Berlin. Drei Mütter, zwei Morde und kein Babysitter: Der Brandenburger „Polizeiruf“ war ganz dem Verhältnis zwischen Mutter und Kind gewidmet.

Muttertag ist diesmal im Herbst. An der Grenze zu Polen, im östlichen Zipfel Brandenburgs fallen die letzten Blätter, als eine Mutter in der ersten Morgensonne von ihrem nächtlichen Putzjob nach Hause fährt, nach Hause zu Pferd und Kind. Das Kind ist nicht mehr klein, aber auch noch kein richtiger Mann und obendrein zweifacher Mörder.

Der „Polizeiruf – Muttertag” mit den Kommissaren Olga Lenski (Maria Simon) und Adam Raczek (Lucas Gregorowicz) zeichnet sich durch die fast vollkommene Abwesenheit von Vätern aus. Im Dorf Wüsterow an der deutsch-polnischen Grenze leben die Mütter mit ihren erwachsenen Kindern, Liane Uhl (Kathleen Gallego Zapata), die Mutter der vermissten Sabrina Uhl, und Heidi Schoppe (Ulrike Krumbiegel) mit ihrem Sohn Enrico. Auch das Mordopfer hinterlässt eine Frau mit kleinen Kindern.

Und immer fehlt der Babysitter

Dazu kommt noch Kommissarin Lenski, ebenfalls alleinerziehend und ständig in Babysitter-Not. Der einzige Vater ist ihr Kollege Raczek, der für Lenskis privates Chaos wenig Verständnis zeigt. Er verfasst sogar eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen seine Kollegin und will sie am liebsten wieder in Potsdam wissen. Wir erhalten den Eindruck, dass Raczek Kinder regelrecht hasst, so wie er zu Beginn mit Lenskis Tochter umgeht.

Klar, der Polizeiruf spielt halt nicht in Berliner Hipster-Vierteln, sondern in Polen, wo das Bild des neuen Mannes, der sein Kind wie ein Känguru im Beutel vor dem Bauch trägt, wohl noch erfunden werden muss. Raczek ist der Meinung, dass Frauen zu Hause bei den Kindern bleiben sollten, sofern die finanziellen Möglichkeiten gegeben sind. So wie bei seiner Frau und seinen Kindern.

Die genervten Blicke Raczeks beim Anblick von Lenski, die mit ihrer Tochter im Schlepptau auf der Wache auftaucht, werden gekonnt gegengeschnitten mit Szenen wie der, dass Lenski den Babysitz fürs Auto nicht zusammengesteckt bekommt und flucht: „Mann!“ Raczek fühlt sich angesprochen – und hilft dann doch.

