Berlin. Hanns Zischler spielte in Filmen von Spielberg und Wenders, außerdem schreibt er Bücher. Trotzdem ist er ein Genießer des Nichtstuns.

Er hat mit Wim Wenders gedreht, war im Drama „München“ von Steven Spielberg dabei und sechsmal im „Tatort“. Außerdem schreibt er Bücher – zuletzt „Kafka geht ins Kino“ über die Filmleidenschaft des Prager Schriftstellers. Hanns Zischler ist also ein Mann, der es gewohnt ist, gehört zu werden. Er weiß, dass ein Wort alles verändern kann, dass Sätze nicht wirklich zurückgenommen werden können, wenn sie einmal in der Welt sind. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass alles, was er sagt, besonderes Gewicht zu haben scheint.

Etwa seine Lebensmaxime, in zwei Wörtern zusammenfasst: „Geistesgegenwärtig sein, darauf kommt es an.“ Er sagt es nach einem Moment des Nachdenkens. Und es bedeute, „einen Zugang zu sich selbst zu haben“ oder „für andere offen zu sein, einzugreifen, wenn nötig“. Vielleicht ist er auch einfach weise, jetzt, mit bald 70. Es dauert nicht lang, bis man mit diesem Schauspieler und Autor in einer Diskussion darüber versunken ist, wie das „richtige Leben“ aussieht. Dabei könnte man mit ihm auch viel über seine Arbeit sprechen.

Premiere auf der Berlinale

Er steht seit über 40 Jahren vor der Kamera, hat mit großen Regisseuren gearbeitet – neben Wenders und Spielberg auch Claude Chabrol, Helmut Dietl. Und doch ist er nie derjenige gewesen, nach dem sich die Menschen auf der Straße umdrehen. Das wird sich auch durch „Masaryk“ nicht ändern, seinen neuesten Film, der gerade auf der Berlinale Premiere feierte. In dieser tschechischen Produktion spielt Zischler einen vor den Nazis in die USA geflohenen Psychiater.

1939 behandelte er dort den tschechischen Diplomaten Jan Masaryk, der am deutschen Einmarsch in seine Heimat verzweifelte – eine wahre Geschichte. Und die ist ihm wichtig, das wird spürbar, wenn er davon erzählt. Das Schicksal dieses tschechischen Diplomaten ist außerhalb seines Landes nur wenigen bekannt: Masaryk war nicht nur der Sohn des ersten tschechischen Präsidenten, sondern auch der Diplomat, der nicht verhindern konnte, dass sein Land an Nazi-Deutschland fällt – sein persönliches Versagen, wie er es empfand.

Annexion der Krim

Er war psychisch labil, kokainsüchtig und suizidgefährdet, in New Jersey fand er Zuflucht und Hilfe in einem Sanatorium. Von dort versuchte er im Winter 1939, Großbritannien zu überzeugen, dass Hitler sich Tschechien einverleiben wollte und damit das Münchner Abkommen bewusst verletzen werde. „Es gibt im Fall und im Film ‚Masaryk‘ eine etwas unheimliche Parallele“, sagt Hanns Zischler und vergleicht den deutschen Überfall auf die Tschechoslowakei mit der Annexion der Krim und des Donbass durch Russland.

Dann wird er grundsätzlich, spricht von den „schwierigen Zeiten“, in denen wir gerade steckten. Zischler tritt gern einen Schritt zurück im Gespräch und schaut sich das große Ganze an. Dann spricht er etwa über „einen verengten Nationenbegriff“ und wozu der eine Gesellschaft führen könne. Das Schauspielen ist eben nicht die einzige Hauptsache im Leben. „Ich habe immer parallel auch andere Dinge verfolgt“, sagt er.

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    Lektüren oder Wanderungen

    Gerade arbeitet er an einem neuen Buch – einer Anthologie von Wegbeschreibungen. Er hat über die Jahre Passanten nach dem Weg gefragt und die dabei entstandenen Kritzeleien aufgehoben. Heute gebe es das kaum noch, weil fast jeder ein Mobiltelefon mit GPS hätte. Sie stört ihn nicht einmal, die technische Entwicklung. Er sieht sie vielmehr als Aufgabe, selbst zu entscheiden, wann man sich ablenken lässt und wann man sich dem Wesentlichen widmet.

    „Ich habe vor langer Zeit gelernt, dass man viel verpassen muss, um Zeit zu haben für Dinge, die einem wichtig sind.“ Was ihm wichtig ist? Lektüren oder Wanderungen. Er sagt: „Man kann die Kunst, Zeit zu vertrödeln, lernen.“ Seine Arbeit ermögliche ihm glücklicherweise ein Leben, in dem Zeit bleibe für solche Dinge. Man kann bei Hanns Zischler erleben, wie gut es tun kann, „geistesgegenwärtig“ zu sein.