Berlin. Seit Januar gelten neue Regeln in der Pflegeversicherung. Das entscheidende Kriterium ist die Selbstversorgung. Das müssen Sie wissen.

Etwa 2,8 Millionen Menschen in Deutschland bekommen Leistungen aus der Pflegeversicherung. Mit der Pflegereform sollen laut einer Prognose des Bundesgesundheitsministeriums mehrere Hunderttausend hinzukommen. Seit Januar gelten die neuen Regeln. Wir erklären, wie Sie einen Antrag stellen und sich auf den Besuch des Gutachters vorbereiten können.

Wann hat ein Antrag Aussicht auf Erfolg?

„Der Unterstützungsbedarf im Alltag ist das entscheidende Kriterium“, sagt Catharina Hansen, Pflegeexpertin der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Auch bei geringen Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit können die Kassen seit Januar Leistungen bewilligen.

Dieser neue Pflegegrad 1 bedeutet, dass Betroffene Leistungen im Wert von 125 Euro bekommen. Das ist etwa der Fall, wenn Menschen ihre Einkäufe und Hausarbeiten nicht mehr allein erledigen können oder soziale Kontakte wegen eines eingeschränkten Aktionsradius vollständig wegbrechen.

„Angehörige sollten im Zweifel auch das Gespräch mit Nachbarn suchen und diese fragen, ob ihnen etwas aufgefallen ist – etwa dass nachts ständig Licht brennt oder sie im Hausflur neuerdings nicht mehr gegrüßt werden“, rät Hansen. Wer das Gefühl habe, Betroffene bräuchten im Alltag immer mehr Hilfe, sollten diese davon überzeugen, einen Antrag zu stellen.

Wer kann wo den Antrag auf Pflegeleistungen stellen?

Betroffene, Bevollmächtigte oder gesetzliche Betreuer können den Antrag stellen. Angehörige sind dazu nicht berechtigt. Mitglieder einer gesetzlichen Krankenkasse sind automatisch Mitglied der entsprechenden Pflegekasse. Dort muss der Antrag gestellt werden. „Wer sich mit seiner Krankenkasse in Verbindung setzt, wird an die zuständige Stelle vermittelt“, sagt Hansen.

Jede Mitteilung mit dem Wunsch nach einer geregelten Pflegeleistung wird als Antrag gewertet. Dieser kann also auch per Telefon gestellt werden. Im Anschluss schickt die Pflegekasse dem Antragsteller das Formular per Post zu. Privatversicherte müssen sich an ihr Versicherungsunternehmen wenden. „Weil auch ein Anruf als Antrag gilt, sollte man sich notieren, wann man angerufen und mit wem man gesprochen hat“, rät Hansen. Schließlich würden mögliche Leistungen ab dem Datum der Antragsstellung gezahlt.

Was passiert dann?

Wird ein Antrag auf Leistungen erstmalig gestellt, muss die Pflegekasse dem Antragsteller innerhalb von zwei Wochen einen Beratungstermin anbieten und eine Kontaktperson nennen. Oder sie stellt einen Beratungsgutschein aus und informiert über unabhängige Beratungsstellen. Dann schaltet die Pflegekasse einen Gutachter ein. Der kann vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) kommen oder freiberuflich für diesen arbeiten. Die Gutachter sind speziell ausgebildete Pflegefachkräfte oder Ärzte.

Der Termin für den Hausbesuch wird schriftlich oder telefonisch vereinbart. „Die Gutachter geben auch immer ein Zeitfenster an, in dem sie kommen. Es gibt keine unangekündigten Besuche“, erklärt Catharina Hansen. Sie rät: „Wer nach vier Wochen noch keinen Termin von der Pflegekasse bekommen hat, sollte sich in Erinnerung bringen.“

Wie lange dauert eine Begutachtung und wie läuft diese ab?

Die Gutachter kommen zu dem pflegebedürftigen Menschen nach Hause, das kann auch ein Alten- oder Pflegeheim sein. Beim Besuch, der bis zu eine Stunde dauern kann, stellt der Gutachter anhand von 64 Kriterien fest, wie selbstständig der Versicherte seinen Alltag gestalten kann. Im Gespräch sollten Einschränkungen und Probleme geschildert werden. „Der Termin läuft nicht wie eine ärztliche Untersuchung ab“, sagt Hansen. Sehr wohl aber könne der Gutachter die Gangsicherheit prüfen oder die Betroffenen bitten, ein Glas Wasser einzuschenken, um die motorischen Fähigkeiten zu prüfen.

Eine vertraute Person des Antragstellers sollte beim Gutachterbesuch anwesend sein. Das Gespräch mit ihr ergänzt das Bild. Vorhandene Unterlagen, zum Beispiel Arztberichte oder verschriebenen Medikamente, sollten vorliegen.

Was wird begutachtet?

Begutachtet werden Fähigkeiten in folgenden Kategorien: körperliche Beweglichkeit, kognitive und kommunikative Fähigkeiten (verstehen, reden, Orientierung über Ort, Zeit, Sachverhalte), Verhaltensweisen und psychische Probleme (Unruhe, Ängste, Aggressionen), Selbstversorgung (waschen, ankleiden, essen und trinken), Bewältigung von krankheitsbedingten Anforderungen (Medikamente, Zuckermessung) sowie die Gestaltung des Alltags und sozialer Kontakte. Die größte Gewichtung kommt der Kategorie Selbstversorgung mit 40 Prozent zu (siehe Grafik).

Von wem und wann erhält man den Bescheid über den Pflegegrad?

Der Gutachter rechnet die Ergebnisse des Hausbesuchs mithilfe eines standardisierten Verfahrens in Punkte um und schickt das Gutachten an die Pflegekasse. Von dort erhält der Versicherte den Bescheid über Pfleggrad und Leistungen. Ist der Versicherte einverstanden, schickt die Pflegekasse auch das MDK-Gutachten mit. Im Normalfall müssen die Kassen innerhalb von fünf Wochen entscheiden. Aufgrund der Pflegereform ist diese Frist 2017 ausgesetzt. „In Ausnahmefällen kann es länger dauern,“ erklärt das Gesundheitsministerium.