Berlin. Schulz warnt vor Krise in Deutschland wie 2015. In Italien kommen bis zu 5000 Flüchtlinge pro Tag an. Es könnte noch mehr werden.

SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz unternimmt auf der Suche nach einem zündenden Wahlkampfthema einen neuen Anlauf: Er will die Flüchtlingskrise in Italien, die das Land zu überfordern droht, jetzt in Deutschland debattieren – und richtet dabei schwere Vorwürfe an Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Die Situation in Italien sei „hochbrisant“, sagte Schulz der „Bild am Sonntag“.

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vor einer neuen Krise in Deutschland: Es drohe sich die Situation von 2015 zu wiederholen, als über eine Million Flüchtlinge „weitgehend unkon­trolliert nach Deutschland kamen“. Mit Blick auf Merkel erklärte Schulz: „Wer auf Zeit spielt und versucht, das Thema bis zur Bundestagswahl zu ignorieren, verhält sich zynisch.“

Mit seinem Alarmruf übertraf Schulz sogar CSU-Chef Horst Seehofer. Der forderte zwar in der „Welt am Sonntag“, man dürfe „die Italiener mit dem Flüchtlingsandrang nicht allein lassen“. Aber Seehofer setzt wie andere darauf, dass im Fall der Fälle Österreich wie angedroht die Grenzen zu Italien dichtmachen wird, was indirekt auch Deutschland entlasten würde – abgesehen davon, dass in Italien in diesem Jahr etwa 200.000 Flüchtlinge, aber sicher nicht eine Million wie in Deutschland vor zwei Jahren erwartet werden.

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    Italien sieht sich am Limit und von der EU im Stich gelassen

    Italien sieht sich dennoch am Rande seiner Möglichkeiten. Seit die Balkanroute praktisch dicht ist, landen immer mehr Flüchtlinge über Libyen und das westliche Mittelmeer im EU-Land – über 90.000 waren es in diesem Jahr schon, an einzelnen Tagen erreichen bis zu 5000 Menschen die Häfen.

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    Vergeblich forderte die Regierung in Rom, dass die Rettungsschiffe mit Flüchtlingen nicht mehr nur Süditalien ansteuern, sondern auch Häfen in Frankreich oder Spanien; deren Regierungen lehnten dankend ab. Aus Protest blockierte Italien vergangene Woche in Brüssel einen Beschluss zur Verlängerung des EU-Flüchtlingseinsatzes „Sophia“ im Mittelmeer. Die Marineverbände sollen gegen Schlepperbanden vorgehen, retten aber auch Flüchtlinge. Das „Sophia“-Mandat läuft nun am Donnerstag aus, eine Lösung ist nicht gefunden.

    Jetzt sind es in Italien meist Wirtschaftsflüchtlinge

    Außer Zusagen für Hilfsgelder in Millionenhöhe hat Italien bisher nichts Konkretes von der EU erhalten. Das liegt auch daran, dass es sich anders als bei der großen Welle 2015 bei den Neuankömmlingen jetzt überwiegend um Wirtschaftsflüchtlinge handelt. Da ist Solidarität Fehlanzeige. Schulz wird daran nichts ändern, wenn er Gentiloni seine Aufwartung macht: Er hat einen Lösungsvorschlag im Gepäck, der weder originell noch kurzfristig belastbar ist.

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      Gegen Geld von der EU-Kommission sollten andere EU-Länder Italien

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      abnehmen, fordert Schulz. Deutschland sei dabei ausgenommen. „Jetzt sind die anderen EU-Mitgliedsstaaten dran.“ Doch die Idee, EU-Länder zu belohnen, wenn sie Flüchtlinge aufnehmen, verfolgt die EU-Kommission schon seit zwei Jahren – ohne Erfolg. Zuletzt war im Frühjahr von 60.000 Euro pro Zuwanderer die Rede, im EU-Parlament sogar von 250.000 Euro. Schulz kennt das Scheitern bisheriger Bemühungen, dennoch kündigt er an, in Italien eine „Koalition der Willigen“ schmieden zu wollen. Abgesehen davon erneuert er die Forderungen nach Bekämpfung der Fluchtursachen in Afrika.

      Deutschland ist raus, andere müssen Italien helfen: Ob der SPD-Chef mit dieser Haltung bei Gentiloni durchkommt? Tatsächlich hat die Bundesregierung bereits zugesagt, Italien 750 Flüchtlinge pro Monat abzunehmen. Der italienische Premier weiß ohnehin, dass Schulz angesichts seiner schlechten Umfragewerte die Krise für den Wahlkampf benutzen will. Während der Kanzlerkandidat in seinem Zukunftsplan „legale Fluchtwege“ und ein Einwanderungsrecht für einen „fairen Zugang nach Europa“ fordert, schürt er jetzt unverhohlen Furcht vor einer neuen Flüchtlingswelle.

      „Diese Leute werden Wege finden, um in Deutschland anzukommen“

      Auf Dauer werde Italien nicht alle Flüchtlinge nehmen, warnte Schulz am Sonntag in einem Interview des Deutschlandfunks: „Dann können die Österreicher den Brenner mit Panzern dichtmachen. Diese Leute werden Wege finden, um dann wieder in Deutschland anzukommen.“ In der SPD-Spitze wird bestritten, dass der Kanzlerkandidat die Lage dramatisiert, um Merkel-Wähler in die Arme der AfD zu treiben. „Im Wahlkampf ist alles ein Thema“, verteidigt sich Schulz.

      Doch natürlich sähe Merkel es lieber, wenn das Flüchtlingsthema jetzt keine große Rolle spielt. Als sie und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vor zwei Wochen mit

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      , versicherten sie dem Gastgeber zwar ihre Solidarität. Aber vor allem warben Merkel und Macron gelassen dafür, Fluchtursachen zu bekämpfen und die Lage in Libyen zu stabilisieren.

      Auch Seehofer plädiert nun dafür, den Flüchtlingen in ihren Heimatländern zu helfen. Ihm schadet die neue Debatte nicht, seine Forderung nach einer Flüchtlingsobergrenze bekommt so neue Aktualität. „Im Moment ist die Lage ruhig“, meint der CSU-Chef. „Aber wir wissen alle: Die Migrationswelle wird weitergehen.“