Hamburg. Ein Apfel ist nicht immer glatt, eine Gurke nicht immer gerade. Die Natur hält sich an keine Din-Norm. Normalerweise gibt es solche Produkte zweiter Wahl in großen Supermarktketten nicht zu kaufen. Das soll sich jetzt ändern. Mit der Initiative „Keiner ist perfekt“ bieten Edeka und das Tochterunternehmen Netto vier Wochen lang (noch bis zum 14. November) Gemüse und Obst mit optischen Makeln an. Das Abendblatt hat nachgefragt, wie die Hamburger auf das krumme Gemüse reagieren.
Edeka-Filialleiter Manfred Borchmann in Allermöhe ist begeistert von dem Testprojekt: „Insgesamt ist die Idee ja super. Die Resonanz ist bei den Kunden gut. Viele gucken erst verwundert, schauen sich dann aber die Produkte näher an, sehen den Preis und greifen zu. Am besten verkaufen sich die Kartoffeln. Die paar Flecken stören die Kunden nicht, der Preis macht das wieder wett. Viele Kunden aus Allermöhe kommen aus osteuropäischen Ländern, wo viel mit Kartoffeln gekocht wird, daher gehen unsere Kartoffeln ganz gut weg.“
Laut Borchmann werden heutzutage sehr hohe Ansprüche an Lebensmittel gestellt. „Wir bieten dem Kunden eine günstigere und genauso qualitativ hochwertige Variante an Obst und Gemüse an. Viele Kunden kennen die etwas ungewöhnlicheren Lebensmittel noch vom Selbstanbau, daher kommt es hier außerhalb der City besser an“, so Borchmann.
Erst seien die Kunden etwas skeptisch gewesen, dann hätten sie angefangen mit dem Projekt zu liebäugeln. „Unsere Bestellungen haben sich verdoppelt und bei den Kartoffeln sogar verdreifacht“, sagt der Filialleiter. Für 14 Tage sei das eine gewaltige Entwicklung. Borchmann selbst findet die krummen Gurken auch witzig. „Wir wären sehr froh über eine Fortsetzung und könnten uns definitiv vorstellen, diese Artikel etwas anderer Art in unser Standardsortiment zu etablieren. Ist ja nicht so, als wären sie minderwertig produziert worden.“
Das findet auch Kundin Betty Stimpel, 30. „Ich kaufe fast täglich bei Edeka ein. Bei dieser Aktion kann ich mir sicher sein, dass nichts verschwendet wird und die Produkte wirklich frisch aus dieser Region kommen. Es muss ja nicht immer perfekt gewachsen sein. Ich finde es schade, dass nur weil eine Kartoffel ein paar braune Flecken hat oder eine Gurke etwas schrumpelig ist, sie zu Tierfutter verarbeitet werden. Außerdem ist es eine tolle Alternative zu Bioobst- und Gemüse und schadet der Umwelt ja auch nicht. Es gibt mir ein gutes Gefühl, wenn ich von diesen Produkten etwas kaufe.“
Karin Haberstroh, 70, zieht die „krummen“ Produkte den konventionellen vor. Die Qualität sei ja gleich. „Es ist wichtig, dass Leute auf die Lebensmittelverschwendung aufmerksam gemacht werden. Erst habe ich gedacht, was sollen diese schrumpeligen Gurken, aber dann habe ich verstanden, worum es geht. Ich würde die Artikel nicht einmal als zweite Wahl bezeichnen. Das sind ja Naturprodukte und die sind sicherlich weniger oder gar nicht gespritzt als die aus den anderen Regalen“, sagt sie.
Sophie Rosenbrock, 23, kauft fast jeden Tag bei Edeka. Die Aktion mit den krummen Gurken ist ihr schon aufgefallen. „Ich finde es gut, dass sich jemand dafür einsetzt, dass der Wert der Lebensmittel mal hervorgehoben wird und nicht alles achtlos weggeworfen wird. Das Thema Nachhaltigkeit ist sehr wichtig. Das Preisniveau spricht mir sehr zu, mir ist der Geschmack nämlich wichtiger als die Optik“, sagt die Studentin.
Diese Liste ließe sich unendlich fortführen. Jeder der vom Abendblatt befragten Kunden äußerte sich positiv bei über die Aktion. In Hamburg beteiligen sich nur zwei Edeka-Märkte an der bundesweiten Aktion, der eine ist in Wilhelmsburg, der andere in Allermöhe.
Ziel des Projekts ist, eine Alternative zur Wegwerfkultur zu initiieren. „Das, was nicht so gewachsen ist, wie wir es haben wollen, wird in Deutschland nicht verkauft. Die Kunden sind sehr sensibel, was die Optik angeht. Das finde ich sehr schade“, sagte Martin Ziegler, Betreiber der Edeka-Filiale in Wilhelmsburg.
Was die Qualität der „nonkonformen Lebensmittel“ angeht, besteht kein Unterschied zum üblichen Obst und Gemüse. Die Früchte werden in einem Extra-Regal angeboten und sind günstiger. „Es ist toll, dass diese Aktion eingeführt wurde. Auf der einen Seite will keiner das Gemüse haben, auf der anderen Seite will es aber auch keiner wegwerfen“, so Ziegler.
Die Zwischenbilanz zeigt: Das krumme Gemüse kommt auch in Wilhelmsburg an. Am Tag gehen zwischen zehn bis 15 Säcke an fehlerhaften Kartoffeln, Zwiebeln und Äpfeln über die Ladentheke. Das war am Anfang nicht so. „Von Tag zu Tag wird die Ware besser angenommen. Die Zahl unserer täglichen Bestellung an Gemüse und Obst zweiter Wahl ist angestiegen.“
In der Filiale in Wilhelmsburg liegt das Hauptaugenmerk dennoch auf den normalen Produkten. Trotzdem hofft auch Ziegler auf eine Fortsetzung des Projekts, um Kunden für nachhaltiges Einkaufen zu sensibilisieren.
Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Hamburg-Mitte