Berlin. Nach dem Terroranschlag in Berlin werden Einzelheiten nur häppchenweise bekannt. Viele Ermittlungen waren zuvor ins Leere gelaufen.

  • Die Ermittler halten sich mit Informationen zum Anschlag in Berlin bedeckt
  • Noch immer wird nach möglichen Komplizen von Anis Amri gesucht
  • Den mutmaßlichen Attentäter selbst hatten die Behörden als nicht gefährlich genug eingestuft

Auch zehn Tage nach dem Berliner Terroranschlag bleiben viele Fragen offen. Zwar hat die Bundesanwaltschaft am Donnerstag einen kleinen Einblick in den Stand ihrer Erkenntnisse gegeben, doch Behörden und Ermittler halten sich weiter bedeckt. Auch Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) gibt seit dem Anschlag keine Interviews.

Alles, was zu den Ermittlungen vom Senat zu sagen wäre, sei gesagt, hieß es am Donnerstag aus der Innenverwaltung. Geisel will sich erst nach der Senatsklausur am 9. Januar äußern – wohl auch weil sich SPD, Grüne und Linke uneins sind über die Konsequenzen aus dem Anschlag und die Ausweitung der Videoüberwachung.

Angeblicher Unterstützer wieder frei

Eine Sprecherin der Generalbundesanwaltschaft teilte am Donnerstag mit, dass ein angeblicher Unterstützer des Attentäters Anis Amris wieder auf freiem Fuß sei. „Das ist das, was ich Ihnen sagen kann“, so Frauke Köhler. Fragen waren bei der Pressekonferenz nicht zugelassen. Dabei sind viele Fragen offen.

Möglicher Komplize Amris wieder auf freiem Fuß

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    Noch immer wird nach möglichen Komplizen gesucht. Darüber hinaus war der Tunesier im Gemeinsamen Terrorismus-Abwehrzentrum (GTAZ) in Berlin zwischen Februar und November 2016 mehrfach Thema gewesen.

    Anis Amri nicht als gefährlich genug eingestuft

    Den Sicherheitsbehörden war bereits 2015 die Radikalität Amris aufgefallen. Sie stuften ihn als „Gefährder“ ein. Der 24-Jährige verkehrte damals im Umfeld des Salafisten-Predigers Abu Walaa. Dieser gilt als Verbindungsmann der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS). Schon Ende 2015 fragte Amri einen Glaubensbruder, ob er ihm Waffen für einen Anschlag besorgen könnte.

    Was er nicht ahnte: Der Mann ist Vertrauensperson des nordrhein-westfälischen Landeskriminalamtes. Amri hielt sich damals hauptsächlich in NRW auf, pendelte aber regelmäßig nach Berlin und hielt sich dort in den Stadtteilen Kreuzberg und Charlottenburg auf. Trotzdem schätzte das GTAZ andere „Gefährder“ als potenziell gefährlicher ein.

    Ermittlungen liefen ins Leere

    Das könnte auch an den Observationsergebnissen aus Berlin gelegen haben. Die hiesige Staatsanwaltschaft hatte im März 2016 ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Der Verdacht damals: Um an Geld für den Kauf automatischer Waffen zu kommen, soll Amri einen Einbruch planen. Es folgte eine engmaschige Überwachung der Kommunikation und permanente Beobachtung.

    Doch die Ergebnisse waren ernüchternd. Die ursprüngliche Information konnte nicht erhärtet werden, und der Vorwurf zur Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat wurde recht schnell heruntergestuft. Fortan ermittelte man in Berlin nur noch wegen Verabredung zu einem Verbrechen.

    Überwachung im September eingestellt

    Noch immer ist unklar, wie dicht die Behörden während dieser Zeit tatsächlich an Amri dran waren. Nach Informationen dieser Redaktion fiel der Tunesier in Berlin, wo er keinen festen Wohnsitz hatte, während der Observation nicht als streng gläubiger Moslem auf. Er praktizierte keinen Ramadan, verkaufte und konsumierte Kokain und Crystal, ging nicht regelmäßig zum Gebet in die Moschee.

    Bereits im Juli dieses Jahres soll man überlegt haben, die Observation Amris zu beenden, verlängerte diese aber noch einmal um einen Monat. Eingestellt wurde die Überwachung dann im September, weil sich der Vorwurf nicht bestätigte.

    Ermittler ohne Zugriff auf WhatsApp

    Ein Problem war aber auch, dass nur ein Bruchteil der Kommunikation abgeschöpft werden konnte. So hatten die Ermittler in Berlin etwa keinen Zugriff auf Messenger-Dienste wie WhatsApp oder Telegram. Doch Amri kommunizierte auch über solche Messenger.

    Erst nach dem Berliner Anschlag am 19. Dezember war bekannt geworden, dass Amri in einem Chat von seinem Neffen verlangt haben soll, den Treueschwur auf den „Islamischen Staat im Irak und in Syrien“ (ISIS) abzulegen. Hätten die Ermittler bereits vor der Tat davon Kenntnis erlangt, hätte das sicherlich zu einer anderen Einschätzung der Lage geführt, vermuten Insider.

    Auch die Staatsanwaltschaft Duisburg ermittelte

    Parallel zur Berliner Staatsanwaltschaft ermittelte seit April dieses Jahres auch die Staatsanwaltschaft in Duisburg. Der Tatvorwurf hier: Betrug. Der Tunesier soll im November 2015 für einige Tage doppelt Sozialleistungen bezogen haben. Bis zum 17. November sei er offiziell in einer Flüchtlingsunterkunft in Emmerich gemeldet gewesen. Unter einer anderen Identität kassierte er aber bereits seit dem 14. November Leistungen in Oberhausen.

    „Auf diesen Sachverhalt sind wir durch eine Anzeige des Landeskriminalamtes in Düsseldorf gestoßen worden“, sagte Detlef Nowotsch, Sprecher der Staatsanwaltschaft. Das war im April 2016. Weil der Verdächtige über Monate an keinem der Aufenthaltsorte, die den Behörden bekannt waren, angetroffen wurde, stellte die Staatsanwaltschaft Duisburg das Verfahren im November ein. „Ein Haftbefehl gegen den Verdächtigen wurde nicht beantragt“ – wegen der Geringfügigkeit des Tatvorwurfs.

    Dieser Text erschien zuerst auf morgenpost.de.