Berlin. Verschleierungs-Verdacht gegen LKA-Leute im Fall Amri – es droht der nächste Skandal. Es lief schon vieles falsch bei der Fahndung.

Die Liste der Ermittlungsfehler im Fall des Berlin-Attentäters Anis Amri wird immer länger. Neueste Wendung: Mitarbeiter des Berliner Landeskriminalamtes sollen ein wichtiges Dokument zurückgehalten oder gar manipuliert haben, um eine Fehleinschätzung bei der Fahndung nach Amri vor dem Anschlag zu verschleiern. Ein dramatischer Verdacht, der – sollte er sich erhärten – ein Armutszeugnis für die Ermittlungsbehörden darstellen würde.

Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD).
Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD). © dpa | Paul Zinken

Die Art und Weise, wie Berlins Innensenator Andreas Geisel am Mittwoch diese neuen Erkenntnisse am Mittwoch öffentlich machte, deutet darauf hin, dass er sich mit seinem Verdacht gegen die LKA-Mitarbeiter ziemlich sicher ist. Es seien bereits Disziplinarmaßnahmen gegen LKA-Bedienstete eingeleitet worden, ließ er wissen. Ermittler, die Dokumente manipulieren, um ihr eigenes Versagen zu kaschieren – dies wäre sogar in dem an Pleiten, Pech und Pannen nicht eben armen Fall Anis Amri eine neue Qualität. Ein Rückblick:

Warnung aus dem LKA in NRW

Das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen hatte bereits im März 2016, also rund neun Monaten vor dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt mit zwölf Toten, in drastischen Worten vor der Gefährlichkeit des späteren Terroristen Amri gewarnt. In einer Vorlage an die Sicherheitskonferenz im NRW-Innenministerium prognostizierte das LKA, von Amri gehe eine „Gefahr im Sinne eines terroristischen Anschlags aus“. Diese Prognose stützte sich auf Tatsachen, die sich vor allem aus der Telefonüberwachung des Tunesiers ergeben hätten.

Im NRW-Innenministerium nahm man diese Warnung offenbar nicht ernst. Der Abteilungsleiter für Ausländerangelegenheiten, Burkhard Schnieder, sagte jedenfalls vor dem Amri-Untersuchungsausschuss des Landtags, es habe sich dabei nur um eine informelle „Tischvorlage“ an die Sicherheitskonferenz gehandelt, nicht um eine offizielle Eingabe an das Ministerium. Vor Gericht hätten Tatsachen und Belege präsentiert werden müssen, keine unbestätigten Hinweise, betonte Schnieder: „Da reicht Herumschwafeln nicht aus.“ Eine konkrete Warnung des LKA – nichts als „Herumschwafeln“?

Aus den Augen verloren

Weiter: Die Staatsanwaltschaft Duisburg eröffnete ein Verfahren gegen Amri – er soll im November 2015 doppelt Sozialleistungen kassiert haben. Im November 2016, wenige Wochen vor dem Anschlag, wurde das Verfahren dann aber eingestellt – der Aufenthaltsort Amris war den Behörden nicht bekannt. Man hatte den „Gefährder“ offenbar aus den Augen verloren.

Anis Amri.
Anis Amri. © imago/Xinhua | imago stock&people

Damit nicht genug. Den deutschen Behörden fiel nicht auf, dass Amri unter 14 verschiedenen Identitäten in Deutschland lebte. Kritiker fragen sich, warum sich Amri unter verschiedenen Namen quer durch Deutschland bewegen konnte – obwohl die Sicherheitsbehörden ihn schon längst als islamistischen Gefährder eingestuft hatten. Zudem gab es keine strengen Meldeauflagen für den abgelehnten Asylbewerber, der sich als „Geduldeter“ ab Sommer 2016 nur im Bereich der für ihn zuständigen Ausländerbehörde in Kleve am Niederrhein hätte aufhalten dürfen.

Keine Abschiebehaft beantragt

Die Zusammenarbeit zwischen Berlin und Düsseldorf im Streit über die politische Verantwortung im Fall des Terroristen Anis Amri ließ zu wünschen übrig. Bundesinnenminister Thomas de Maizière warf den nordrhein-westfälischen Behörden Nachlässigkeit vor. Aus seiner Sicht wäre es keineswegs unmöglich gewesen, Amri in Abschiebehaft zu nehmen, sagte der CDU-Politiker. „Im Oktober 2016 hat Tunesien einem Verbindungsbeamten des BKA mitgeteilt, dass Amri ihr Staatsbürger ist“, so der Minister. „Spätestens da hätte auf Basis des geltenden Rechts ein Antrag auf Abschiebehaft gute Erfolgsaussichten gehabt.“ Dies wäre Aufgabe des „für den Vollzug des Ausländerrechts zuständigen Lands“ gewesen – also NRW.

De Maizière weist Vorwürfe gegen Bund im Fall Amri zurück

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    NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) hatte dagegen mehrfach betont, die rechtlichen Möglichkeiten hätten nicht ausgereicht, um den ausreisepflichtigen Tunesier aus dem Verkehr zu ziehen. Man sei bei Amri bis an die Grenzen des Rechtsstaates gegangen, so Jäger.

    Und nun also der Verdacht gegen das LKA in Berlin. Bewahrheiten sich die Vorwürfe, käme zu den Fehleinschätzungen, dem Behörden-Wirrwarr und dem Hin-und-her-Schieben von Verantwortung auch noch Verschleierung im Amt. Eine schonungslose Aufarbeitung des Falles Amri wird immer wichtiger. (mit Material von dpa)