Sie können nur alle vier Jahre feiern, die Kinder des 29. Februar. In Hamburg haben sie den Klub “Schaltjahreskinder Hamburg“ gegründet.

Hamburg. Das wäre was: Wenn Boxpromoter Wilfried Sauerland plötzlich anrufen würde. Oder Goethe-Institut-Chef Klaus-Dieter Lehmann. Oder Topmodel Lena Gercke. Wenn sie sich melden würden, weil sie dazugehören und Renate Wurnig sagen könnte: "Willkommen im Klub". Sie könnte Sauerland dann zum 18. Geburtstag gratulieren. Und Lena zu ihrem sechsten einen Schulranzen schenken. Sie könnte sich auch mit Herrn Lehmann, der jetzt ja auch 18 Jahre alt wird, in einer Kneipe verabreden und ein Bier bestellen. Frau Wurnig darf das jetzt, schließlich feiert die Dame, Jahrgang 1948, in diesem Monat ihren 16. Geburtstag. Damit ist die Bramfelderin schon etwas Außergewöhnliches. Weil sie zu denen gehört, die niemals wirklich alt werden. Auch wenn sie seit 70, 80 oder 90 Jahren auf der Welt sind. Menschen, die am 29. Februar geboren sind und damit in einem Schaltjahr.

Es sind 1048 Personen in Hamburg, die in diesem Jahr endlich einmal wieder das Datum feiern dürfen, an dem sie tatsächlich auf die Welt gekommen sind. Die sich privilegiert fühlen, einerseits. Weil niemand ihren Geburtstag vergisst. Weil sie noch in hohem Alter ziemlich jung sind. Und die sich manchmal benachteiligt sehen. Weil an drei von vier Jahren ihr Ehrentag in keinem Kalender zu finden ist, sie im Kindergarten nur einmal richtig im Mittelpunkt standen und selbst der 18., der Schritt in die Welt der Erwachsenen, im glanzlosen Übergang zwischen Februar und März untergeht.

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543 Frauen sind es in Hamburg und 505 Männer, die zu diesen Ausnahmen gehören. Menschen, die an Nicht-Schaltjahren entweder am 28. Februar oder am 1. März ihren Geburtstag feiern. Eine von ihnen ist Renate Wurnig. Und weil sie, egal ob Schaltjahr oder nicht, immer wieder das Gefühl hat,eine Ausnahme zu sein, begann sie vor acht Jahren, andere Betroffene zu suchen. Sie gründete - in einem Schaltjahr, versteht sich - den Klub "Schaltjahreskinder Hamburg". Eine lockere Gemeinschaft von Menschen, die alle am 29. Februar geboren sind und die Lust daran haben, ihre Anekdoten mit anderen zu teilen.

Inzwischen sind es 20 Schaltjahreskinder, die sich regelmäßig treffen. Sie machen gemeinsame Ausflüge, essen Grünkohl und Torte, schauen sich Städte an und reservieren manchmal einen großen Tisch im InterCity-Restaurant am Hauptbahnhof. An sonnigen Tagen lädt Renate Wurnig auch schon mal in den eigenen Garten ein, stellt dann den Wimpel auf das weiße Tischtuch, steckt sich die Nadel mit dem Schaltjahreskinder-Logo an die Brust und freut sich auf den Moment, wenn die anderen kommen und aus einer Ausnahme dieRegel wird.

Einer von ihnen ist Herr Schmidt. Er wurde am 29. Februar 1944 geboren und feiert in diesem Jahr seinen 17. Geburtstag. Er hat zwei Kinder, die schon erwachsen sind, ist bereits in Rente und hat 30 Jahre Berufserfahrung hinter sich. Immer dann, wenn die Jahreszahl restlos durch vier teilbar ist, nicht aber durch vier und 100 teilbar, aber sowohl durch vier, durch 100 und durch 400 teilbar ist, feiert Helge Schmidt einen richtigen Geburtstag. Das haben die Menschen so festgelegt, weil sonst der Kalender die Zeit überholen würde. Der Lauf der Erde um die Sonne dauert nämlich 365,242198 Tage und ist damit fünf Stunden, 48 Minuten, 46 Sekunden und 98 Hundertstelsekunden länger als jene 365 Tage, die der Kalender in allen Nicht-Schaltjahren anzeigt. Schon die ersten bekannten Kalender etwa 4240 vor Christus enthielten daher Schalttage zum Ausgleich.

