Berlin. Helmut Kohl war umstritten. Unser Autor demonstrierte gegen ihn. Nun leistet er Abbitte. Ein zwiespältiger, persönlicher Rückblick.

Wie haben wir auf diesen Mann geschimpft! Als

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sich 1982 per Misstrauensvotum auf den Kanzlersessel im Bundestag und damit an die Macht wuchtete, verkörperte er für uns, die wir damals gerade über 20 waren, so ziemlich all das, was wir an der Politik verabscheuten: Provinzialität, Mittelmäßigkeit, Bräsigkeit.

Der Mann aus Oggersheim war unser politisches Feindbild – auch wenn er immerhin Franz-Josef Strauß, unser Feindbild Nummer 2, die Stirn bot. Kohl als Kanzler? Das kann, ja, das wird nicht lange gehen! Dachten wir.

Kohls Karawane zog einfach weiter

Wie haben wir diesen Mann unterschätzt! Kohl sollte Kanzler bleiben, länger als jeder andere bisher in der Geschichte der Bundesrepublik. Länger sogar als Konrad Adenauer, den wir schon damals nur noch aus den Geschichtsbüchern kannten. Und die ganzen Jahre über haben wir uns an Kohl abgearbeitet, in steter Gewissheit, dass die jeweils nächste Wahl sein politisches Aus besiegeln würde.

Einmal, als Kohl auf Wahlkampftour in unsere Gegend kam, haben wir sogar gegen ihn demonstriert, Plakate gepinselt und Schmähgesänge gegrölt. Ich schätze, er hat uns nicht einmal gehört.

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und ließ uns mit unseren verknickten Plakaten im Regen zurück wie begossene Pudel.

