Berlin . Putin sieht sich als Hüter der Stabilität. 2018 will er wiedergewählt werden. Doch Proteste und Anschläge setzen das Land unter Druck.
Seit den beiden Tschetschenienkriegen, die das Land zwischen 1994 und 2009 in Atem hielten, hat Russland mit islamistischen Terror zu kämpfen. Wladimir Putin ist im Jahr 2000 nicht zuletzt als Retter und Stabilitätsgarant nach den unruhigen Jahren unter Boris Jelzin erstmals ins Präsidentenamt gekommen. Unmittelbar nach einer Serie von Bombenanschlägen auf Wohnblocks in Moskau, bei denen es mehr als 300 Tote gab. Sie wurden nie wirklich aufgeklärt, waren aber der Anlass für den zweiten Tschetschenienkrieg.
Bis 2009 konnte die Lage dort zwar leidlich stabilisiert werden – allerdings unter erheblichen Opfern unter der Zivilbevölkerung, großen Verwüstungen in der Hauptstadt Grosny und vielen anderen Orten und mit der Installierung eines autoritären islamischen Regimes unter dem Kreml-Statthalter Ramsan Kadyrow. Und immer wieder gibt es islamistisch motivierte Anschläge, ausgeführt vor allem von militanten Tschetschenen, die die Errichtung eines von Moskau unabhängigen Kalifats längst nicht aufgegeben haben.
850 Menschen als Geiseln in Dubrowka-Theater
So kamen im Jahr 2010 etwa 40 Menschen ums Leben, als sich zwei Attentäterinnen in der Moskauer Metro in die Luft sprengten. Bereits im Jahr 2004 wurden bei einer Geiselnahme in einer Schule im südrussischen Beslan mehr als 330 Menschen getötet, die Hälfte davon Kinder.
Bei der Geiselnahme im Moskauer Dubrowka-Theater, in dem das beliebte Musical Nord-Ost aufgeführt wurde, brachten im Oktober 2002 tschetschenische Terroristen 850 Menschen in ihre Gewalt und verlangten den Rückzug der russischen Truppen aus Tschetschenien. Bei der Befreiung nach zweieinhalb Tagen pumpten Spezialeinheiten des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB eine unbekannte Chemikalie in das Ventilationssystem des Theaters. Die betäubten Terroristen wurden durch Kopfschüsse getötet, mindestens 129 Geiseln starben.
Behörden wegen Rückkehrern alarmiert
Seit dem Beginn des russischen Militäreinsatzes in Syrien im September 2015 gilt in Russland wieder erhöhte Alarmbereitschaft. Die Luftwaffe kämpft dort an der Seite von Präsident Baschar al-Assad und nimmt auch mutmaßliche Ziele der Extremistenmiliz IS ins Visier. Die Gruppe hat wiederholt mit Vergeltung gedroht. Russlands Außenminister Sergej Lawrow bezeichnete es einem RIA-Bericht zufolge zwar als zynisch, den Petersburger Anschlag als Racheakt für das russische Eingreifen in Syrien zu bezeichnen. Ausgeschlossen werden kann das aber nicht.
Die Behörden in Russland sind auch auf der Hut, weil russischsprachige Kämpfer aus Syrien in ihre Heimat zurückkehren könnten. Erst am Dienstag nahmen türkische Behörden nach eigenen Angaben einen Tschetschenen an der syrischen Grenze fest, der verdächtigt wird, einen Anschlag geplant zu haben. Er habe in seiner Tasche 1,5 Kilogramm Sprengstoff und zwei Granaten gehabt.
Opposition befürchtet nun Land im Terror-Modus
Bislang hat der IS drei Anschläge gegen Russen für sich reklamiert. Im August 2016 wurden zwei Polizisten im Moskauer Vorort Balaschicha verletzt. Ende März starben sechs russische Nationalgardisten beim Angriff auf eine Kaserne in Tschetschenien. Die Bombenexplosion in einem russischen Touristenflieger auf dem Flug von Ägypten nach St. Petersburg mit 224 Toten im Oktober 2015 soll auf das Konto des IS-Ablegers auf der Halbinsel Sinai gehen.
Die Bombe in der Petersburger U-Bahn dürfte Putin als Signal verstanden haben. Er liebt seine Heimat, er hat das Zentrum der alten Zarenstadt sanieren lassen, hier empfängt er oft ausländische Gäste. Die Bombe detonierte, als der Präsident in der Stadt war. Wenn der Zeitpunkt tatsächlich geplant war, zeugt dies von genauer Vorbereitung des oder der Terroristen. Die Botschaft: Wir können auch in deiner Lieblingsstadt zuschlagen, wann immer es uns passt. Russische Oppositionelle befürchten auch jetzt, dass Putin das Land im Terror-Modus auf die Präsidentenwahl 2018 zusteuern könnte. Immer wieder hat der Präsident es verstanden, Anschläge für seine Zwecke zu nutzen und auch in Wählerstimmen umzumünzen.
Doch Repression würde auf eine veränderte Gesellschaft stoßen. Zwar herrscht in Russland der Staat über alles, doch gerade in den Metropolen gehen die Menschen seit einigen Jahren solidarischer miteinander um. Und eine neue Protestgeneration ist herangewachsen, die weniger der Propaganda des russischen Staatsfernsehens folgt, sondern im Internet surft und unerschrocken auf die Straßen geht. Trotz – oder gerade wegen – der rigiden Staatsmacht.
Tote bei Anschlag in St. Petersburg