Paris. Jung, unabhängig, unangepasst: Emmanuel Macron bringt wenig mit, was ihn zum klassischen Präsidenten macht. Gewonnen hat er trotzdem.

Er hat es tatsächlich geschafft: Mit noch nicht einmal 40 Jahren ist Emmanuel Macron neuer Präsident Frankreichs. Er setzte sich am Sonntag klar gegen seine Konkurrentin Marine Le Pen vom rechtsextremen Front National durch.

Macron, dessen Charme und jugendliche Unbeschwertheit an den John Kennedy der 50er-Jahre erinnert, ist ein Phänomen. Selbst erfahrene Journalisten bezeichnen ihn als UPO (Unidentifiziertes politisches Objekt). Nun ist ihm der Triumph geglückt.

Wie die Nachteile zu Vorteilen wurden

So ziemlich alles, was Macron zu einer Besonderheit macht, müsste ihn eigentlich als Präsident disqualifizieren: Er ist erst 39 Jahre alt, gehört keiner Partei an, hat sich als politischer Quereinsteiger noch nie zuvor einer Wahl gestellt – und zielt mit seinem linksliberalen, sich der klassischen Rechts-Links-Konfrontation konsequent verweigernden Programm auf eine politische Mitte, deren Repräsentanten in der V. französischen Republik noch nie vom Griff nach dem Elysée-Palast träumen durften.