„Polizeiruf 110“: Blutiger „Muttertag“

„Muttertag“ im „Polizeiruf“ aus Brandenburg: Kommissarin Olga Lenski (Maria Simon) wurde aus Potsdam ins deutsch-polnische Kommissariat nach Swiecko abberufen. Dort lebt sie nun allein mit ihrer Tochter.
„Muttertag“ im „Polizeiruf“ aus Brandenburg: Kommissarin Olga Lenski (Maria Simon) wurde aus Potsdam ins deutsch-polnische Kommissariat nach Swiecko abberufen. Dort lebt sie nun allein mit ihrer Tochter. © rbb | Nik Konietzny
Heikle Szene gleich zu Beginn: Dienststellenleiter Karol Pawlak (Robert Gonera) will von Lenski wissen, ob sie weiterhin im deutsch-polnischen Kommissariat arbeiten will. Dafür müsse sie nämlich einen Antrag auf Verlängerung stellen. Lenski bekommt das in den falschen Hals und denkt, man wolle sie loswerden.
Heikle Szene gleich zu Beginn: Dienststellenleiter Karol Pawlak (Robert Gonera) will von Lenski wissen, ob sie weiterhin im deutsch-polnischen Kommissariat arbeiten will. Dafür müsse sie nämlich einen Antrag auf Verlängerung stellen. Lenski bekommt das in den falschen Hals und denkt, man wolle sie loswerden. © rbb | Nik Konietzky
Nicht ganz unberechtigt: Gegen sie liegt nämlich eine Dienstaufsichtsbeschwerde vor. Sie vermutet, dass die etwas mit ihrem chaotischen Privatleben zu tun hat. Lenski ist alleinerziehend, und nicht immer findet sie eine Babysitterin für ihre Tochter. Besonders ein Kollege scheint dafür überhaupt kein Verständnis zu haben, ...
Nicht ganz unberechtigt: Gegen sie liegt nämlich eine Dienstaufsichtsbeschwerde vor. Sie vermutet, dass die etwas mit ihrem chaotischen Privatleben zu tun hat. Lenski ist alleinerziehend, und nicht immer findet sie eine Babysitterin für ihre Tochter. Besonders ein Kollege scheint dafür überhaupt kein Verständnis zu haben, ... © rbb | rbb
... und mit dem arbeitet Lenski eng zusammen: Ihr Kollege Kriminalhauptkommissar Adam Raczek (Lucas Gregorowicz) ist eher der Typ traditioneller Familienvater. Seine Frau ist zu Hause mit den beiden Kindern, Beruf und Familie trennt Raczek streng.
... und mit dem arbeitet Lenski eng zusammen: Ihr Kollege Kriminalhauptkommissar Adam Raczek (Lucas Gregorowicz) ist eher der Typ traditioneller Familienvater. Seine Frau ist zu Hause mit den beiden Kindern, Beruf und Familie trennt Raczek streng. © rbb | Nik Konietzny
Lenski wiederum ist ganz alleine nach Swiecko gezogen, Familie und Freunde leben in Potsdam, so kommt die Tochter eben mit, wenn Lenski nachts wegen eines Leichenfundes ins Kommissariat gerufen wird.
Lenski wiederum ist ganz alleine nach Swiecko gezogen, Familie und Freunde leben in Potsdam, so kommt die Tochter eben mit, wenn Lenski nachts wegen eines Leichenfundes ins Kommissariat gerufen wird. © rbb | Nik Konietzky
Das Opfer ist ein polnischer Tischler namens Janusz Kubiak. Hier befragen die Kommissare seine Witwe (Justyna Pawlicka-Hamade).
Das Opfer ist ein polnischer Tischler namens Janusz Kubiak. Hier befragen die Kommissare seine Witwe (Justyna Pawlicka-Hamade). © rbb | Oliver Feist
Raczek spricht sogar ein Gebet mit der trauernden Frau. Dass ihr Mann eine Affäre mit einer jungen Deutschen hatte, wusste sie seit etwa zwei Monaten. Verdächtig ist sie den Kommissaren aber nicht.
Raczek spricht sogar ein Gebet mit der trauernden Frau. Dass ihr Mann eine Affäre mit einer jungen Deutschen hatte, wusste sie seit etwa zwei Monaten. Verdächtig ist sie den Kommissaren aber nicht. © rbb | Oliver Feist
Der Fundort der Leiche ist ein kleines Wäldchen in Polen. Dort wachsen seltsam krumm geformte Bäume. O-Ton Lenski „Was sind denn das für Bäume?“ Raczek: „Das weiß keiner so genau.“ Jedenfalls erfreut sich der Wald großer Beliebtheit unter Liebenden.
Der Fundort der Leiche ist ein kleines Wäldchen in Polen. Dort wachsen seltsam krumm geformte Bäume. O-Ton Lenski „Was sind denn das für Bäume?“ Raczek: „Das weiß keiner so genau.“ Jedenfalls erfreut sich der Wald großer Beliebtheit unter Liebenden. © rbb | Oliver Feist
Noch tappen die Kommissare im Dunkeln und versuchen sich an einer Rekonstruktion des Tathergangs. Die Geliebte des Opfers, Sabrina Uhl, ist derweil verschwunden und wird von der Mutter als vermisst gemeldet.
