habe der 19-Jährige sein Opfer beschimpft, Reue sei nicht zu erkennen. "Entwicklungspotenzial" sieht sie bei ihm nicht. Lücke erklärt, der Verurteilte habe sich zum Richter aufschwingen wollen, auch habe er sein Ansehen unter den Häftlingen verbessern wollen.

Der Gutachter urteilt, weitere Taten seien zu erwarten. Ob eine Therapie sinnvoll sei? Dazu sagt er - schließlich sei er "grundsätzlich ein sehr optimistischer Mensch": Das gehe nur mit intensiver Psychotherapie, vier Jahre lang, zwei mal pro Woche. "Hier ist ein Höchstmaß an erzieherischer Einwirkung notwendig", betont der Richter. Und gibt dem Verurteilten mit: "Geben Sie sich nicht auf, Sie sind therapierbar."