Helmut Kohl – Eine Karriere in Bildern

Der Kandidat: Bei der Bundestagswahl 1976 trat Helmut Kohl erstmals als Kanzlerkandidat der Union an. Er unterlag gegen Helmut Schmidt.
Der Kandidat: Bei der Bundestagswahl 1976 trat Helmut Kohl erstmals als Kanzlerkandidat der Union an. Er unterlag gegen Helmut Schmidt. © Reuters | REUTERS / Str Old
Der Tierfreund: Für die Pressefotografen fütterte Helmut Kohl im Sommerurlaub am österreichischen Wolfgangsee 1994 das Wild. Der Wolfgangsee war ein beliebtes Ferienziel der Kohls.
Der Tierfreund: Für die Pressefotografen fütterte Helmut Kohl im Sommerurlaub am österreichischen Wolfgangsee 1994 das Wild. Der Wolfgangsee war ein beliebtes Ferienziel der Kohls. © Reuters | REUTERS /
Der Ehrengast: gemeinsam mit seiner zweiten Ehefrau Maike Richter-Kohl kam Helmut Kohl zum Festempfang anlässlich des 150-jährigen Bestehens des Unternehmens BASF in seiner Heimatstadt Ludwigshafen. Rechts Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Der Ehrengast: gemeinsam mit seiner zweiten Ehefrau Maike Richter-Kohl kam Helmut Kohl zum Festempfang anlässlich des 150-jährigen Bestehens des Unternehmens BASF in seiner Heimatstadt Ludwigshafen. Rechts Bundeskanzlerin Angela Merkel. © Reuters | REUTERS / RALPH ORLOWSKI
Historischer Händedruck: Beim Gedenken an die Opfer des 1. Weltkriegs gedachten Kanzler Helmut Kohl und Frankreichs Staatspräsident Francois Mitterrand 1984 Hand in Hand der Toten. Die Geste wurde zu einem Symbol der deutsch-französischen Freundschaft.
Historischer Händedruck: Beim Gedenken an die Opfer des 1. Weltkriegs gedachten Kanzler Helmut Kohl und Frankreichs Staatspräsident Francois Mitterrand 1984 Hand in Hand der Toten. Die Geste wurde zu einem Symbol der deutsch-französischen Freundschaft. © Reuters | REUTERS /
Der Vater: 2001 reiste Helmut Kohl nach Istanbul, wo Sohn Peter Kohl seine langjährige Partnerin Elif Sozen heiratete. Das Bild zeigt das Hochzeitspaar mit Kohl (r.) und an den Eltern der Braut vor der katholische St.-Antonius-Basilika in Istanbul.  Später überwarf sich Helmut Kohl mit seinen Söhnen Peter und Walter. Der Kontakt brach über lange Zeit hinweg ab.
Der Vater: 2001 reiste Helmut Kohl nach Istanbul, wo Sohn Peter Kohl seine langjährige Partnerin Elif Sozen heiratete. Das Bild zeigt das Hochzeitspaar mit Kohl (r.) und an den Eltern der Braut vor der katholische St.-Antonius-Basilika in Istanbul. Später überwarf sich Helmut Kohl mit seinen Söhnen Peter und Walter. Der Kontakt brach über lange Zeit hinweg ab. © Reuters | REUTERS / Fatih Saribas
Der Einheitskanzler: Helmut Kohl am 3. Oktober 1990 - dem Tag, an dem Deutschland wieder vereint war. Kohl hatte als Kanzler einen großen Anteil an der Vereinigung beider deutscher Staaten knapp ein Jahr nach dem Mauerfall.
Der Einheitskanzler: Helmut Kohl am 3. Oktober 1990 - dem Tag, an dem Deutschland wieder vereint war. Kohl hatte als Kanzler einen großen Anteil an der Vereinigung beider deutscher Staaten knapp ein Jahr nach dem Mauerfall. © Reuters | REUTERS / Michael Urban
Der Freund: Mit Kremlchef Michail Gorbatschow verband Helmut Kohl ein enges Verhältnis. Unvergessen ist das Treffen der beiden Politiker im Kaukasus, bei dem Kohl dem russischen Präsidenten die Zustimmung zur deutschen Einheit abrang. Das Bild zeigt die beiden im Juli 1990 bei diesem Treffen.
Der Freund: Mit Kremlchef Michail Gorbatschow verband Helmut Kohl ein enges Verhältnis. Unvergessen ist das Treffen der beiden Politiker im Kaukasus, bei dem Kohl dem russischen Präsidenten die Zustimmung zur deutschen Einheit abrang. Das Bild zeigt die beiden im Juli 1990 bei diesem Treffen. © Reuters | REUTERS / POOL Old
Der Wahlkämpfer: Eines der Lieblingsbilder Kohl. Es zeigt den Kanzler während im Wahlkampfjahr 1990. Aus der ersten Bundestagswahl nach der Einheit ging Kohls CDU im Dezember 1990 als klarer Sieger hervor.
Der Wahlkämpfer: Eines der Lieblingsbilder Kohl. Es zeigt den Kanzler während im Wahlkampfjahr 1990. Aus der ersten Bundestagswahl nach der Einheit ging Kohls CDU im Dezember 1990 als klarer Sieger hervor. © REUTERS | REUTERS / Michael Urban
Der Gastgeber: Im August 2009 empfing der gesundheitlich schon angeschlagene Kohl in seinem Haus in Oggersheim die Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel. Das Verhältnis zwischen den beiden galt als schwierig. Kohl hatte Merkel zunächst das Kanzleramt nicht zugetraut. Später war es Merkel, die nach Kohls Abtritt von der politischen Bühne auf Distanz zum Ex-CDU-Chef ging.
Der Gastgeber: Im August 2009 empfing der gesundheitlich schon angeschlagene Kohl in seinem Haus in Oggersheim die Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel. Das Verhältnis zwischen den beiden galt als schwierig. Kohl hatte Merkel zunächst das Kanzleramt nicht zugetraut. Später war es Merkel, die nach Kohls Abtritt von der politischen Bühne auf Distanz zum Ex-CDU-Chef ging. © Reuters | REUTERS / HO
Der Truppenbesucher: Bei einem Besuch deutscher und britischer Soldaten in Norddeutschland im September 1986 kletterte Kohl auf einen Leopard-Panzer. Es war wieder Wahlkampf.  Die Bundestagswahl Anfang 1987 gewann Kohls CDU.
Der Truppenbesucher: Bei einem Besuch deutscher und britischer Soldaten in Norddeutschland im September 1986 kletterte Kohl auf einen Leopard-Panzer. Es war wieder Wahlkampf. Die Bundestagswahl Anfang 1987 gewann Kohls CDU. © Reuters | REUTERS / Michael Urban
Der USA-Freund: Die Freundschaft mit den USA lag Helmut Kohl stets am Herzen. Das Foto zeigt ihn bei einem Treffen mit dem amerikanischen Präsidenten George Bush in Deutschland.
Der USA-Freund: Die Freundschaft mit den USA lag Helmut Kohl stets am Herzen. Das Foto zeigt ihn bei einem Treffen mit dem amerikanischen Präsidenten George Bush in Deutschland. © Reuters | REUTERS / Str Old
Der umstrittene Gastgeber: Im Mai 1985 führte Kanzler Kohl (l.) den US-Präsidenten Ronald Reagan (2.v.r.) bei dessen Deutschlandbesuch auf einen Soldatenfriedhof  in Bitburg in der Eifel. Der Programmpunkt sorgte weltweit für Schlagzeilen - auf dem Friedhof liegen neben 2000 gefallenen Soldaten des Zweiten Weltkriegs auch 49 Mitglieder der Waffen-SS begraben.
Der umstrittene Gastgeber: Im Mai 1985 führte Kanzler Kohl (l.) den US-Präsidenten Ronald Reagan (2.v.r.) bei dessen Deutschlandbesuch auf einen Soldatenfriedhof in Bitburg in der Eifel. Der Programmpunkt sorgte weltweit für Schlagzeilen - auf dem Friedhof liegen neben 2000 gefallenen Soldaten des Zweiten Weltkriegs auch 49 Mitglieder der Waffen-SS begraben. © Reuters | REUTERS / Larry Rubenstein
Der Partner: Lothar de Maizière, erster und letzter frei gewählter Regierungschef der DDR, wurde in den Verhandlungen über die Einheit zu einem wichtigen politischen Verbündeten Kohls.
Der Partner: Lothar de Maizière, erster und letzter frei gewählter Regierungschef der DDR, wurde in den Verhandlungen über die Einheit zu einem wichtigen politischen Verbündeten Kohls. © REUTERS | REUTERS / Michael Urban
Der Gefallene. Durch die Spendenaffäre fielt Helmut Kohl im Jahr 2000 auch bei der CDU in Ungnade. Kohl weigerte sich, die Namen von Parteispendern zu nennen. Im Bundestag musste er sich einer Untersuchungskommission stellen. Bei einer spektakulären Pressekonferenz im Juni 2000 verteidigte sich Kohl vor einem Großaufgebot von Journalisten.
Der Gefallene. Durch die Spendenaffäre fielt Helmut Kohl im Jahr 2000 auch bei der CDU in Ungnade. Kohl weigerte sich, die Namen von Parteispendern zu nennen. Im Bundestag musste er sich einer Untersuchungskommission stellen. Bei einer spektakulären Pressekonferenz im Juni 2000 verteidigte sich Kohl vor einem Großaufgebot von Journalisten. © REUTERS | REUTERS / Fabrizio Bensch
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Die Feindbilder wurden andere

