Berlin/Wiesbaden. 100.000 Euro winken, wenn ein Hinweis die Polizei auf die Spur des Terrorverdächtigen Anis Amri führt. Wie läuft das mit Belohnungen?

Bis zu 100.000 Euro haben die deutschen Behörden als Belohnung ausgesetzt – für Hinweise, die zur Ergreifung von Anis Amri führen, der Mann, der beim Anschlag von Berlin am Steuer des Lkw gesessen haben soll. Eine Rekordsumme wäre dies nicht. Deutsche Stellen haben schon mehr als 100.000 Euro ausgelobt, für mutmaßliche RAF-Mörder etwa wurden Millionenbeträge in Aussicht gestellt.

Was bedeutet „bis zu 100.000 Euro“?

Auf Twitter verbreitete sich am Donnerstag ein etwas hämischer Vergleich mit der Telekommunikationsbranche. Die macht bei ihren Übertragungsraten aus dem Internet auch gern „bis zu“-Versprechungen. „DSL-KundInnen wissen, was das bedeutet“, so ein Twitterer.

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Doch wenn eine Person Anis Amri sehen und der Polizei den entscheidenden Tipp geben sollte, dürfte derjenige nach Einschätzung tatsächlich die volle Summe erhalten. Klar ist aber auch: Wenn mehrere Leute wichtige Hinweise geben, wird die Belohnung geteilt.

Wer entscheidet über die Vergabe?

Formal ist das derjenige, der die Belohnung ausgelobt hat. Die Hinweise im Fall Amri gehen beim Bundeskriminalamt ein und werden dort bewertet. Das BKA kann am besten beurteilen, welcher Hinweis wie wertvoll ist und wird entsprechende Empfehlungen abgeben.

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    Bekämen auch Hartz-IV-Empfänger oder Asylbewerber die Belohnung?

    Ja, erläutert der Hamburger Jurist Ronald Richter, der an der Spitze der Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht im Deutschen Anwaltverein steht. Mit einer Belohnung verhalte es sich wie mit einem Lottogewinn. Dazu gibt es mehrere Entscheidungen, dass solch ein Fall als Einmalzahlung zu werten ist.

    Wenn jemand staatliche Sozialleistungen bezieht, dann heißt das für ihn: In dem Monat, in dem die Belohnung fließt, ist dieses Geld anzusetzen. Zugleich wird eine Belohnung von 100.000 Euro aber auf sechs Monate verteilt.

    Das heißt: Vom Staat gäbe es sechs Monate kein Geld. Was dann noch vorhanden ist, wird dem anrechenbaren Vermögen zugerechnet. Die Freibeträge regelt für Harz-IV-Empfänger Paragraph 12 des Sozialgesetzbuchs II. Da gibt es Freibeträge, 150 Euro pro Lebensjahr gelten als Schonvermögen.

    Hat also beispielsweise ein 30-Jähriger mehr als 4500 Euro, muss das erst eingesetzt werden, ehe der Staat zahlt. Eine von der Belohnung gekaufte „angemessene Immobile“ wäre aber auch Schonvermögen.

    Kann also jeder die Belohnung erhalten?

    Nein, wer Straftaten beruflich verfolgen muss, ist ausgeschlossen: Keine Belohnung für Polizisten oder Staatsanwälte.

    Muss die Belohnung versteuert werden?

    Nein, sie ist steuerfrei, erläutert Anwalt Ronald Richter. Belohnungen von Arbeitgebern werden ab 256 Euro steuerpflichtig. Doch die Belohnung vom Staat für Hinweisgeber sei nach dem Einkommenssteuergesetz steuerfrei, weil ihr keine Leistung zugrunde liegt. „Das entspricht einer abstrakten Bürgerpflicht, ganz bestimmt aber nicht einer bestimmten Leistung.“

    Woher kommt das Geld?

    Generalbundesanwalt Peter Frank will die Suche nach dem Terrorverdächtigen mit der Belohnung von 100.000 Euro antreiben.
    Generalbundesanwalt Peter Frank will die Suche nach dem Terrorverdächtigen mit der Belohnung von 100.000 Euro antreiben. © dpa | Jörg Carstensen

    Staatsanwaltschaften haben eigene (Steuer-)Mittel, die sie für Belohnungen einsetzen können. Die 100.000 Euro im aktuellen Fall kommen aus einem Sondertitel des Generalbundesanwalts, wie das Justizministerium erklärt. Solche Belohnungen können auch von privat aufgestockt oder komplett von privat versprochen werden.

    Wann wird die Belohnung ausbezahlt?

    Das kann dauern. Auch die Belohnung für die Hinweise im Fall der in Heilbronn erschossenen Polizistin Michelle Kiesewetter ist nur zum kleinen Zahl ausbezahlt. Für wird die Terrorgruppe NSU verantwortlich gemacht. Der größte Teil soll erst fließen, wenn der NSU-Prozess gegen Beate Zschäpe endgültig abgeschlossen ist. Jeweils 7000 Euro flossen recht schnell an drei Hinweisgeber, es geht aber um einen Topf von 600.000 Euro.

