Berlin. In Deutschland laufen Verfahren gegen 20 mutmaßliche Geheimdienstmitarbeiter. Im Fokus stehen dabei Imame des Islamverbandes Ditib.

Jetzt wehrt sich der deutsche Staat gegen die Spionage aus der Türkei. Derzeit laufen Ermittlungsverfahren gegen 20 mutmaßliche Geheimdienstmitarbeiter. Gleichzeitig geht die Bundesanwaltschaft gegen unbekannte Angehörige des türkischen Geheimdienstes MIT vor. Sie stehen im Verdacht, angebliche Anhänger der Gülen-Bewegung in Deutschland ausspioniert zu haben. Das geht aus der Antwort einer Anfrage der Linksfraktion an die Bundesregierung hervor, die dieser Redaktion vorliegt und über die zuerst die „Welt“ berichtet hat.

Der türkische Geistliche und in der Türkei als Staatsfeind eingestufte Prediger Fethullah Gülen.
Der türkische Geistliche und in der Türkei als Staatsfeind eingestufte Prediger Fethullah Gülen. © dpa | Matt Smith

Den Anstoß zu den Ermittlungen hatte die Türkei gegeben, als sie dem Bundesnachrichtendienst (BND) und Innen-Staatssekretärin Emily Haber Listen mit Unterstützern der Gülen-Bewegung übergab. Die Hoffnung war, dass die deutschen Behörden die Verdächtigen überprüfen würden. Der Schuss ging nach hinten los. Die Überprüfung erhärtete den Verdacht, dass viele von ihnen vom türkischen Dienst auf deutschem Boden ausspioniert worden waren.

Es soll um Ausspähung von Gülen-Anhängern gehen

„Derzeit wird gegen insgesamt 20 Beschuldigte sowie gegen unbekannt wegen des Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit im Auftrag der türkischen Regierung ermittelt, soweit es um die Ausspähung von Anhängern der Gülen-Bewegung geht“, heißt es. Fethullah Gülen, der Anführer der Bewegung, lebt im Exil in den USA. Die Regierung in Ankara macht die Anhänger der Bewegung in der Türkei für den gescheiterten Putsch im Juli 2016 verantwortlich. Experten schätzen, dass der Geheimdienst MIT in der Bundesrepublik ein Netz von bis zu 6000 Agenten und Informanten aufgebaut hat. Im Fokus dabei immer wieder: Imame des größten Islamverbandes Ditib, der in Deutschland mehr als 800 Moscheegemeinden verantworten. Der Verband steht unter der Kontrolle des Staates mit Präsident Recep Tayyip Erdogan.

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    Linkspolitikerin Sevim Dagdelen äußerte den Verdacht, dass viele mutmaßliche Spione aus den Reihen der Ditib Deutschland längst verlassen hätten. „Das rechtsstaatlich völlig inakzeptabel laxe Vorgehen gegen Ditib wegen Spionage hat dazu geführt, dass sich Erdogans Spitzel-Imame in die Türkei absetzen und sich der Strafverfolgung entziehen konnten“, sagte sie der „Welt“. Wie die Bundesregierung in ihrer Antwort mitteilt, wurden im vergangenen Jahr für Islamprediger der Ditib 345 Visa ausgestellt. 2015 seien es 240 Visa gewesen, im Jahr zuvor 200. Im Vergleich zu 2011 habe sich die Zahl mehr als verdoppelt.

    Diplomatenstatus ist Legende und Schutz zugleich

    Für die Spionageabwehr ist der Verfassungsschutz zuständig, also für die Enttarnung. Aber nicht jeder Spionagevorwurf lässt sich gerichtsverwertbar beweisen. Das Heft des Handelns liegt bei der Justiz, zurzeit beim Generalbundesanwalt, im Falle einer Anklage dann beim Gericht. Wenn bewiesen wird, dass der türkische Geheimdienst hierzulande spioniert, wäre – parallel zum strafrechtlichen Verfahren – die klassische Reaktion die Ausweisung vom Diplomaten. Topagenten sind oft an ihren Botschaften akkreditiert. Der Diplomatenstatus ist Legende und Schutz zugleich. Mit der Ausweisung sind sie enttarnt, „verbrannt“, wie es in Fachkreisen heißt.

    Auch der BND agiert in der Türkei – und spioniert. Die Aufklärung der Türkei gehört zum geheimen Auftragsprofil, schon wegen der geografischen Nähe zu Syrien und weil das Land ein Operationsgebiet von Islamisten und Menschenschleppern ist. Aus diesem Grund ist die Türkei zugleich aber auch ein Verbündeter. Derselbe Verfassungsschutz, der heute türkische Spione enttarnt, tauscht – paradox – morgen mit den dortigen Diensten Informationen aus.