Irgendwann haben wir uns dann abgefunden mit dem Kanzler Kohl. Er war halt da und ging irgendwie nicht mehr weg. All die Vogels, Raus, Lafontaines und Scharpings, die es mit ihm aufnehmen wollten, prallten ab an dem Pfälzer Hünen wie Papierkügelchen an einem Riesen.

Und wir? Wir suchten uns andere Feindbilder. Als Kohl dann 1998 von einem politischen Hallodri namens Gerhard Schröder aus dem Kanzleramt vertrieben wurde, interessierte es uns schon fast nicht mehr. Helmut Kohl – war da was?

Bilder, die Mitgefühl erzeugten

Wie haben wir diesem Mann Unrecht getan! Heute ist unser Blick auf Helmut Kohl schon seit langem milder. Das mag daran liegen, dass die Zeit vieles verklärt und dass so mancher „Skandal“ von damals in der Rückschau dann doch ziemlich harmlos erscheint.

Das mag auch an den Bildern des Helmut Kohl liegen, die ihn bei seinen seltenen öffentlichen Auftritten in den letzten Jahren zeigten; Bilder eines schwerkranken Mannes, im Rollstuhl sitzend, kaum fähig zu reden. Seine erste Ehefrau suchte den Freitod, die Söhne sagten sich von ihm los. Es waren Bilder, die Mitgefühl erzeugten. Aber ist es das allein?

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    Festhalten an Nachrüstung war richtig

    Nein. Helmut Kohls Tod ist auch Anlass, politisch Abbitte zu leisten. Dass Kohl – wie sein SPD-Vorgänger Helmut Schmidt – an der so genannten Nachrüstung festhielt? Es war wohl die richtige Strategie.

    Dass er unbeirrt

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    , das uns offene Grenzen bescherte und viel länderübergreifende Freizügigkeit brachte? Eine immense Leistung. Dass Kohl die deutsche Einheit nach dem Mauerfall beherzt anpackte, als andere mutlos lavierten? Ein Glücksfall für Deutschland.

    Kohl hat auch uns geprägt

    Helmut Kohl war als Politiker einer, der unbeirrt seinen Weg gegangen ist, manchmal auch wenig rücksichtsvoll gegenüber den eigenen Weggefährten. Die Menschen haben ihn immer wieder gewählt, weil sie sich bei ihm gut aufgehoben fühlten. So hat Kohl diesem Land über eineinhalb Jahrzehnte seinen Stempel aufgedrückt und das verlangt Respekt.

    An Helmut Kohl haben wir uns gerieben, über ihn haben wir geschimpft, uns über ihn in Rage geredet, unsere Meinung und unseren Blick geschärft. Unter seiner Kanzlerschaft haben wir unser politisches Denken entwickelt. Somit hat er auch uns geprägt. Ob uns das gefällt oder nicht.

    Helmut Kohl: Seine politischen Meilensteine

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