Berlin. Die Wahlchancen stehen für Martin Schulz aktuell nicht gut. Das hat einen Grund, sagt ein Experte: Der SPD-Mann sei zu authentisch.

Dr. Stefan Wachtel ist Rhetorik-Experte und berät als Coach seit Jahren Vorstandsmitglieder großer Unternehmen für öffentliche Auftritte. Über die Außenwirkung der beiden Kontrahenten um die Kanzlerschaft fällt er im Gespräch mit unserer Redaktion ein klares Urteil – bei dem der Herausforderer nicht eben gut abschneidet.

SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz scheint auf eine Wahlniederlage zuzusteuern. Was ist sein Problem?

Stefan Wachtel: Kurz gesagt: Martin Schulz ist allzu authentisch.

Wie bitte? Die Wähler wollen doch authentische Politiker.

Wachtel: Eben nicht. Wir wollen Politiker, die uns authentisch scheinen! Ein gewaltiger Unterschied. Stellen Sie sich den Wahlkampf als Theaterstück vor. Titel: „Wer macht uns den besten Kanzler?“ Und in dem Stück muss Schulz eine Rolle spielen, die des modernen, strahlenden Herausforderers. Diese Rolle füllt er aber nicht aus. Er ist stattdessen wie er ist: Ein anständiger, aber humorloser, graugesichtiger Herr aus der Provinz. Er ackert und rackert und findet nicht aus der Defensive heraus. Man merkt ihm an, dass er es nicht einfach hat. Für einen Wahlkampf ist das tödlich, da geht es ja nicht darum, wie die Kandidaten sich fühlen, sondern wer uns in den nächsten vier Jahren den Kanzler spielt.

Schulz müsste also eine Rolle spielen, sagen Sie. Was fehlt ihm denn zum Erfolgskandidaten?

Wachtel: Schulz hat keine Strahlkraft, er leuchtet nicht. Das fängt schon bei der Kleidung an. Er könnte etwas moderner daherkommen. Rhetorisch ist er eigentlich gar nicht so schlecht. Er spricht oft kurze Sätze, das wirkt kategorisch. Stark ist Schulz immer dann, wenn ganz klar ist, was er will. Dann aber wieder verfällt er ins Nebulöse. Insgesamt gilt eben: Er füllt seine Rolle als überzeugender Kanzlerdarsteller nicht aus. Das war übrigens bei seinen beiden Vorgängern nicht anders.

Wie meinen Sie das?

Wachtel: Auch Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück waren als Kanzlerkandidaten authentisch – und sind damit krachend gescheitert. Der letzte SPD-Anwärter, der kapiert hatte, dass er die Rolle des Kanzlerdarstellers annehmen muss, war Gerhard Schröder. Von dessen Flughöhe ist Martin Schulz aber ein ziemliches Stück entfernt.

Also Rolle statt Authentizität. Wenn Ihre These stimmt, würde es doch bedeuten, dass Angela Merkel seit zwölf Jahren eine Rolle spielt. Denn sie hat ja große Erfolge bei Wahlen.

Wachtel: Und so ist es ja auch. Rolle plus Authentizität, beides in Balance! Angela Merkel spielt die Rolle der Kanzlerin perfekt. Nicht von Beginn an, die Wahl gegen Schröder 2005 hat sie auch nur knapp gewonnen. Aber sie ist dann schnell in die Hauptrolle des Stücks mit dem Titel „Deutschland“ hineingewachsen. Sie hat das soweit perfektioniert, dass die Rolle und der Mensch dahinter gar nicht mehr zu unterscheiden sind. Das ist die höchste Kunst.

Was heißt das konkret?

Wachtel: Angela Merkel ist die Königin der Verallgemeinerungen. Nur keine Details, nur nicht erwischt werden bei brutto statt netto! Merkel verallgemeinert Dinge - und sie macht sich dadurch mit Menschen gemein. Sie atmet das als Botschaft aus: Ihr liebstes Wort ist „gemeinsam“.

Die perfekte Kanzler-Darstellerin, also?

Wachtel: Nahezu perfekt. Merkel ist auf Wirkung gebürstet. Sie ist nicht im Erklärbär-Modus, sondern im Executive-Modus. Verlässt sie den, verliert sie augenblicklich. Sie weiß das, und bleibt fast immer drin. In der Rolle. Einmal war Angela Merkel authentisch, als sie ein weinendes Flüchtlingskind trösten wollte. Das passte dann auch wieder nicht.