Berlin. Die drei Gründer des Start-up SirPlus wollen abgelaufene Lebensmittel verkaufen. Darum glauben sie an den Erfolg dieser Geschäftsidee.

Ein Supermarkt für abgelaufene Lebensmittel – zunächst klingt das nicht nach einer ernst gemeinten Idee. Während der Trend der Gastro-Szene zum ultimativ frischen Lebensmittel geht, gründen drei junge Leute ein Geschäft, das das genaue Gegenteil verspricht.

Krumm gewachsenes Obst und Gemüse, Brot vom Vortag. Waren, deren Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist. Dinge, die zwar noch genießbar wären, aber im Müll landen, weil Tafeln und Initiativen wie Foodsharing nicht alles abholen könnten, was im Handel, bei Produzenten und Landwirten übrig bleibt, sagt Gründer Raphael Fellmer.

Lebensmittel, die sonst im Müll landen

Der 33-jährige Berliner ist Mitgründer der Foodsharing-Bewegung, die seit Jahren gegen Lebensmittelverschwendung protestiert. Fellmer lebte fünf Jahre im „Geldstreik“, schrieb ein Buch und ist in Deutschland das wohl bekannteste Gesicht der „Lebensmittelretter“. Deutschlandweit hat die Bewegung heute rund 27.000 Teilnehmer. Doch Tafeln, Initiativen und Vereine seien digital noch fast gar nicht vernetzt, sagt Fellmer. „Wir wollen das System auf eine professionelle Ebene heben, zunächst in Berlin, wenn es klappt, deutschlandweit.“

Die Geschäftsidee: Ein Supermarkt soll jene noch genießbaren Lebensmittel zu kleinen Preisen anbieten, die sonst im Müll landen. Über eine App sollen sie schon bei den Händlern erfasst, gesammelt, gelagert, im Laden und online angeboten und sogar tagesaktuell ausgeliefert werden.

Deutlich geringere Preise als im normalen Supermarkt

Die Preise sollen deutlich unter dem eigentlichen Verkaufspreis liegen, aber sicherstellen, dass das System seine Mitarbeiter bezahlen kann. Umgekehrt sollen die Kunden aus allen Schichten kommen. Bei der Tafel etwa können nur nachweislich bedürftige Kunden Ware zu einem symbolischen Betrag bekommen.

„SirPlus“ heißt das Start-up, an dessen Gründung neben Fellmer zwei erfahrene Mitstreiter beteiligt sind: Martin Schott kommt wie Fellmer aus der Foodsharing-Bewegung. Alexander Piutti ist für das Geschäftliche zuständig, er machte unter anderem Game­genetics groß, einen Vermarkter für Online- und Mobile-Games.

Im Spätsommer soll der Laden öffnen

Gerade ist die erste Crowdfunding-Hürde geschafft. Auf der Seite startnext.com wird weiter gesammelt: 150.000 Euro ist das nächste Ziel. Ein erster „Business Angel“ leihe eine sechsstellige Summe, sagt Piutti. Momentan wird ein Ladengeschäft gesucht. Der Laden soll im Spätsommer öffnen. Die Auslieferung an Kunden übernehme der Lieferdienst Liefery.

Laut einer Studie des WWF landen in Deutschland jährlich mehr als 18 Millionen Tonnen Nahrung im Abfall, zehn Millionen Tonnen seien vermeidbar, vor allem im Handel. Das ist die Lücke, in die die Gründer mit SirPlus vorstoßen wollen. Denn auch, wenn allein die Berliner Tafel derzeit fast 8000 Tonnen Lebensmittel im Jahr an Bedürftige verteilt, wird ein großer Teil weiterhin entsorgt.

Keine Konkurrenz zur Tafel

Die Gründer wollen sozialen Einrichtungen und Tafeln keine Konkurrenz machen, sondern sie mit einem digitalen System, einer App, zur Verwaltung der Lebensmittel unterstützen, sagt Piutti. Bei den meisten Initiativen der Lebensmittelretter gebe es keine Kapazitäten, um eine so komplexe Software umzusetzen.

Als Kunden haben die Gründer konsumbewusste Verbraucher im Visier, solche, die sparen müssen, aber auch Restaurants wie „Restlos Glücklich“ im Berliner Stadtteil Neukölln, das mit geretteten Lebensmitteln kocht, oder Apps wie „To good to go“ für Übriggebliebenes aus Bäckereien und Restaurants. Und natürlich die Tafeln. Sabine Werth, Vorsitzende der Berliner Tafel, sieht die Lebensmittelretter positiv. Auch die Tafel sei ja in erster Linie eine Aktion gegen Lebensmittelverschwendung.

Ein Partner von SirPlus ist Metro

Fellmer gehörte einst zu den „Mülltauchern“, die Essbares öffentlichkeitswirksam aus Müllcontainern der Supermärkte retteten. Heute nennt er sich „Social Entrepreneur“, die Robin-Hood-Zeiten sind vorbei. Schon 2012 überzeugte Fellmer die Bioladenkette Bio Company, unverkäufliche Lebensmittel an Aktivisten abzugeben, sofern Tafeln sie nicht abholen konnten. Heute beteiligen sich deutschlandweit etwa 3000 Geschäfte am Foodsharing, vom Supermarkt bis zu Biobauern.

Doch die Gründer haben noch andere Quellen im Blick. Großhändler, bei denen besonders viel Wert auf Frische gelegt und viel aussortiert wird. Würde davon mehr abgeholt, könnten die Händler zwischen 20 und 30 Euro pro Tonne für die Entsorgung sparen, so die Gründer. Ein erster Partner von SirPlus sind die Berliner Märkte der Großhandelskette Metro, wie Guido Mischok von der Großhandelskette Metro Deutschland bestätigt.

Kritik kommt von Gerard Roscoe, Botschafter der Foodsharing-Bewegung in Berlin. „Zu unseren Grundsätzen gehört, gerettete Lebensmittel nicht gegen Geld abzugeben. Wir wollen zeigen, dass gesellschaftliche Veränderungen möglich sind, ohne dass Geld fließt.“

Dieser Artikel ist zuerst auf www.morgenpost.de erschienen.