Paris. Jung, unabhängig, unangepasst: Emmanuel Macron bringt wenig mit, was ihn zum klassischen Präsidenten macht. Gewonnen hat er trotzdem.
Er hat es tatsächlich geschafft: Mit noch nicht einmal 40 Jahren ist Emmanuel Macron neuer Präsident Frankreichs. Er setzte sich am Sonntag klar gegen seine Konkurrentin Marine Le Pen vom rechtsextremen Front National durch.
Macron, dessen Charme und jugendliche Unbeschwertheit an den John Kennedy der 50er-Jahre erinnert, ist ein Phänomen. Selbst erfahrene Journalisten bezeichnen ihn als UPO (Unidentifiziertes politisches Objekt). Nun ist ihm der Triumph geglückt.
Wie die Nachteile zu Vorteilen wurden
So ziemlich alles, was Macron zu einer Besonderheit macht, müsste ihn eigentlich als Präsident disqualifizieren: Er ist erst 39 Jahre alt, gehört keiner Partei an, hat sich als politischer Quereinsteiger noch nie zuvor einer Wahl gestellt – und zielt mit seinem linksliberalen, sich der klassischen Rechts-Links-Konfrontation konsequent verweigernden Programm auf eine politische Mitte, deren Repräsentanten in der V. französischen Republik noch nie vom Griff nach dem Elysée-Palast träumen durften.
Die Karriere von Präsident Macron
Während seine Konkurrenten die Lehre verinnerlicht hatten, der zufolge sich mit dem Thema Europa keine Wahlen gewinnen lassen, schmückte Macron seine Veranstaltungen mit der Europaflagge statt mit der Trikolore und ersetzte die wohlfeile Brüssel-Schelte durch vibrierende pro-europäische Plädoyers. Das zeigte Wirkung.
Und wenn die übrigen Bewerber mal wieder Angela Merkels Flüchtlingspolitik kritisierten, sprach Macron der deutschen Kanzlerin bewegt seine Dankbarkeit aus, weil sie „die Ehre Europas gerettet hat“. Auch das kam an.
Macron ist ein Antipopulist
Wofür aber steht der von seinen Fans als „Obama Frankreichs“ gefeierte Politiker? Für das Liberale, das Progressive, das Weltoffene und das Furchtlose lautet die auf das Wesentliche komprimierte Antwort. Macron ist ein Antipopulist, insbesondere im Vergleich mit seiner rechtsextremistischen Widersacherin Marine Le Pen. Wo die Chefin des Front National versuchte, die Ängste ihre Mitbürger zu instrumentalisieren, hat Macron den Franzosen Selbstvertrauen und Zuversicht in eine bessere Zukunft eingeflößt.
Gegner Macrons hatten gerne über dessen „messianisches Sendebewusstsein“ gespottet – und zollten damit ungewollt der verblüffenden Selbstsicherheit des Polit-Youngsters Anerkennung.
Fraglos weiß der studierte Philosoph und Ex-Banker ganz genau, was er will. Und auch, wie er dort hinkommt. So grenzte er sich bewusst von den Traditionsparteien ab, als er vor einem Jahr – noch als Wirtschaftsminister der sozialistischen Regierung – seine eigene Bewegung „En Marche!“ (Auf geht’s!) gründete.
Erfolg mit „Graswurzel“-Bewegung
Erst im vergangenen August verließ Macron das Kabinett, um sich als Präsidentschaftskandidat in Stellung zu bringen. Es war der offene Bruch mit seinem Mentor François Hollande und nach landläufiger Meinung von damals ein Himmelfahrts-Kommando. Doch dank der sozialen Netzwerke wuchs die „Graswurzel“-Bewegung „En marche!“ rasant. Deren mittlerweile 230.000 Mitglieder hatten eine Tür-zu-Tür-Befragung im ganzen Land durchgeführt, die Ergebnisse flossen in Macrons Programm ein.
Es war dieses Programm, eine sorgfältig austarierte Mischung aus wirtschaftsliberalen und sozialen Maßnahmen, an denen sich die Konkurrenten die Zähne ausgebissen haben. Dazu gehörten eine Reform der Rentenversicherung, ein umfangreiches Investitionsprogramm, eine Lockerung des Arbeitsrechts, die Modifikation der 35-Stunden-Woche und die Abschaffung der Wohnsteuer.
Macron hat angekündigt, sowohl mit der gemäßigten Linken als auch mit der gemäßigten Rechten und natürlich mit den Zentrumsparteien zusammenarbeiten zu wollen – also mit allen „Progressisten“. Und deren Zahl wächst täglich. Sie umfasst neben politischen Neubekehrten viele enttäuschte Konservative oder frustrierte Sozialisten.
Wahl hat geteiltes Land hinterlassen
Zudem sind mittlerweile neben Dutzenden Abgeordneten und Senatoren der Traditionsparteien auch prominente Politiker wie der Chef der Zentrumspartei MoDem, François Bayrou, der grüne Ex-Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit oder der Verteidigungsminister und Hollande-Vertraute Yves Le Drian in Macrons Lager übergelaufen.
Freilich verdankt Macron seinen Erfolg nicht nur seinem Charisma. Alles spielte ihm zu – der Wahlverzicht von Präsident François Hollande, das Ausscheiden des gemäßigten Konservativen Alain Juppé und natürlich die Justizaffären, in die seine Hauptrivalen François Fillon und Le Pen verwickelt sind.
Die Wahl hat ein geteiltes Land hinterlassen. Es wird Macrons erste Aufgabe sein, die Bürger wieder zusammen zu bringen.