Paris. Anschläge und Jobmangel: Frankreich ist schon lange ein Land im Krisenmodus. Das führt zu einer brisanten Stimmungslage vor der Wahl.

  • Nicht erst seit dem Anschlag vom Donnerstag spielt die erhöhte Terrorgefahr eine große Rolle im Wahlkampf
  • Frankreich könnte einen Wirtschaftsaufschwung erleben, doch Politiker malen meist ein negatives Bild
  • Der rechtspopulistische Front National zeigt sich Bürgerlich

Wenn die Franzosen am kommenden Sonntag an die Wahlurnen gehen, steht viel auf dem Spiel. Die hohen Umfragewerte für die EU-feindliche Rechtspopulistin Marine Le Pen machen die Präsidentschaftswahl zu einer Abstimmung über Frankreichs Platz in Europa.

Die jüngste Umfrage sieht den Sozialliberalen Emmanuel Macron vorn. In der am Freitag veröffentlichten Erhebung des Instituts Elabe kam der 39-Jährige auf 24 Prozent. Le Pen lag bei 21,5 Prozent. Dahinter lagen dicht beieinander der Konservative François Fillon (20 Prozent) und der Linkskandidat Jen-Luc Mélenchon (19,5 Prozent). Doch die Umfrage wurde vor dem jüngsten Anschlag durchgeführt. Terror ist ein Thema im Wahlkampfendspurt. Ein Überblick über die Lage:

• TERROR Die beispiellose Serie islamistischer Anschläge seit Anfang 2015 hat Frankreich tief erschüttert, 238 Menschen wurden ermordet. Im Land gilt der Ausnahmezustand; an Bahnhöfen, Flughäfen, Touristenattraktionen und anderen gefährdeten Orten patrouillieren Soldaten. Befugnisse und Mittel der Sicherheitskräfte wurden gestärkt.

Sicherheit ist ein großes Thema in Frankreich.
Sicherheit ist ein großes Thema in Frankreich. © dpa | Joel Goodman

Die Sicherheitspolitik bleibt eine große Herausforderung, rund 2300 Menschen aus Frankreich sollen in dschihadistischen Netzwerken aktiv oder aktiv gewesen sein oder es versucht haben - so viele wie in keinem anderen EU-Land.

• ARBEITSLOSIGKEIT Die dramatische Situation am Arbeitsmarkt ist seit Jahren eins der größten Probleme Frankreichs. Die Arbeitslosenquote liegt nach Vergleichszahlen der europäischen Statistikbehörde Eurostat bei 10 Prozent und damit rund zweieinhalb Mal so hoch wie in Deutschland. Vor allem junge Leute haben es schwer, einen Job zu finden – hier liegt die Quote der Arbeitssuchenden bei fast 24 Prozent.

Dass der scheidende Präsident François Hollande es trotz wiederholter Versprechen nicht schaffte, den Trend umzudrehen, wird ihm schwer angekreidet. Nach immer neuen Höchstständen ging die Zahl der Arbeitslosen 2016 erstmals seit neun Jahren leicht zurück. Aber das ist bislang nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

• WACHSTUM Frankreichs Wirtschaft kommt nicht richtig in die Gänge, die Konjunktur hinkte in den vergangenen drei Jahren in der Eurozone hinterher. 2016 lag das Wachstum bei 1,1 Prozent, die Euro-Zone kam dagegen nach OECD-Schätzungen auf 1,7 Prozent.

Allerdings zeichnet sich ein Silberstreif am Horizont ab: Für dieses und das kommenden Jahr sagen etwa Experten der EU-Kommission voraus, dass der französische Motor etwas an Fahrt aufnimmt und sich dem robusten Tempo der deutschen Wirtschaft annähert. Eine Reihe von Konjunkturindikatoren sind positiv. Und in manchen Wirtschaftsbereichen ist Frankreich richtig stark, etwa in der Luxusindustrie, der Luftfahrtbranche oder dem Tourismus.

• SCHULDENBERG Um die Jahrtausendwende lagen Frankreich und Deutschland beim Schuldenstand noch gleichauf – doch seitdem ist Frankreichs Staatsverschuldung durch die Decke gegangen. Inzwischen türmt sich der Schuldenberg auf mehr als 96 Prozent der Wirtschaftskraft, Tendenz weiter steigend. In Deutschland sind es gut 68 Prozent, Tendenz sinkend.

