Berlin. Yücel, Referendum, Imame: Maybrit Illner diskutierte über fast jedes Problem zwischen Deutschland und der Türkei. Was hat es gebracht?

Die Beziehung Deutschlands zur Türkei war selten so schwierig. Einerseits braucht die Bundesregierung die Hilfe von Präsident Recep Tayyip Erdogan, um den Flüchtlingsdeal aufrechtzuerhalten, andererseits kann sie die Missstände in der Türkei nicht unkommentiert lassen. Schon gar nicht, wenn mit „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel erstmals während des Ausnahmezustands ein deutscher Journalist inhaftiert wurde. Doch das ist längst nicht der einzige Konflikt.

Am Donnerstag stoppten die Städte Köln und Gaggenau Wahlkampf-Auftritte von türkischen Ministern. Ankara ließ darauf den deutschen Botschafter in Istanbul bestellen. Ob als Reaktion auf die Auftrittsabsagen oder als Retourkutsche dafür, dass Berlin den türkischen Botschafter zum Gespräch wegen Yücel bat? Klar ist: Die innenpolitischen Konflikte der Türkei sind längst in Deutschland angekommen.

Köln und Gaggenau stoppen Wahlkampf türkischer Minister

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    „Was erlaubt sich Erdogan?“, fragte deshalb Maybrit Illner am Donnerstagabend Markus Söder, CSU-Finanzminister in Bayern, Aydan Özoguz (SPD), Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Mustafa Yeneroglu, deutsch-türkischer AKP-Abgeordneter, Mithat Sancar, Abgeordneter der prokurdischen Oppositionspartei HDP, und Yahya Kilicaslan, deutscher Unternehmer und Erdogan-Unterstützer. Es zeigte sich: Die Fronten sind bei allen Konflikt-Themen verhärtet.

    • Thema Deniz Yücel

    SPD-Politikerin Özoguz bekräftigte noch einmal, was die Bundesregierung von der Haft für den deutsch-türkischen Journalisten hält: „Yücel ist in Haft, weil er seine Arbeit als Journalist gemacht hat. Das passt nicht in einen Rechtsstaat. Deshalb müssen wir mit Nachdruck auf seine Freilassung plädieren.“ Noch deutlicher wurde Oppositionspolitiker Sancar, der bei Erdogan Erpressung als politische Methode ausgemacht hat: „Yücel ist eine politische Geiselnahme“.

    Ganz anders sahen das der AKP-Abgeordnete Yeneroglu und der Erdogan-Unterstützer Kilicaslan. Sie verwiesen darauf, dass über den Fall Yücel allein die Gerichte zu entscheiden hätten. „Es ist überheblich zu sagen, er müsse sofort freigelassen werden“, so Kilicaslan.

    Merkel fordert Freilassung von Deniz Yücel

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      • Das „Märchen“ der Justiz

      Doch gibt es überhaupt noch eine unabhängige Rechtsprechung in der Türkei? Staatsrechtler Sancar meint, nein. „Wenn per Dekret, ohne Anhörung, 4000 Richter entlassen werden, wie kann man sich da sicher fühlen?“, fragte er. Die Unabhängigkeit der Justiz sei „ein Märchen, das gerne von Machtinhabern erzählt“ werde.

      • Der gestoppte Wahlkampf in Deutschland

      Die Entscheidungen Kölns und Gaggenaus, Auftritte türkischer Minister zu verhindern, mochte CSU-Politiker Söder nicht beurteilen, gleichwohl ließ er wissen, dass er es wichtig finde, dass türkische Politiker zu politischen Gesprächen nach Deutschland kommen. Aber: „Innertürkische Probleme müssen in der Türkei bleiben und nicht dauerhaft auf deutschem Boden ausgetragen werden.“

      Im März könnte das wieder der Fall sein, wenn Erdogan einen offenbar geplanten Werbe-Auftritt in Deutschland wahr macht. Ein Einreiseverbot, wie es etwa die FDP und die Linke jüngst forderten, lehnt Özoguz aber ab. „Wir sind ein Rechtsstaat, natürlich wollen wir Gespräche führen“, sagte sie. Das Ziel sei nicht der Kollaps aller Beziehungen, dann das würde niemandem helfen. Dennoch müsse man darauf achten, warum jemand nach Deutschland kommt.

      • Das brisante Referendum

      Wer kontrolliert Erdogan noch, wenn sein Präsidialsystem abgesegnet wird? Ist dann ein ständiger Machtmissbrauch programmiert? Yeneroglu und Kilicaslan waren der Meinung, man müsse sich keine Sorgen machen. „Die Exekutive ist von der Legislative strikt getrennt, das Parlament behält alle seine Vollmachten“, sagte Yeneroglu.

      Özoguz und Sancar sahen das anders. „Der Präsident bündelt die gesamte Macht, er wird die Hälfte des Gremiums bestimmen, das über die Richter entscheidet“, sagte Özoguz. Doch Kilicaslan hatte noch ein anderes Argument, warum das Referendum eine gute Idee ist.

      „Die parlamentarische Demokratie funktioniert in der Türkei nicht“, sagte er. Es gebe dort keinen Konsens, von Stabilität könne keine Rede sein. „Es ist also klar, dass das System geändert werden muss.“

      • Der Streitfall PKK

      Seit 1984 kämpft die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK mit Gewalt für einen eigenen Staat im Südosten der Türkei. Seit der Friedensprozess zwischen der Regierung und der Partei im Sommer 2015 beendet wurde, häufen sich die Anschläge in der Region. Von Seiten der Türkei kommen immer wieder Vorwürfe, Deutschland und die HDP würden die PKK unterstützen. „Das stimmt nicht“, sagte Özoguz. „Die PKK ist bei uns verboten.“ Auch Sancar wies den Vorwurf von sich: „Den bewaffneten Kampf der PKK lehnen wir entschieden ab.“

      • Imame als Spitzel?

      Imame aus Ditib-Moscheen sollen Informationen über Gemeindemitglieder gesammelt und diese als Anhänger der Gülen-Bewegung in Ankara denunziert haben. Sieht die deutsche Politik Handlungsbedarf? „Ich habe schon vor zehn Jahren gesagt, dass Ditib unabhängig von Ankara werden muss“, so Özoguz. „Muslime gehören hierher, aber wir müssen die Imame ausbilden und bestenfalls wird auch auf Deutsch gepredigt.“ Kilicaslan warf ein, dass Ditib viele Jugendliche vor Terroristen geschützt habe, sagte aber auch: „Wenn gegen Gesetze verstoßen wurde, müssen Strafen folgen.“

      • Das ernüchternde Fazit

      Wenn die Talk-Runde eines deutlich gemacht hat, dann dass noch viel Arbeit vor den Politikern beider Länder liegt. Es fehlt in allen Bereichen an einem gemeinsamen Nenner. Und es ist zu befürchten, dass sich das so schnell nicht ändert.

      Sehen Sie hier die komplette Sendung in der ZDF-Mediathek