Die Karriere von Präsident Macron

Europa im Blick: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron macht sich für eine Neugestaltung der Politik der Europäischen Union stark. Bilder seiner Karriere.
Europa im Blick: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron macht sich für eine Neugestaltung der Politik der Europäischen Union stark. Bilder seiner Karriere. © REUTERS | POOL
Emmanuel Macron ist der jüngste Präsident Frankreichs. Mit 39 Jahren wurde er zum Staatsoberhaupt gewählt. Die Stichwahl am 14. Mai 2017 entschied er klar für sich. Auch bei der Wahl zur Nationalversammlung im Juni erreichte seine Partei die absolute Mehrheit.
Emmanuel Macron ist der jüngste Präsident Frankreichs. Mit 39 Jahren wurde er zum Staatsoberhaupt gewählt. Die Stichwahl am 14. Mai 2017 entschied er klar für sich. Auch bei der Wahl zur Nationalversammlung im Juni erreichte seine Partei die absolute Mehrheit. © Getty Images | Aurelien Meunier
Hinter Macron steht die von ihm 2016 gegründete politische Bewegung „En Marche!“ (In Bewegung). Einen klassischen Parteiapparat hat er bislang nicht. Macron führte sein Wahlkampfteam wie ein Start-Up-Unternehmen.
Hinter Macron steht die von ihm 2016 gegründete politische Bewegung „En Marche!“ (In Bewegung). Einen klassischen Parteiapparat hat er bislang nicht. Macron führte sein Wahlkampfteam wie ein Start-Up-Unternehmen. © dpa | Michel Spingler
Der Arztsohn war bis 2012 gut bezahlter Investmentbanker bei Rothschild & Cie., dann holte ihn der damalige Präsident François Hollande als Berater in den Elysée-Palast. Von 2014 bis 2016 war er Wirtschaftsminister.
Der Arztsohn war bis 2012 gut bezahlter Investmentbanker bei Rothschild & Cie., dann holte ihn der damalige Präsident François Hollande als Berater in den Elysée-Palast. Von 2014 bis 2016 war er Wirtschaftsminister. © REUTERS | FRANCOIS LENOIR
Anschließend ist Macron aus dem Schatten seines Mentors im Elysée-Palast getreten, hat eine politische Blitzkarriere gemacht und den Sozialisten beerbt.
Anschließend ist Macron aus dem Schatten seines Mentors im Elysée-Palast getreten, hat eine politische Blitzkarriere gemacht und den Sozialisten beerbt. © REUTERS | REGIS DUVIGNAU
Macron ist unkonventionell, er will „weder rechts noch links“ sein.
Macron ist unkonventionell, er will „weder rechts noch links“ sein. © REUTERS | REUTERS / JEAN-PAUL PELISSIER
 Er gilt als Mitte-Links-Politiker, seine Ausrichtung ist sozialliberal.
Er gilt als Mitte-Links-Politiker, seine Ausrichtung ist sozialliberal. © REUTERS | BENOIT TESSIER
Berührungsängste hat er jedenfalls nicht. Weder bei den französischen Bürgern, ...
Berührungsängste hat er jedenfalls nicht. Weder bei den französischen Bürgern, ... © REUTERS | POOL
... noch bei Tieren.
... noch bei Tieren. © dpa | Eric Feferberg
Manche nennen den Politjungstar den „französischen Kennedy“. Schon vor der Wahl war von einer „Macromania“ die Rede.
Manche nennen den Politjungstar den „französischen Kennedy“. Schon vor der Wahl war von einer „Macromania“ die Rede. © Getty Images | Aurelien Meunier
Verheiratet ist Macron seit 2007 mit Brigitte Macron. Die beiden kennen sich seit seiner Schulzeit.
Verheiratet ist Macron seit 2007 mit Brigitte Macron. Die beiden kennen sich seit seiner Schulzeit. © dpa | Eric Feferberg
Brigitte Macron war damals seine Französischlehrerin. Sie hat drei Kinder aus erster Ehe, zwei davon älter als Macron.
Brigitte Macron war damals seine Französischlehrerin. Sie hat drei Kinder aus erster Ehe, zwei davon älter als Macron. © dpa | Christophe Ena
Das ungewöhnliche Paar bringt Glamour in den Élysée-Palast.
Das ungewöhnliche Paar bringt Glamour in den Élysée-Palast. © dpa | Yoan Valat
Macron ist wie so viele andere Spitzenpolitiker Frankreichs Absolvent der Elite-Hochschule ENA. Doch er sieht sich nicht als Teil des politischen Establishments, sondern als Erneuerer, der Frankreich aufrütteln und modernisieren will.
Macron ist wie so viele andere Spitzenpolitiker Frankreichs Absolvent der Elite-Hochschule ENA. Doch er sieht sich nicht als Teil des politischen Establishments, sondern als Erneuerer, der Frankreich aufrütteln und modernisieren will. © dpa | Eric Feferberg
Der haushohe Sieg bei der Parlamentswahl gibt Macron ausreichend Rückhalt für sein Reformprogramm.
Der haushohe Sieg bei der Parlamentswahl gibt Macron ausreichend Rückhalt für sein Reformprogramm. © Getty Images | Sylvain Lefevre
Der achte Präsident der Fünften Republik will die französische Wirtschaft wieder in Schwung bringen.
Der achte Präsident der Fünften Republik will die französische Wirtschaft wieder in Schwung bringen. © dpa | Valentin Flauraud
Dafür plant er unter anderem eine Lockerung des Arbeitsrechts.
Dafür plant er unter anderem eine Lockerung des Arbeitsrechts. © dpa | Etienne Laurent
Ob das an seiner Beliebtheit kratzen wird?
Ob das an seiner Beliebtheit kratzen wird? © REUTERS | POOL
Macron, die mächtigste Frau Europas und der mächtigste Mann der Welt: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der US-Präsident Donald Trump sind zwei Spitzenpolitiker, an denen Macron seit seinem Amtsantritt ganz wesentlich seine Selbstdarstellung ausgerichtet hat.
Macron, die mächtigste Frau Europas und der mächtigste Mann der Welt: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der US-Präsident Donald Trump sind zwei Spitzenpolitiker, an denen Macron seit seinem Amtsantritt ganz wesentlich seine Selbstdarstellung ausgerichtet hat. © REUTERS | REUTERS / POOL
Auf dem EU-Gipfel in Brüssel (Belgien) am 28. Juni 2018 zeigte der selbstbewusste junge Staatschef demonstrativ die Nähe zu Merkel.
Auf dem EU-Gipfel in Brüssel (Belgien) am 28. Juni 2018 zeigte der selbstbewusste junge Staatschef demonstrativ die Nähe zu Merkel. © dpa | Geert Vanden Wijngaert
Auch den amerikanischen Präsidenten Donald Trump traf Macron 2017.
Auch den amerikanischen Präsidenten Donald Trump traf Macron 2017. © Getty Images | Matt Cardy
In Frankreich trifft Macron auch auf viel Widerstand mit seiner Politik. Hier protestieren in Paris Demonstranten gegen Macrons Plan für eine Justizreform.
In Frankreich trifft Macron auch auf viel Widerstand mit seiner Politik. Hier protestieren in Paris Demonstranten gegen Macrons Plan für eine Justizreform. © dpa | Francois Mori
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Während seine Konkurrenten die Lehre verinnerlicht hatten, der zufolge sich mit dem Thema Europa keine Wahlen gewinnen lassen, schmückte Macron seine Veranstaltungen mit der Europaflagge statt mit der Trikolore und ersetzte die wohlfeile Brüssel-Schelte durch vibrierende pro-europäische Plädoyers. Das zeigte Wirkung.

