Berlin. Die SPD hat nach dem Rücktritt von Erwin Sellering eine Personalrochade vollzogen. Wir zeigen, wer die Gewinner und Verlierer sind.
„Politik“, sagt SPD-Chef Martin Schulz und macht ein trauriges Gesicht, „ist ein hartes Geschäft.“
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Am Abend vorher hat Schulz lange mit dem 67-jährigen Sellering über dessen tückischen Lymphdrüsen-Krebs gesprochen. In der SPD-Zentrale hatten sie nichts geahnt, die engere Parteiführung erfährt erst am Dienstagmorgen von dem Schicksalsschlag des weithin geschätzten Genossen.
Aber das „harte Geschäft“ der Politik, das Schulz jetzt beschreibt, lässt keine Pause zu:
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ein, die die Gewichte in der Partei verändert: Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig verlässt Berlin und wird voraussichtlich im Juli Sellerings Nachfolgerin im Ministerpräsidentenamt in Schwerin. Ins Familienministerium rückt kommende Woche SPD-Generalsekretärin Katarina Barley nach – sie macht wiederum den Weg für SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil frei, der schon mal vier Jahre Parteimanager war und der Schulz jetzt im Wahlkampf den Rücken frei halten soll.
Nur Schwesigs Aufstieg war absehbar
Innerhalb nur weniger Stunden hat sich die SPD neu sortiert: Schulz verliert zwar mit Schwesig sein familienpolitisches Zugpferd im Wahlkampf, kann aber für die nächsten Monate im Willy-Brandt-Haus auf einen loyalen und kampferprobten Generalsekretär bauen. Schwesig erhöht mit dem Wechsel ihre Chancen, mittelfristig SPD-Chefin und Kanzlerkandidatin zu werden – nur Barleys politische Zukunft ist mit einem Mal ungewiss geworden.
Absehbar war nur der Karriereschritt Schwesigs, wenn auch nicht so früh: Dass die Familienministerin Sellering eines Tages im Ministerpräsidentenamt nachfolgen würde, hatte sich lange abgezeichnet. Sellering hat Schwesig für die Politik entdeckt, er hatte der früheren Steuerfahnderin von 2008 bis 2013 das Sozialministerium in Schwerin anvertraut und mehrfach signalisiert, dass sie die Favoritin für die Nachfolge sei.
Schwesig kennt Mecklenburg-Vorpommern im Detail
Als im vergangenen Jahr Gerüchte über eine Erkrankung Sellerings kursierten, waren Eingeweihte im Familienministerium entsprechend alarmiert. Nachdem der Regierungschef im vergangenen September wieder gewählt worden war, galt der Stabswechsel aber frühestens in der Mitte der Wahlperiode um das Jahr 2019 als wahrscheinlich; für den Fall, dass die SPD nach der Bundestagswahl nicht mehr an der Bundesregierung beteiligt sein sollte, wäre Schwesig womöglich schon früher in die Landespolitik gewechselt.
Die SPD-Vizechefin ist also bestens vorbereitet. Und das Land, das sie künftig regieren soll, ist ihr vertraut, auch wenn sie im brandenburgischen Frankfurt (Oder) geboren und aufgewachsen ist. Als Sozialministerin hat sie Mecklenburg-Vorpommern regelrecht durchpflügt, sie kennt viele Bürgermeister, Wirtschaftsleute, Verbandsvorsitzende oder Klinikchefs persönlich – und alle wichtigen Genossen ebenfalls.
Im direkten Gespräch überzeugt Schwesig
Auch im Landtagswahlkampf im vergangenen Sommer hat sie jeden Wahlkreis Mecklenburg-Vorpommerns besucht und dabei ihre eigene Popularität getestet. Mit gutem Ergebnis: Ob bei Erziehern im Kindergarten, Fischerfrauen oder Fabrikarbeitern – im Gespräch mit den wortkargen Einwohnern Vorpommerns zeigt sie durchaus Landesmutter-Qualitäten.
So kühl und hölzern die 43-Jährige bei großen Auftritten mitunter wirkt, so zugewandt und kundig ist sie im direkten Gespräch. Mecklenburg-Vorpommern sei ihre „politische Heimat“, sagt Schwesig, hier holte sie sich bisher die Bodenhaftung für ihren Job. Und hier in Schwerin leben ihr Ehemann und die beiden kleinen Kinder.
Der SPD fehlt ein wichtiges Gesicht der Kampagne
Doch auch wenn die Pendelei zwischen Berlin und Schwerin ab nächster Woche wegfällt, die Amtsübergabe so kurz vor der Bundestagswahl kommt Schwesig wie Schulz ungelegen: Die SPD-Vize ist bisher ja das Gesicht der sozialdemokratischen Familienpolitik bundesweit, sie hat das Thema erfolgreich für die SPD zurückerobert. Nun fällt sie für die Kampagne von Schulz zumindest teilweise aus.
Das ist das aktuelle Bundeskabinett
Dabei ist das von ihr entwickelte Modell für ein Familiengeld, das jungen Eltern mit einem Lohnzuschuss befristet Arbeitszeitreduzierung ermöglichen soll, einer der Hits im SPD-Wahlprogramm. Als Schwesig die Idee 2014 präsentierte, erntete sie Hohn und Spott. So war es anfangs öfter. Da wurde sie von der Konkurrenz noch als „Küstenbarbie“ verulkt, da attestierte Unionsfraktionschef Volker Kauder der jungen Ministerin zu Unrecht „Weinerlichkeit“.
