Berlin. Explosionen und Ballerei: Der Dortmunder „Tatort: Sturm“ war wohl von Til Schweiger inspiriert. Den TV-Genuss minderte das aber nicht.

Helene Fischer, Tote und Explosionen – Til Schweigers „Tatort“-Festspiel „Der große Schmerz“ lief an Neujahr 2016 in der ARD. Das große Erbe wollte am 1. Januar der Dortmunder „Tatort“ antreten – mit ähnlichem Schicksal. Denn genauso wie Schweigers Krimi war die Dortmunder Folge nach einem Terroranschlag verschoben worden.

Auch nach dem Anschlag auf den BVB-Bus wurde über einen neuen Sendeplatz diskutiert. Doch dieses Mal blieb die ARD standhaft – und beim Ausstrahlungstermin am Ostermontag.

Brillante Schauspieler in Dortmund

Dafür kam der Zuschauer auch endlich in den Genuss des Dortmunder „Tatort“-Spektakels: Die Macher hatten sich einiges bei Schweigers Actiongala abgeguckt. Mit einem Schlagerstar konnte der Krimi zwar nicht aufwarten, dafür gab es in der Folge „Sturm“ Terror, Tote, Ballerszenen und eine große Explosion. Nick Tschiller lässt grüßen.

Was den Dortmunder „Tatort“ aber auszeichnete – und damit auch von Schweigers Apokalypse-Krimis unterschied –, war die Schauspielkunst von Jörg Hartmann (als Kommissar Peter Faber), Aylin Tezel (als Nora Dalay) und Anna Schudt (als Martina Bönisch). Und natürlich von Stefan Konarske (als Daniel Kossik), der in seiner letzten „Tatort“-Folge brillierte. Das hätte Til Schweiger so nicht hinbekommen.

Der „Tatort“ im Schnellcheck:

• Was ist passiert? Muhammad Hövermann (Felix Vörtler) wird von mutmaßlichen islamistischen Terroristen erpresst. Sie haben ihn mit einem Sprengstoffgürtel in eine Bank gesteckt, dort soll er mehrere Millionen Euro auf verschiedene Bankkonten transferieren. Tut er das nicht, wollen die Täter seine Frau und Tochter töten.

Was sie nicht ahnen: Sie wurden manipuliert. Es ist keine „heilige Märtyrer-Aktion“, sondern ein schnöder Raubüberfall. Hövermanns Sohn Bernie (Christian Ehrich) braucht dringend Geld und nutzt den Raub, um sich an seinem Vater zu rächen, von dem er sich im Stich gelassen fühlt.

Worum ging es auch? Der Streit zwischen den Kollegen Faber und Kossik hatte den letzten Dortmunder „Tatort“ beherrscht. Dafür haben die Kommissare im aktuellen Krimi keine Zeit, sie sind auf sich allein gestellt und ermitteln getrennt voneinander. Oberflächlich geht es also nur um den Fall.

Doch die Kamera ist ganz nah dran und erlaubt es, einen tiefer gehenden Blick auf die Ermittler und ihre Gefühlslagen zu werfen. Irgendwie verbindet sie doch noch viel – trotz Feindseligkeiten und Verletztheit. Sie sind als Team zusammengewachsen.

Geht immer: Rentner mit Kopfkissen auf der Fensterbank, der die flüchtenden Täter gesehen haben will.

Bester Spruch: „Wer diese Alarmanlage ausmacht, kriegt eine Kiste Bier von mir.“ Und: „Alles super hier, Bombenstimmung.“ (Peter Faber)

Faber des Tages: Das braucht doch eine eigene Kategorie, dieses sich selbst gefährdende Verhalten, das Kommissar Faber in jedem „Tatort“ an den Tag legt. Erst bleibt er mit dem Sprengstoffweste tragenden Muhammad Hövermann zusammen in der Bank. Dann provoziert er ihn auch noch: „Jetzt drück doch ab, du feige Sau.“

Der Höhepunkt des Faberschen Wahns: Er will Hövermanns Sohn nicht aus der Bank lassen, „weil das ein geiles Gefühl ist. Ich habe die Macht in den Händen. Das geilste Gefühl ist doch, ihre Angst zu spüren, Herr Hövermann.“ Konfliktentschärfung sieht eigentlich anders aus.

Dass der Sprengstoffgürtel eine Attrappe ist, wusste Faber natürlich: „Ich bin doch nicht lebensmüde.“ Ach, das ist neu...

Die Schweiger-Szene: Mit Vollgas rasen die Täter in einem weißen Transporter in die Menschenmenge. Pascal „Jihad“ Tauber (David Hürten) und Hövermanns Tochter Ada (Yeliz Simsek) werden von Polizeikugeln getroffen und sterben. Ein Täter überlebt und sprengt sich in die Luft – übertriebenes Endzeit-Szenario in Dortmund. So heftige Explosionen gibt es sonst nur in Til-Schweiger-„Tatort“-Folgen.

Emotionalster Moment: „Daniel, keine Alleingänge!“, warnte Nora Dalay noch Daniel Kossik am Telefon – als hätte sie es geahnt. Im nächsten Moment stürmt Kossik schon den Wohnwagen, um die Tochter von Muhammad Hövermann zu befreien. Natürlich im Alleingang. Und natürlich kommen die Täter zurück und schießen ihn nieder.

Wie Robert Berghoff mit seiner Kamera Nahaufnahmen vom am Boden liegenden und blutenden Kossik einfängt, ist große Kunst. Emotionaler wird es noch, als Kossik mit Dalay telefoniert, seiner Kollegin und Ex-Freundin.

„Nora“, sagt er noch leise, dann bricht das Gespräch ab, und sie bricht weinend am Tatort zusammen. Da steigen auch beim Zuschauer Tränen in die Augen. Besser hätte Regisseur Richard Huber die komplizierte, tiefgehende Beziehung zwischen den beiden nicht einfangen können.

Was nervt: Das war der letzte „Tatort“ mit Daniel Kossik. Darsteller Stefan Konarske steigt aus – ein Verlust für den ARD-Krimi. Ob Faber, Bönisch und Dalay nun alleine weiter ermitteln werden oder einen neuen Kollegen bekommen, ist nicht bekannt.

Das bleibt unbeantwortet: Stirbt Kossik nun wirklich?