Berlin/Gaggenau. Trotz der diplomatischen Spannungen im Fall Yücel: Der türkische Justizminister will in Deutschland auftreten – und erntet Kritik.

Ungeachtet der Spannungen wegen der Inhaftierung des „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel in der Türkei tritt der türkische Justizminister Bekir Bozdag in Deutschland auf.

Der Abgeordnete Mustafa Yeneroglu von der Regierungspartei AKP sagte der Deutschen Presse-Agentur in Istanbul, die Veranstaltung mit Bozdag sei für Donnerstagabend im baden-württembergischen Gaggenau geplant.

Minister soll Wahlkampf für Erdogan machen

Ein Sprecher der Stadt Gaggenau sagte, es handele sich bei dem Auftritt um die Gründungsversammlung der Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) im Landkreis Rastatt.

Nach Angaben der türkischen Regierungspartei AKP handelt es sich jedoch um einen Wahlkampfauftritt. Der Minister will demnach in Gaggenau um Zustimmung für ein Präsidialsystem beim bevorstehenden Referendum in der Türkei werben.

Riexinger kritisiert Bozdags Auftritt

Der Vorsitzende der Partei Die Linke, Bernd Riexinger (Archiv).
Der Vorsitzende der Partei Die Linke, Bernd Riexinger (Archiv). © dpa | Peter Endig

Schwere Kritik am Auftritt Bozdags kam von Linken-Chef Bernd Riexinger. „Der türkische Despot führt die Bundesregierung am Nasenring durch die Manege“, sagte Riexinger mit Blick auf Präsident Recep Tayyip Erdogan. Bozdag wolle für Erdogans „Allmachtsfantasien“ auf Stimmenfang gehen.

Die grün-schwarze Landesregierung Baden-Württembergs solle den Auftritt verhindern. „Die Bundesregierung muss unmissverständlich klar machen, dass in Deutschland nicht Stimmung für die Einrichtung einer Diktatur gemacht werden darf“, so Riexinger weiter.

Bundesregierung will Druck ausüben

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte am Vorabend die Freilassung Yücels gefordert und die Achtung der Pressefreiheit angemahnt. „Unabhängiger Journalismus muss existieren können, Journalisten müssen ihre Arbeit machen können“, sagte Merkel beim Politischen Aschermittwoch der CDU Mecklenburg-Vorpommern in Demmin. Die Bundesregierung werde alles in ihrer Macht stehende tun, um auf eine Freilassung Yücels hinzuwirken.

Merkel fordert Freilassung von Deniz Yücel

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    Trotz massiven Drucks auf die Türkei gab es aber keinerlei Anzeichen für ein Einlenken Ankaras. Nach einem Treffen mit dem Generalsekretär des Europarats in Straßburg hatte Bozdag am Mittwoch auf die Frage nach einer Freilassung von Yücel auf die Unabhängigkeit der türkischen Gerichte verwiesen.

    Brand: Unabhängigkeit türkischer Justiz ein Märchen

    Yücel war am Mittwoch in das Gefängnis in Silivri rund 80 Kilometer westlich von Istanbul verlegt. Dort dürfte er seine weitere Untersuchungshaft verbringen, berichtete die „Welt“. Ihm werden Terrorpropaganda und Volksverhetzung vorgeworfen. Ein Haftrichter in Istanbul hatte am Montag Untersuchungshaft angeordnet. Diese kann bis zu fünf Jahre dauern.

    Der menschenrechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundesta

    U-Haft für Journalist sorgt für Spannungen mit Türkei

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      g, Michael Brand (CDU), sieht die Türkei auf dem Weg in eine Diktatur. „Ein Absegnen seines Präsidialsystems im Referendum wäre der nächste Schritt Richtung Diktatur“, sagte Brand der „Welt“ (Donnerstag). Bereits jetzt zweifelt Brand die Rechtsstaatlichkeit der Türkei an. Die Unabhängigkeit ihrer Justiz sei „ein Märchen“. Viele Richter seien zu Erfüllungsgehilfen einer Verhaftungsmaschine geworden.

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        Maas: Zeit der leisen Töne vorbei

        Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) ist dagegen, dass auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan in Deutschland für die von ihm gewünschte Verfassungsänderung werben darf.

        Unter Hinweis auf die Untersuchungshaft gegen Yücel sagte Maas am Mittwoch bei einer SPD-Veranstaltung im saarländischen Rehlingen-Siersburg: „Ich finde, bei dem was da geschieht, sind wir an einer Stelle, wo die Zeit der leisen Töne vorbei sein muss.“

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        Keine Ende des Ausnahmezustands in Sicht

        Präsident Erdogan hat unterdessen ankündigt, weiter mit Dekreten zu regieren und Verdächtige aus dem Staatsdienst zu entlassen, „bis sich die Lage beruhigt hat“. Das Staatsoberhaupt ließ am Donnerstag gegenüber Journalisten auf dem Rückflug von einem Staatsbesuch in Pakistan offen, wann das der Fall sein könnte.

        Die türkische Regierung begründet den Ausnahmezustand mit dem Kampf gegen die Unterstützer des gescheiterten Militärputsches vom 15. Juli 2016. Dadurch kann die Regierung ohne Zustimmung des Parlaments Gesetze in Kraft setzen. Zudem sind die Bürgerrechte eingeschränkt worden. Kritiker befürchten, Erdogan wolle die Maßnahmen gegen die mutmaßlichen Helfer der Putschisten zum Ausschalten jeglicher Opposition nutzen.

        Am Sonntag nächster Minister auf Wahlkampftour

        Als nächster Minister auf Wahlkampftour in Deutschland kündigte sich der türkische Wirtschaftsminister Nihat Zeybekçi an, der am Sonntag im Bezirksrathaus Köln-Porz zu Anhängern Erdogans sprechen will. Diesen Plan bestätigte das türkische Generalkonsulat in Essen der „Rheinischen Post“ (Donnerstag).

        Der CDU-Europapolitiker Elmar Brok hält trotz der Spannungen nichts von einem Einreise- und Redeverbot für Erdogan, sagte er der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Donnerstag). „Man kann nicht dem Präsidenten eines Nato-Mitgliedstaates die Einreise verweigern“, so Brok. „Dann müsste man auch Einreiseverbote gegen den russischen Präsidenten Putin und gegen etwa 30 Diktatoren verhängen.“ Im Gegenteil sei es viel wichtiger, mit der Türkei und Präsident Erdogan im Gespräch zu bleiben, um Einfluss nehmen zu können. (dpa/rtr)