In wenigen Monaten wird Barley kaum Akzente setzen können
Längst hat auch die Union erfahren, wie ehrgeizig, zäh und durchsetzungsfähig die Ministerin ist. Ihre Bilanz – vom Elterngeld Plus über die Frauenquote bis zum Gesetz für mehr Lohngleichheit von Männern und Frauen – kann sich sehen lassen, auch wenn manche Gesetzespläne in der Koalition verwässert wurden. In der CDU/CSU-Fraktion sprechen sie mit Respekt von Schwesig, beklagen aber ihren Mangel an Kompromissfähigkeit.
Ob die Union mit Barley als Familienministerin besser fährt? Sie werden es kaum noch testen können. Die Generalsekretärin erhält nun zwar unverhofft ein Ministeramt. Ein „bewegender Tag“, sagte Barley, „ich fühle mich geehrt“. In Wahrheit ist sie in dieser Rochade eher die Verliererin. Gestalten oder eigene Akzente setzen kann die 48-Jährige im Familienministerium in den wenigen Monaten nicht mehr. Und was nach der Bundestagswahl passiert, ist völlig offen.
Zuletzt gab es auch Kritik an Barley
Das Verhältnis zwischen Schulz und der noch von Vorgänger Sigmar Gabriel berufenen Generalsekretärin war zuletzt etwas getrübt. Lange wurde Barley in der Partei für ihre öffentlichen Auftritte geschätzt, die sie mit einer ungewöhnlich erfrischenden Art absolvierte. Doch nach der Serie von drei Landtagswahl-Niederlagen war plötzlich intern Kritik auch an Barley laut geworden.
Die Top-Juristin aus Rheinland-Pfalz ist erst seit 2013 in der Bundespolitik, sie hat keinerlei Wahlkampferfahrung. Die Generalsekretärin aber ist kraft Amtes die politische Wahlkampfleiterin, auch wenn Parteichef Schulz gleich nach seinem Einzug ins Willy-Brandt-Haus seinen engen Vertrauten Markus Engels zum technischen Wahlkampfleiter ernannt hat. Barley gingen die internen Vorwürfe, die Kritik an Organisationsmängeln in der Zentrale und zuletzt an der verunglückten Präsentation des Wahlprogramms, sichtlich an die Nieren. Plötzlich zeigte sich, dass sie in dem für Intrigen berüchtigten Willy-Brandt-Haus auch kampferprobte Gegner hatte.
Schulz setzt mit Heil auf einen wahlkampferfahrenen General
Der Vorteil ihres Nachfolgers Hubertus Heil ist, dass er die Parteizentrale länger kennt. Heil war schon einmal von Ende 2005 bis Ende 2009 Generalsekretär. Er diente drei Vorsitzenden – Matthias Platzeck, Kurt Beck und Franz Müntefering – und war später, als SPD-Fraktionsvize, einer der treuesten Unterstützer von SPD-Chef Sigmar Gabriel. Heil beherrscht die Attacke besser als Barley, genießt als pragmatischer Wirtschaftspolitiker aber auch den Respekt der Union; bei der SPD-Linken gibt es andererseits deutliche Vorbehalte gegen ihn. Der von Heil verantwortete Wahlkampf 2009 endete mit dem bislang schlechtesten SPD-Ergebnis der Nachkriegsgeschichte.
Schulz nannte seinen künftigen Generalsekretär eine „ganz ausgezeichnete Verstärkung in diesem Wahlkampf. Heil weiß, wie gewaltig die Aufgabe angesichts des Stimmungseinbruchs für die SPD jetzt ist. Die Union feixt bereits:
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Unter welchem Druck der Kanzlerkandidat steht, zeigt die Tatsache, dass Heil nur bis zum Parteitag im November Generalsekretär bleiben soll.
Auch Merkel hat mal als Familienministerin angefangen
Längerfristig denken kann jetzt Manuela Schwesig. Nicht ausgeschlossen, dass sie ihren Berliner Job gerade noch im richtigen Moment aufgibt. Sie geht als angesehene Ministerin – und könnte, gestärkt durch das Amt als Ministerpräsidentin, eher früher als später als die neue Hoffnungsträgerin der SPD zurückkommen. Schwesig gilt schon länger als eine der Anwärterinnen für den Parteivorsitz, wenn die Generation der älteren Männer früher oder später abdankt. Mancher hält sie auch, sollte Schulz erfolglos bleiben, für die kommende Kanzlerkandidatin der SPD. Als pragmatische Ost-Politikerin, deren Landesverband die erste rot-rote Koalition einging, hätte sie auch kein Problem, mit der Linkspartei zu regieren.
Als Schwesig im vergangenen Sommer bei einer Tour durch Vorpommern auch eine Kita besichtigte, sagte ein kleiner Junge, er kenne die Frau, sie sei „die Helferin von Frau Merkel“. Schwesig lachte, aber ließ erkennen, dass sie sich mit dieser Rolle nie begnügen wollte. Die SPD-Vize weiß: Auch Kanzlerin hat einmal als Familienministerin angefangen.