Noch tappen die Kommissare im Dunkeln und versuchen sich an einer Rekonstruktion des Tathergangs. Die Geliebte des Opfers, Sabrina Uhl, ist derweil verschwunden und wird von der Mutter als vermisst gemeldet. © rbb | Oliver Feist
Im Nachbarhaus der Vermissten wohnt Enrico Schoppe (Anton Spieker) mit seiner Mutter. Enrico verhält sich so, als hätte er etwas zu verheimlichen. Lenski fühlt ihm auf den Zahn.
Im Nachbarhaus der Vermissten wohnt Enrico Schoppe (Anton Spieker) mit seiner Mutter. Enrico verhält sich so, als hätte er etwas zu verheimlichen. Lenski fühlt ihm auf den Zahn. © rbb | Oliver Feist
Als Raczek Enrico fragt, in welcher Beziehung dieser zu der vermissten Sabrina stand, fühlt sich Enrico in die Enge getrieben. Seine Mutter Heidi (Ulrike Krumbiegel) besteht darauf, dass ihr Sohn zum Bus müsse, er habe ein Bewerbungsgespräch. Zuvor gibt sie ihrem Sohn noch ein Alibi für den Abend des Mordes, dabei weiß sie überhaupt nicht, was ihr Sohn zu diesem Zeitpunkt gemacht hat.
Als Raczek Enrico fragt, in welcher Beziehung dieser zu der vermissten Sabrina stand, fühlt sich Enrico in die Enge getrieben. Seine Mutter Heidi (Ulrike Krumbiegel) besteht darauf, dass ihr Sohn zum Bus müsse, er habe ein Bewerbungsgespräch. Zuvor gibt sie ihrem Sohn noch ein Alibi für den Abend des Mordes, dabei weiß sie überhaupt nicht, was ihr Sohn zu diesem Zeitpunkt gemacht hat. © rbb | Oliver Feist
Der Dorfpolizist wird gleich handgreiflich, als Enrico eilig davonläuft. Raczek pfeift ihn zurück.
Der Dorfpolizist wird gleich handgreiflich, als Enrico eilig davonläuft. Raczek pfeift ihn zurück. © rbb | Oliver Feist
Als Enricos Mutter die Leiche der vermissten Sabrina im Schuppen findet, gerät der ernsthaft in Erklärungsnot. Gegenüber seiner Mutter beichtet er, dass er versucht habe, Sabrina zu retten, als diese von Kubiak erst vergewaltigt und dann erwürgt worden sei. Dass Kubiak nun auch tot ist, sei ein Unfall gewesen. Enrico sagt seiner Mutter, niemand würde ihm diese Geschichte glauben. Heidi verspricht, ihrem Sohn zu helfen.
Als Enricos Mutter die Leiche der vermissten Sabrina im Schuppen findet, gerät der ernsthaft in Erklärungsnot. Gegenüber seiner Mutter beichtet er, dass er versucht habe, Sabrina zu retten, als diese von Kubiak erst vergewaltigt und dann erwürgt worden sei. Dass Kubiak nun auch tot ist, sei ein Unfall gewesen. Enrico sagt seiner Mutter, niemand würde ihm diese Geschichte glauben. Heidi verspricht, ihrem Sohn zu helfen. © rbb | Christoph Assmann
Die Kommissare wissen zu diesem Zeitpunkt immer noch nicht, wo Sabrina ist, finden aber auf einem Feld nahe des Wäldchens ihren Mantel.
Die Kommissare wissen zu diesem Zeitpunkt immer noch nicht, wo Sabrina ist, finden aber auf einem Feld nahe des Wäldchens ihren Mantel. © rbb | Oliver Feist
Sabrinas Freundin Melanie Opitz (Anjorka Strechel) wusste von der Affäre mit Kubiak und berichtet, dass die Beziehung ein einziges Drama gewesen sei, weil Kubiak seine Frau nicht verlassen wollte. Zuletzt hätte sich Sabrina von ihm getrennt. Sie stützt damit zunächst die Erzählung Enricos, wonach Kubiak Sabrina ermordet hat.
Sabrinas Freundin Melanie Opitz (Anjorka Strechel) wusste von der Affäre mit Kubiak und berichtet, dass die Beziehung ein einziges Drama gewesen sei, weil Kubiak seine Frau nicht verlassen wollte. Zuletzt hätte sich Sabrina von ihm getrennt. Sie stützt damit zunächst die Erzählung Enricos, wonach Kubiak Sabrina ermordet hat. © rbb | rbb
Lenski und Raczek wissen mittlerweile, dass eine dritte Person in den Mordfall verwickelt gewesen sein muss. Nur wer? Enrico vielleicht? O-Ton Lenski: „Es ist so einfach, Enrico zu verdächtigen. Viel zu einfach.“
Lenski und Raczek wissen mittlerweile, dass eine dritte Person in den Mordfall verwickelt gewesen sein muss. Nur wer? Enrico vielleicht? O-Ton Lenski: „Es ist so einfach, Enrico zu verdächtigen. Viel zu einfach.“ © rbb | Oliver Feist
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Drei Versionen, eine Wahrheit

