Berlin. Sandra Maischberger diskutierte mit ihren Gästen über den Linkskurs der SPD. Und die Frage, wie gerecht es in Deutschland noch zugeht.

Es gibt Dinge, die möchte man lieber nicht hören. Und so verzog die Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen, Hannelore Kraft, unverkennbar die Mundwinkel, als ihr ausgerechnet ein Unternehmer bescheinigte: Ja, die SPD hat mit der Agenda 2010 neoliberale Reformen durchgesetzt.

„Macht Schulz das Land gerechter?“, fragte Sandra Maischberger ihre Gäste am Mittwochabend. Denn die SPD sonnt sich derzeit im Schulz-Hype, in Umfragen geht es aufwärts, und doch hadert die Partei mit ihrer Vergangenheit. SPD-Vize Kraft wollte sich nicht zu der Aussage hinreißen lassen, dass Ex-Kanzler Gerhard Schröder sich um das Land verdient gemacht habe.

Schulz will von Schröders Reformen abrücken

Ausgerechnet jetzt, wo das Land wirtschaftlich so gut dasteht wie lange nicht mehr, will SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz von Schröders Agenda-Reformen abrücken. Die

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will er verlängern, auf bis zu vier Jahre.

NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft gab Fehler der SPD zu.
NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft gab Fehler der SPD zu. © WDR | Max Kohr

Die Agenda 2010 gilt als der größte Einschnitt in den Sozialstaat in der Nachkriegszeit. Was man von der CDU erwartet hätte, hatten die Sozialdemokraten übernommen: die Steuern für Spitzenverdiener gesenkt, Sozialleistungen gekürzt und den Arbeitsmarkt entrümpelt. Für viele Genossen ist das noch heute ein Tabubruch – und Trauma.

CDU-Fraktionsvize lobt Schröder überschwänglich

„Es war aber genau richtig“, dozierte der Familienunternehmer Thomas Selter am Mittwochabend in Sandra Maischbergers Talkrunde.

CDU-Fraktionsvize Ralph Brinkhaus blieb es überlassen, den sozialdemokratischen Vorgänger von Angela Merkel über den grünen Klee zu loben. „Der Mann hat viel gewagt und viel riskiert, und das war gut für Deutschland“, sagte er.

Hannelore Kraft zwischen allen Stühlen

Die Rollen in Maischbergers Talk waren schnell verteilt: CDU-Mann Brinkhaus und der Unternehmer Selter verteidigten die Reform, Linken-Spitzenpolitiker Oskar Lafontaine und der Hartz-IV-Gegner Ulrich Wockelmann ließen (natürlich) kein gutes Haar daran. Und Hannelore Kraft saß sprichwörtlich zwischen allen Stühlen.

Hatte kein gutes Wort für die Agenda 2010 übrig: Linken-Spitzenpolitiker Oskar Lafontaine.
Hatte kein gutes Wort für die Agenda 2010 übrig: Linken-Spitzenpolitiker Oskar Lafontaine. © WDR | Max Kohr

Sie gab Fehler der SPD zu. Den Niedriglohnsektor habe man nicht gewollt, ein Mindestlohn sei schon damals notwendig gewesen.

Arbeitssuchender berichtet von Schikane der Jobcenter

„Die Agenda war das Programm der Arbeitgeberverbände“, hielt Lafontaine der NRW-Ministerpräsidentin vor. Und auch der Hartz-IV-Gegner Ulrich Wockelmann sprach von „wahnsinniger Schikane“, der Jobsuchende ausgesetzt seien. Der gelernte Modellschreiner, der seit 1996 arbeitslos ist, berät Sozialhilfeempfänger heute beim Umgang mit dem Jobcenter. „Mit den Ein-Euro-Jobs hat die Politik den Menschen gesagt, dass sie nichts wert sind“, befand der Aktivist.

Doch wie sieht sie nun wirklich aus, die soziale Realität in Deutschland? Die Arbeitslosigkeit ist deutlich auf 2,7 Millionen gesunken. Auf der einen Seite. Wahr ist aber auch, dass die Statistik vieles nicht erfasst. Zum Beispiel Weiterbildungsmaßnahmen der Bundesagentur für Arbeit; die Teilnehmer verschwinden einfach aus der offiziellen Arbeitslosenzahl.

Unternehmer verteidigt Zeitarbeit

„40 Prozent der Deutschen haben real Einkommen verloren“, rechnete Lafontaine an anderer Stelle vor. Es sei ein Zynismus, zu behaupten, dass es dem Land durchweg gut gehe. Der ehemalige Linken-Chef sprach von „Verwüstungen am Arbeitsmarkt“, die Schröders Reformpolitik hervorgerufen habe.

„Sie müssen ja alles schlechtreden, das ist empörend“, konterte Unternehmer Thomas Selter. Dass insbesondere das Instrument der Zeitarbeit so in der Kritik steht, könne er nicht verstehen. „In meinem Betrieb gibt es viele Leute, die das gerne machen“, sagte er. Ein Grund dafür sei Flexibilität oder der Wunsch, für mehrere Firmen zu arbeiten.

1000 Bewerbungen und kein Job

Zugegeben: Das klang nach einer steilen These. Und leider fehlte in Maischbergers Runde der Part, der die Agenda kritisch, aber ohne parteipolitische Brille oder Schaum vorm Mund, einordnete.

Schulz-Effekt und Trump-Wahl: Wie realistisch sind Umfragen tatsächlich?

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    In einem Einspieler präsentierte die Redaktion den Fall eines 58-jährigen Ingenieurs, der einfach keinen Job mehr findet. Trotz 1000 geschriebener Bewerbungen. Nun drohen dem Akademiker schon bald Hartz-IV und der Verkauf des Reihenhauses. Erst dann springt der Staat ein.

    Ist das gerecht?

    Kraft dämpft Hoffnung auf höhere Hartz-IV-Regelsätze

    Nach Schulz’ Plänen könnte der Mann mit einer längeren Arbeitslosengeld-Bezugsdauer rechnen. „Das ist das falsche Signal, wir müssen die Leute schon im Job weiter qualifizieren und nicht, wenn sie draußen sind“, hielt CDU-Politiker Brinkhaus dagegen.

    Und was Martin Schulz beim Thema Hartz-IV plant, bleibt bisher noch sein Geheimnis. Hannelore Kraft wollte sich dazu in Maischbergers Runde nicht konkret äußern. Nur so viel: Mit höheren Regelsätzen sei wohl nicht zu rechnen.

    Maischbergers Gäste schon im Wahlkampfmodus

    Ob die Linke sich so nach der Bundestagswahl für ein rot-rot-grünes Bündnis begeistern kann, ist zweifelhaft. Unions-Fraktionsvize Brinkhaus – schon ganz im Wahlkampfmodus – legte sich trotzdem fest: Wenn es eine Mehrheit für Martin Schulz gäbe, werde er sie nutzen.

    Vor einer solchen Koalition graut es auch dem Unternehmer in Maischbergers Runde. Denn: „Wenn genug Geld da ist, nehmen die Sozialdemokraten gerne die Schippe in die Hand und schmeißen es aus dem Fenster“.

    Es war ein Schlusswort, das gut zu diesem Talk passte: ein populistisches.

    Die ganze Sendung sehen sie in der ARD-Mediathek.