Berlin. Im Kölner „Tatort“ treffen besorgte Bürger, Gutmenschen und Nordafrikaner aufeinander. Der Krimi zeigt: Simple Antworten gibt es nicht.
Verdächtige Nordafrikaner. Polizisten, die – je nach Blickwinkel – nicht hart genug oder zu hart durchgreifen. Besorgte Bürger, die ihr Zuhause bedroht sehen. Gutmenschen, die nicht wahrhaben wollen, was nicht sein darf.
Der Kölner „Tatort: Wacht am Rhein“ thematisierte am Sonntagabend die Angst, die nach den Ereignissen der Silvesternacht 2015 um sich gegriffen hat. Der aktuelle gesellschaftspolitische Bezug gelang dabei besser als beim konfusen Frankfurter „Tatort“ eine Woche zuvor.
• Die Story
Im „Veedel“ liegen die Nerven blank. Die Zahl der Überfälle steigt, immer mehr Drogendealer lungern an Straßenecken herum. Das ist schlecht fürs Geschäft der Ladenbesitzer und beunruhigt junge Familien. Weil die Polizei vermeintlich nichts tut, will eine Bürgerwehr selber für Sicherheit sorgen. Ihr Feindbild: junge Männer aus Nordafrika.
Einen von ihnen beobachten sie dabei, wie er eine Zoohandlung überfällt. Als er aus dem Geschäft flüchtet, liegt der Sohn des Besitzers tot am Boden. Adil Faras (Asad Schwarz), marokkanischer Gemüsehändler und Mitglied der „Wacht am Rhein“, glaubt, den Geflüchteten entdeckt zu haben – und greift selbst zu.
Die Kommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) suchen hingegen einen anderen Nordafrikaner. Er hatte Stress mit dem Toten, weil er dessen Schwester sexuell belästigt haben soll. Bürgerwehr-Gründer Dieter Gottschalk (Sylvester Groth) heizt derweil die Stimmung mit einer Mahnwache und einer illegalen Demo weiter auf. Dabei weiß er, wer wirklich der Täter ist.
• Der Mörder
Einen echten Mörder gibt es nicht. Denn der Tod von Lars Deisböck (Paul Falk) in der Zoohandlung war ein tragischer Unfall. Sein Vater Peter Deisböck (Paul Herwig) hatte das Gerücht gestreut, er habe viel Bargeld im Laden, um die kriminellen Asylbewerber in eine Falle zu locken. Er war vor Monaten Opfer eines Einbruchs geworden. Der Plan scheint zunächst aufzugehen, doch es gibt einen Kurzschluss, das Licht in der Zoohandlung fällt aus, und Vater Deisböck trifft statt des Räubers versehentlich den eigenen Sohn.
• Realitätscheck
Die Art, wie Lars Deisböck ums Leben kommt, ist vielleicht etwas weit hergeholt. Der Auslöser für den Plan mit tragischem Ende, die diffuse Angst, im eigenen Land nicht mehr sicher zu sein, ist aber eins zu eins der Realität entnommen. Auch die Bildung von Bürgerwehren hat man im vergangenen Jahr nach den Silvesterangriffen von Köln quer durch die Republik erlebt.
Ebenso alltäglich sind inzwischen die Argumente, mit denen die besorgten Bürger ihre Wut rechtfertigen. „Wir müssen die Wahrheit aussprechen, die sich keiner traut zu sagen“, skandiert Hobbysheriff Gottschalk in einer Szene. Gesprochen wie die AfD. Auch diese (Vor-)Urteile kennt man: Arbeiten gehen die doch eh nicht („Vater Staat zahlt doch alles“), die kommen mit allem davon und wir dürfen uns nicht wehren („Ist das richtig so?“).
• Das große Plus des Krimis
Es ist keine Schwarz-weiß-Erzählung. Kein Gut gegen Böse. Die Lage ist kompliziert und dem trägt der Kölner „Tatort“ Rechnung, indem er vielfältige Figuren zeichnet. Es gibt den Deutsch-Tunesier Baz Barek (Omar El-Saeidi), der zu unrecht festgehalten wird. Es gibt aber auch den kriminellen Marokkaner Khalid Hamidi (Samy Abdel Fattah), der mit seiner arrogant-überheblichen Art alles andere als ein Sympathieträger ist.
Die Bürgerwehr besteht nicht nur aus Deutschen, auch Gemüsehändler Adil Faras ist wütend auf seine Landsleute. Er erklärt: „Ich war immer stolz auf mein Land. Unsere Werte, unsere Gastfreundschaft. Es war gut, Marokkaner zu sein. Man hat mich respektiert im Viertel. Aber ihr kommt hierher und macht das kaputt, was wir uns aufgebaut haben.“
Und auch das andere Extrem der Gutmenschen, verkörpert durch Tabea Fromm (Karoline Bär), kommt nicht gut weg. Denn sie behindert mit ihrer Skepsis gegenüber der Staatsgewalt die Ermittlungen.
• Die beste Szene
Es gibt einige Szenen, in denen die Schauspieler mit großen Emotionen beeindrucken. Etwa wenn Faras seinem Gefangenen mit Folter droht. Doch die stärkste Szene ist ein vergleichsweise nüchterner Hin-und-her-Schnitt zwischen einer illegalen Demo der Bürgerwehr und der Wohnung des Verdächtigen Hamidi. In beiden Fällen schreitet die Polizei ein, beide Seiten bekommen den Rechtsstaat zu spüren. Gleichberechtigt.
• Die überflüssigste Symbolik
Kurz bevor die Kommissare Hamidi schnappen, holt sich Ballauf einen Döner. Schenk: „Sag mal, hast du sie noch alle? Nen Döner im Auto?“ Ballauf: „Was hast du denn jetzt gegen meinen Döner? Hätte ich mir ‘ne deutsche Bratwurst kaufen sollen?“ Schenk: „Ja, noch schlimmer.“
• Cameo-Auftritt
Zum ersten Mal tritt Klaus Doldinger, Komponist der „Tatort“-Titelmelodie, in einer Folge der Krimiserie auf. Der 80-Jährige ist als Straßenmusiker zu sehen, der eine Jazz-Version seiner berühmten Melodie auf dem Saxophon spielt.
• Die Moral von der Geschicht’
Wer Opfer und wer Täter ist, lässt sich nicht einfach beantworten. In der Flüchtlingsfrage helfen extreme Einstellungen nicht weiter, genauso wenig, wie ganze Bevölkerungsgruppen unter Generalverdacht zu stellen. Vorurteile sollten nicht das Handeln bestimmen – sonst kann es auch für einen selbst übel enden.