Mit großen Mühen hat Frankreich in den vergangenen Jahren sein jährliches Haushaltsdefizit zurückgefahren und will 2017 erstmals seit 2007 unter der europäischen Grenze von maximal drei Prozent der Wirtschaftskraft bleiben. Der Pariser Rechnungshof hat kürzlich aber Zweifel geäußert, ob das zu schaffen ist. Die Staatsausgaben liegen bei 56 Prozent der Wirtschaftskraft, so hoch wie kaum irgendwo in der EU.

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    • REFORMSTAU Versuche, das Land zu reformieren, stoßen in Frankreich oft auf heftigen Widerstand. Das zeigten etwa die monatelangen Proteste gegen eine gar nicht mal sonderlich weitreichende Arbeitsmarktreform im vergangenen Frühjahr. Unternehmer klagen immer wieder über viel Bürokratie und hohe Abgaben. Allerdings hat sich durchaus etwas getan, unter Präsident Hollande wurden Firmen entlastet und das Arbeitsrecht gelockert.

    Auch bei der Wettbewerbsfähigkeit bewegt sich etwas, die OECD sieht Fortschritte bei Arbeitskosten und Investitionsklima. Falsch ist das Klischee, dass Beschäftigte in Frankreich weniger arbeiten als in Deutschland – obwohl die Regelarbeitszeit bei 35 Wochenstunden liegt, arbeitet jeder französische Beschäftigte pro Jahr durchschnittlich mehr als 100 Stunden mehr als seine deutschen Kollegen. Und auch die Produktivität (die Wirtschaftsleistung pro Arbeitsstunde) ist ähnlich hoch wie in Deutschland.

    Die Sicherheitspolitik bleibt eine große Herausforderung, rund 2300 Menschen aus Frankreich sollen in dschihadistischen Netzwerken aktiv oder aktiv gewesen sein oder es versucht haben - so viele wie in keinem anderen EU-Land.

    • EINWANDERUNG UND IDENTITÄT Einwanderung und Integration, der Platz der Religion (und vor allem des Islam) in der Gesellschaft und die Werte der Republik sind in Frankreich seit Jahren ein Reizthema. Das zeigte etwa die bizarre, aufgeheizte Debatte um lokale Verbote von „Burkinis“ (Ganzkörper-Schwimmanzüge für Musliminnen) im vergangenen Sommer an der Côte d’Azur: Die eine Seite sah in ihnen ein Symbol radikaler Gesinnung, die andere in den Verboten eine Stigmatisierung.

    Dahinter stecken echte Probleme: Die soziale Abkopplung mancher Vorstädte, die überwiegend von Einwanderern aus Nordafrika bewohnt werden, Probleme mit Radikalisierung und eine tiefe Verunsicherung des französischen Selbstverständnisses angesichts der Globalisierung.

    Eine Konsequenz war, dass weite Teile der französischen Politik die deutsche Flüchtlingspolitik sehr kritisch sahen. Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit wird immer wieder betont, dass Frankreich nicht mehr Flüchtlinge aufnehmen könne. Dabei liegt die Zahl der Asylanträge mit 85 000 im vergangenen Jahr deutlich niedriger als in Deutschland.

    • RECHTSRUCK Seit Marine Le Pen 2011 die Führung der Rechtsaußen-Partei Front National von ihrem Vater Jean-Marie übernommen hat, eilt sie von einem Wahlerfolg zum nächsten. Bei den Regionalwahlen Ende 2015 stimmten 27 Prozent der Wähler für FN-Kandidaten: 6,8 Millionen Franzosen, Rekord.

    Dabei setzt Marine Le Pen auf eine Strategie der „Entteufelung“, um der Partei ein bürgerlicheres Image zu verschaffen – ohne jedoch ihre Kernpositionen gegen EU und Einwanderung aufzugeben. Das französische Mehrheitswahlrecht hat die Partei bislang aber gehindert, auf nationaler Ebene Machtpositionen zu erobern. (dpa)

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