Eine andere Mutter deckt ihren Sohn, ohne genau zu wissen, weshalb. Drei Geschichten werden im Laufe des Films über den Hergang der Morde an einem polnischen Tischler und seiner jungen Geliebten erzählt. Als Zuschauer wissen wir bis zum Ende immer nur so viel wie die Mutter des Mörders, Heidi Schoppe – großartig gespielt von Ulrike Krumbiegel.

Das erste Geständnis gibt’s schon nach 30 Minuten. Mutter Heidi hat die Leiche der vermissten Nachbarin Sabrina Uhl im Bastel-Schuppen ihres Sohnes Enrico gefunden hat. Der erster Impuls: Den Sohn schützen, so lange er ihr die Wahrheit erzählt. Ab da sind Mutter und Sohn Verschworene.

Auf Perspektivlosigkeit abonniert

„Dit globt mir doch keener“, brüllt der zitternde Enrico seiner Mutter ins Gesicht, als er ihr die erste Version schildert: Tischler Kubiak habe Sabrina vergewaltigt und erwürgt. Enrico habe der Nachbarin helfen wollen, Kubiak sei im Zweikampf unglücklich gefallen.

Man ist gewillt, Enrico zu glauben – bei dieser nach hinten gedrehten Baseballcap, dem Silberkettchen und dem Leben im auf Perspektivlosigkeit abonnierten deutsch-polnischen Grenzgebiet. Olga Lenski bringt’s auf den Punkt: „Es ist so verdammt einfach, Enrico zu verdächtigen. Viel zu einfach.“

Laotse-Weisheiten von Netto

Die Handlung dieses „Polizeirufs“ (Regie: Eoin Moore) ist nicht besonders originell, auch nicht das Mordmotiv, unglückliche Liebe und Eifersucht – darauf hätten die Kommissare eher kommen können. Stark ist die Geschichte aufgrund ihrer Figurenzeichnung, allen voran der Mutter des Mörders, und den großartigen Bildern.

Dazu der fein dosierte Humor: etwa, wenn der Pathologe (Tomek Nowicki) die Mordmethode nachspielt, sich auf den Boden wirft und demonstriert, wie auf den Toten eingeschlagen wurde. Oder wenn der Kühlschrankmagnet schlaue Sprüche klopft. Lenski: „,Wer sich selbst besiegt, ist stark.’ Ist ein guter von Laotse.” Und Mutter Heidi nur trocken antwortet, der Spruch sei von Netto.

Von Müttern und ihren Kindern

In einer anderen Szene geht es einmal nicht um die Kinder, sondern darum, was zwischen Mann und Frau passiert, bevor die Kinder da sind. Lenski und Raczek stranden nach den Ermittlungen auf dem Land und müssen in der Dorfkneipe übernachten – im Doppelbett. Die Kommissare liegen herrlich unentspannt unter getrennten Blümchendecken, Lenski dreht sich mit den Füßen zu ihrem Kollegen: „Wissen Sie, wie lange ich schon keinen Sex mehr hatte?“ Raczek antwortet mit hochoffizieller Stimme, leicht in Panik: „Gehen Sie mal davon aus, dass das nicht stattfinden wird.“ Immerhin: Die Dynamik zwischen den beiden wird lockerer, man duzt sich und Raczek ist verständnisvoller gegenüber den Nöten der alleinerziehenden Kollegin – jedenfalls vorerst.

Passend zum Muttertag nimmt sich dieser „Polizeiruf“ das Verhältnis zwischen Müttern und ihren Kindern vor. Was tun Frauen für ihre Kinder? Und was wird aus den Kindern, wenn sie erwachsen werden? Die ruhige Kameraführung (Florian Foest) und die wilde Schönheit der Uckermark rücken das Wesentliche in den Fokus: Die Figuren und ihre Beziehungen zueinander.