    Wie häufig fahndet die Justiz mit Belohnungen?

    Der Bundesanwalt nur sehr selten – zuletzt war das 2012 der Fall. Aber in Deutschland kommt es mehrfach in der Woche vor, dass Staatsanwaltschaften Ermittlungen mit der Aussicht auf Geldprämie ankurbeln wollen. Meist geht es dabei um Beträge von einigen Tausend Euro. Besonders häufig sind die Geldversprechen, wenn Hinweise zu Raubstraftaten und schweren Gewaltdelikten gesucht werden.

    Wie viel Erfolg bringen Belohnungen?

    Die meisten Menschen geben nach allen Erfahrungen immer noch Hinweise ab, weil sie bei der Aufklärung helfen wollen, nicht um persönlichen Vorteil zu ziehen. Es geht also nur um einen kleinen Kreis, der erst durch eine Belohnung ins Grübeln kommt. Das Aussetzen einer Belohnung bringt aber oft noch einmal zusätzliche Aufmerksamkeit. Bei den Morden der RAF zeigte sich, dass Belohnungen zu wenigen Hinweisen aus dem radikalisierten Umfeld von Terroristen führen.

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      Was waren die höchsten Belohnungen in Deutschland bisher?

      Die höchste Einzelsumme durch staatliche Stellen hat nach Auskunft des Bundesjustizministerium das bayerische Innenministerium ausgelobt. Eine Million Mark, rund 500.000 Euro, nachdem die RAF 1985 den Rüstungsmanager Ernst Zimmermann erschossen hatte. Bis heute hat das Geld niemand erhalten, ebenso wie bei weiteren RAF-Morden, bei denen die Wirtschaft noch höhere Belohnungen in Aussicht stellte: Vier Millionen Mark (rund zwei Millionen Euro) nach dem Mord an dem Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen (1989), drei Millionen Mark nach dem tödlichen Anschlag auf den Siemens-Forschungschef Karl Heinz Beckurts (1986).

      Um 600.000 Euro geht es bei der NSU-Mordserie, weil zwei große Töpfe zusammenkamen. Zur Aufklärung der Mordserie an türkischen Gastronomen waren 300.000 Euro ausgelobt, für den Mord an der Polizistin Kiesewetter die gleiche Summe. Da waren 40.000 Euro von der Staatsanwaltschaft von Privatleuten (65.000 Euro), Polizeigewerkschaft (31.000 Euro) und schließlich dem Land aufgestockt (164.000 Euro) worden.

      Eine ähnlich hoher Betrag wurde 1995 für Hinweise zum Aufenthalt des KZ-Arztes Aribert Heim in Aussicht gestellt: 130.000 Euro kamen vom Generalbundesanwalt, ein amerikanischer Geschäftsmann verdoppelte, das österreichische Justizministerium lobte weitere 50.000 Euro aus. Nur: Der international gesuchte Heim war bereits 1992 in Kairo gestorben, 2012 wurde er gerichtlich für tot erklärt.

      Was waren die höchsten Belohnungen weltweit?

      Zumindest öffentlich bekannt geworden ist keine höhere Belohnung für Hinweise als die, die Bradley C. Birkenfeld eingestrichen hat. Der 51-Jährige war Berater schwerreicher amerikanischer Kunden der Schweizer Bank UBS – und machte mit bei illegalen Steuerspartricks.

      Als die Bank auf Bedenken von ihm nicht reagierte, meldete er sich bei der US-Bundessteuerbehörde. Die stellt für Hinweise bis zu 30 Prozent der fälligen Strafen und Steuernachzahlungen in Aussicht. Die UBS hatte musste 780 Millionen Dollar zahlen, 4500 erwischte Kunden mussten Millarden zahlen. Birkenfeld blieb allerdings nicht erspart, selbst für rund zwei Jahre einzusitzen.

      Auf seinen Kopf sind 25 Millionen Dollar ausgesetzt: IS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi.
      Auf seinen Kopf sind 25 Millionen Dollar ausgesetzt: IS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi. © FMG | FMG

      Geht es „nur“ um Strafverfolgung, sind die Behörden nicht ganz so freigibig. Wer den IS-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi ans Messer liefert, kann aber 25 Millionen Dollar von den USA einstreichen. Für den Al-Kaida-Chef Ayman al-Zawahiri winkt die gleiche Summe. Nach einem Bericht der türkischen Agentur Anadolu hat die Free Syrian Army mit syrischen Geschäftsleuten auf Baschad al-Assad ein Kopfgeld in die dieser Höhe ausgesetzt.

      Die Summe war auch auf den Kopf seines Vorgängers Osama bin-Laden ausgesetzt, wurde aber nicht ausgezahlt. Es gab keinen Verräter, Überwachung und ein Fehler in seinem Gefolge brachten die USA auf seine Spur.

      Hinweise zum Verbleib von Anis Amiri an das BKA unter 0800/0130 110 oder an jede Polizeidienststelle.