Bergedorf. Anna Rosa Volmer ist 1973 gestorben. Ein schwarz-weißes Foto im Antikholzrahmen auf der Kommode lässt ihre Enkeltochter Karin Lieschke (70) noch ab und zu an die Großmutter denken.

Doch vor kurzem wurde Anna Rosa Volmer im Hause Lieschke wieder Gesprächsthema Nummer eins. Der Grund dafür war ein Schreiben vom Amtsgericht Bergedorf, mit der Mitteilung: Das Testament der Großmutter sei nun eröffnet worden - nach 36 Jahren.

"Meine Frau Karin war sehr erstaunt, und ihre Schwester hat sich wahnsinnig aufgeregt", schildert Dr. Gerhard Lieschke die Reaktion auf die späte Testamentseröffnung. "Die Großeltern meiner Frau hatten ein gemeinsames Testament. Deshalb kannten wir den Inhalt bereits, als 1966 der Großvater verstarb", erläutert Lieschke. Die zwei alten Häuser der Volmers an der Bergedorfer Straße seien damals schon unter den Kindern aufgeteilt worden. Entsprechend bestand kein Bedarf, das beim Amtsgericht hinterlegte Testament erneut einzusehen, als sieben Jahre später die Großmutter starb. "Die Eltern meiner Frau haben sich nur einen Erbschein besorgt", so Lieschke.

Der 76-Jährige ist verärgert über die Vorgehensweise des Gerichts: "In dem Schreiben, das wir anlässlich der Testamentseröffnung erhielten, steht, dass wir die Erbmasse auflisten sollen, bis hin zum Goldschmuck. Wie sollen wir das nach 36 Jahren noch wissen?" Außerdem sei eine Gebühr von 18 Euro fällig. Als Lieschke sich bei der Behörde beschweren wollte, habe er zunächst zwei Wochen niemanden erreicht. Dann hieß es, er hätte den Tod melden müssen. "Aber das wussten wir doch nicht."

Amtsgericht: "Etwa zehn solcher Fälle im Jahr"

Von der Auflistung der Erbmasse nahmen die Beamten allerdings Abstand. Die Gebühr - so hieß es - müsse aber bezahlt werden. "Das sehe ich gar nicht ein", sagt Lieschke.

Die verspätete Testamentseröffnung nach dem Tod von Anna Rosa Vollmer ist kein Einzelfall. Der Leiter des Bergedorfer Amtsgerichts, Holger Bork, erläutert, warum nicht: "Bei uns im Keller lagern mehrere Tausend Testamente. Wird dem Amtsgericht ein Testament zur Verwahrung übergeben, warten wir um die 30 Jahre ab. Haben wir bis dahin nichts gehört, überprüfen wir, ob derjenige, der das Testament gemacht hat, noch lebt. Genauso nach 50 Jahren." Üblicherweise erführe das Gericht über das Standesamt, Rechtspartner, Angehörige oder auch Sparkassen, wenn jemand verstorben ist. "Es gibt aber geschätzte zehn Fälle im Jahr, wo wir bei der laut Fristenkalender vorzunehmenden Überprüfung feststellen, dass jemand verstorben ist." Dann wird nach den Hinterbliebenen gesucht. "Die werden angeschrieben." Wenn, wie im Falle Vollmer, die Auflistung der Erbmasse nicht mehr praktikabel ist, wird davon abgesehen. Die Gebühr für die Testamentseröffnung müsse aber auch noch nach 36 Jahren von den Erben bezahlt werden.