Doch erst 238 vor Christi Geburt verfügte der Pharao Kanopus, dass alle vier Jahre ein zusätzlicher Tag in den Kalender kommt. Der römische Astronom Sosigenes, den Julius Cäsar im Jahr 46 vor Christus mit einer Kalenderreform beauftragte, übernahm den Schalttag im Vierjahresrhythmus. Der römische Kalender begann mit dem März, seine Monate hatten abwechselnd 31 beziehungsweise 30 Tage. Der Februar als letzter Monat hatte 29 Tage, nur im Schaltjahr war ein 30. Tag angehängt. Julius Cäsar hatte dem Juli seinen Namen gegeben. Sein Adoptivsohn und Nachfolger Augustus wollte einerseits den nach dem Juli folgenden Monat nach sich benennen lassen. Andererseits missfiel es ihm aber, dass dieser mit 30 Tagen kürzer war als der Monat Cäsars. Augustus verfügte deshalb, dass dem August ein 31. Tag anzufügen sei. Dieser wurde vom Februar abgeknapst.

Es ist der Tag, an dem auch Sibille Rumstich geboren ist, Jahrgang 1928. Sie feiert in diesem Jahr ihren 21. Geburtstag und trifft sich regelmäßig mit den anderen Schaltjahreskindern in der Hamburger Innenstadt. Sie schwärmt von ihrer "ewigen Jugend", davon, dass ihre fünf Enkel und vier Urenkel immer sagen, "wir haben eine ganz junge (Ur-)Oma" und dass sie meistens an zwei Tagen hintereinander feiern kann, weil keiner so genau weiß, wann eigentlich der rechte Moment dafür ist. Frau Rumstich wurde am 29. Februar 1928 um 0.15 Uhr geboren. Ihre Mutter hatte im Rheinland Karneval gefeiert und "sich was losgetanzt". 20 Jahre und fünf Minuten später kam Michael Rathje auf die Welt. Seine Mutter sagte immer zu ihm: "Die Engel haben dich im Galopp verloren." Eigentlich sollte der Junge am 28. Februar auf die Welt kommen. "Die Hebamme aber hat meinen Kopf immer wieder zurückgedrängt. Die wollte unbedingt eine Schaltjahresgeburt erleben", sagt er. Und so kam es, dass Michael Rathje ein Sonntagskind wurde, und das auch noch an einem Schalttag.

Ursula Jung muss immer ein wenig schmunzeln, wenn sie ihren Nachnamen nennt. Weil kaum ein anderer so gut passt wie dieser. Die Wandsbekerin wurde 1936 geboren. Am 29. Februar wird sie 19 und ist damit eine Ausnahme. Genau das wollte ihr Vater bei der Geburt verhindern. Als das Kind um 23.55 Uhr das Licht der Welt erblickte, bat er den Standesbeamten bei Erstellung der Geburtsurkunde, das Geburtsdatum offiziell doch bitte auf den 1. März zu legen. Doch dieser ließ sich nicht erweichen. Frau Jung nimmt es gelassen. "Man wird älter, so oder so", sagt sie.

Werner Lucas kann sich für sein Geburtsdatum da schon mehr begeistern. 29.2.1940 steht in seinem Personalausweis. Und mit diesem Datum passt der ehemalige Tankstellenbetreiber, der sich "mit sechs Jahren" selbstständig gemacht hat, ganz gut in seine Familie. Die nämlich hat jede Menge ungewöhnlicher Geburtsdaten aufzuweisen. So hat Ehefrau Gisela am 20.10.40 Geburtstag, Sohn Torsten am 31.12.60. Und am 18. April wird Enkel Tim 18.

Inzwischen sind aus den Frauen und Männern, die im Hamburger Klub der Schaltjahreskinder zusammenfanden, gute Freunde geworden, die umeinander wissen, miteinander lachen und gern Zeit miteinander verbringen. Sie hätten sich gern gegenseitig zum Geburtstag eingeladen. Das geht nur leider nicht.

Denn dummerweise feiern die Mitglieder dieses besonderen Klubs in diesem Jahr alle einen richtigen Geburtstag. Und ausnahmsweise sogar amselben Tag.