Und wenn die übrigen Bewerber mal wieder Angela Merkels Flüchtlingspolitik kritisierten, sprach Macron der deutschen Kanzlerin bewegt seine Dankbarkeit aus, weil sie „die Ehre Europas gerettet hat“. Auch das kam an.

Macron ist ein Antipopulist

Wofür aber steht der von seinen Fans als „Obama Frankreichs“ gefeierte Politiker? Für das Liberale, das Progressive, das Weltoffene und das Furchtlose lautet die auf das Wesentliche komprimierte Antwort. Macron ist ein Antipopulist, insbesondere im Vergleich mit seiner rechtsextremistischen Widersacherin Marine Le Pen. Wo die Chefin des Front National versuchte, die Ängste ihre Mitbürger zu instrumentalisieren, hat Macron den Franzosen Selbstvertrauen und Zuversicht in eine bessere Zukunft eingeflößt.

Obama for President - aber in Frankreich

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    Gegner Macrons hatten gerne über dessen „messianisches Sendebewusstsein“ gespottet – und zollten damit ungewollt der verblüffenden Selbstsicherheit des Polit-Youngsters Anerkennung.

    Fraglos weiß der studierte Philosoph und Ex-Banker ganz genau, was er will. Und auch, wie er dort hinkommt. So grenzte er sich bewusst von den Traditionsparteien ab, als er vor einem Jahr – noch als Wirtschaftsminister der sozialistischen Regierung – seine eigene Bewegung „En Marche!“ (Auf geht’s!) gründete.

    Erfolg mit „Graswurzel“-Bewegung

    Erst im vergangenen August verließ Macron das Kabinett, um sich als Präsidentschaftskandidat in Stellung zu bringen. Es war der offene Bruch mit seinem Mentor François Hollande und nach landläufiger Meinung von damals ein Himmelfahrts-Kommando. Doch dank der sozialen Netzwerke wuchs die „Graswurzel“-Bewegung „En marche!“ rasant. Deren mittlerweile 230.000 Mitglieder hatten eine Tür-zu-Tür-Befragung im ganzen Land durchgeführt, die Ergebnisse flossen in Macrons Programm ein.

    Es war dieses Programm, eine sorgfältig austarierte Mischung aus wirtschaftsliberalen und sozialen Maßnahmen, an denen sich die Konkurrenten die Zähne ausgebissen haben. Dazu gehörten eine Reform der Rentenversicherung, ein umfangreiches Investitionsprogramm, eine Lockerung des Arbeitsrechts, die Modifikation der 35-Stunden-Woche und die Abschaffung der Wohnsteuer.

    Macron hat angekündigt, sowohl mit der gemäßigten Linken als auch mit der gemäßigten Rechten und natürlich mit den Zentrumsparteien zusammenarbeiten zu wollen – also mit allen „Progressisten“. Und deren Zahl wächst täglich. Sie umfasst neben politischen Neubekehrten viele enttäuschte Konservative oder frustrierte Sozialisten.

    Wahl hat geteiltes Land hinterlassen

    Zudem sind mittlerweile neben Dutzenden Abgeordneten und Senatoren der Traditionsparteien auch prominente Politiker wie der Chef der Zentrumspartei MoDem, François Bayrou, der grüne Ex-Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit oder der Verteidigungsminister und Hollande-Vertraute Yves Le Drian in Macrons Lager übergelaufen.

    Freilich verdankt Macron seinen Erfolg nicht nur seinem Charisma. Alles spielte ihm zu – der Wahlverzicht von Präsident François Hollande, das Ausscheiden des gemäßigten Konservativen Alain Juppé und natürlich die Justizaffären, in die seine Hauptrivalen François Fillon und Le Pen verwickelt sind.

    Die Wahl hat ein geteiltes Land hinterlassen. Es wird Macrons erste Aufgabe sein, die Bürger wieder zusammen zu bringen.